DDR-Literatur:"Das sage ich Ihnen nicht"

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Warum er tut, was er tut? Peter Sodann spricht ungern darüber: "Es hat keinen Sinn."

(Foto: imago/Felix Abraham)

Peter Sodann, ehemaliger Tatort-Kommissar und Bundespräsidentschaftskandidat, betreibt eine Bibliothek nur für DDR-Bücher. Was genau will er damit bewahren?

Reportage von Kathleen Hildebrand

Wer in der DDR Kind war, der ist eher nicht mit Kinderbuchklassikern wie der "Kleinen Raupe Nimmersatt" groß geworden. Ostkinder lernten das Medium Buch zum Beispiel mit kleinen, quadratischen Papp-Leporellos kennen. Mit der "Geiß Schneeweiß", dem "Frosch Tosch" oder dem "Schweinchen Rosa". Und ihre Eltern hatten im Küchenregal keinen Alain-Ducasse-Wälzer stehen, sondern "Wir kochen gut" - kleines Format, brauner Pappeinband.

Es sind solche Kleinigkeiten, die auch jüngeren Menschen anhand ihrer Lesebiografie heute noch zeigen, wo sie geboren sind. Ob im Osten oder im Westen des Landes. Nur: Die westdeutschen Klassiker werden oft als eine ganze Ecke allgemeingültiger dargestellt als ihre ostdeutschen Entsprechungen. Dieses Gefühl, "umlernen" zu müssen, um Anspielungen und Nostalgie eines westdeutsch geprägten Umfelds zu verstehen, kennen viele junge Ostdeutsche gut.

Die DDR-Bibliothek, die Peter Sodann über Jahrzehnte hinweg angelegt hatte, scheint ein guter Ort zu sein, um diesem Gefühl von Restfremdheit nachzugehen. Ein alter Gutshof in Staucha, einem Dorf zwischen Dresden und Leipzig, voll mit Büchern - Romane, Wanderführer, Pilzbestimmungsbücher. "Sowjetische Generäle". "Wie der Stahl gehärtet wurde". Aber auch Victor-Hugo-Ausgaben. Goethe. Brecht.

Sodann ist 80, hat nach der Wende den Leipziger Tatort-Kommissar Bruno Ehrlicher gespielt. 2009 war er Kandidat der Linken für das Amt des Bundespräsidenten. Aber er sammelt eben auch seit 1989 die komplette Verlagsproduktion der DDR-Zeit. Drei bis fünf Millionen Bücher hat er in einem Gutshof angehäuft. Wie viele es genau sind, das weiß Peter Sodann schon längst nicht mehr.

"Ihr werft damit eure Vergangenheit weg"

In seiner Autobiografie "Keine halben Sachen" erzählt Sodann, wie man ihn an einem Nachmittag 1989 zum Gewerkschaftshaus in Halle rief. Die Bibliothek wurde ausgeräumt, die Bücher landeten in großen Lastern. Wo die hingebracht würden, fragte er. "Die schmeißen wir weg, die braucht jetzt keiner mehr." Sodann sagte entsetzt: "Ihr werft damit eure Vergangenheit weg."

Aber was genau will er bewahren? Bücher, also den unverfänglichsten Teil des DDR-Erbes? Seine eigene Vergangenheit? Oder doch mehr, nämlich einen positiven Blick auf ein Land, das selten in den Genuss eines positiven Blicks kommt?

Das wüsste man gern und fährt deshalb hin, nach Staucha. Das Problem ist nur: Peter Sodann bockt. Er will nicht erklären, erzählen. Weil er glaubt, ohnehin auf Unverständnis zu stoßen. "Wissen Sie, es ist schwer, das einer Frau aus dem Westen zu erklären." Aber er spricht mit einer Frau aus dem Osten, die nur mittlerweile im Westen lebt. Egal, er winkt ab: zu spät geboren.

Der Besuch in Staucha wird schnell zu einem Ringen um Antworten. Wenn man Sodann daran erinnert, dass er in der DDR, deren Andenken er jetzt bewahrt, als Student ins Gefängnis gesteckt wurde - für ein allzu freches Kabarettprogramm, schaut er und fragt: "Was hat das damit zu tun?"

Eines ist klar: In Peter Sodanns Bibliothek geht es um mehr als alte Bücher.

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