Süddeutsche Zeitung

TV-Kritik "Das weiße Haus am Rhein":Männer vor Flusslandschaft

Lesezeit: 2 min

Die ARD zeigt uns zum Tag der Deutschen Einheit, wie formidabel aufrechte Deutsche mit den Widrigkeiten des 20. Jahrhunderts umgegangen sind.

Von Stefan Fischer

Wie stark muss man sich verändern in wechselvollen Zeiten, um sich treu zu bleiben? Wie viel muss man investieren, wie viel riskieren? Davon erzählen der Autor Dirk Kämper und der Regisseur Thorsten M. Schmidt im Fernseh-Zweiteiler Das weiße Haus am Rhein. Ein Film über deutschen Unternehmergeist, über deutsches Traditions- und Nationalbewusstsein als Beitrag der ARD zum Nationalfeiertag.

Die kleine Saga handelt von der Hoteliersfamilie Dreesen, die bis heute das geschichtsträchtige Haus in Bad Godesberg betreibt. Die beiden Filme umfassen die Spanne zwischen dem Ende des Ersten und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Emil Dreesen, gespielt von Jonathan Berlin, kehrt von der Front zurück, im seelischen Gepäck ein Geheimnis, das ihn erpressbar macht.

Zu Hause möchte er das Hotel wieder in Schwung bringen. Mithilfe seiner resoluten Großmutter (Nicole Heesters) setzt er seine Pläne gegen seine Eltern ( Katharina Schüttler, Benjamin Sadler) durch. Auch die äußeren Umstände sind widrig: Erst quartiert sich die französische Kommandantur im Haus ein, später macht Adolf Hitler daraus eine Art Führernebenquartier. Dazwischen gilt es eine Weltwirtschaftskrise zu überstehen.

Wie viel investieren, wie viel riskieren? Diese Fragen stellen sich auch bei jedem Filmprojekt. Bezogen darauf, wie originell, wie mutig und anspruchsvoll die Filmemacher und ihre Auftraggeber sein möchten.

Nun: Wären die Hoteliers so ambitionslos gewesen wie diese Produktion, das Rheinhotel Dreesen hätte rasch seinen Bankrott erklären müssen. Man mag es kaum fassen, dass der Regisseur den Schauspielerinnen und Schauspielern nur die immergleichen zwei Gesichtsausdrücke abverlangt. Dass stets der Nebel alles einsuppt, wenn es gefährlich oder geheimnisvoll wird. Und sobald sich alles zum Guten wendet, scheint die Sonne. Man würde als Zuschauer sonst ja nicht begreifen, was da vor sich geht.

Vor allem aber ist jede Figur ein Stereotyp, ohne Ambivalenzen, durchschaubar und also langweilig. Emil: kreativ. Seine Schwester: verträumt. Deren Mutter: herrisch. Der Vater: formbar. Das Zimmermädchen: kämpferisch ... Keine Persönlichkeitsentwicklung, bei niemandem. Regelrecht entgleist sind Szenen vom Beginn, wenn sich der Film die Vorbehalte der Deutschen gegen die französischen Besatzer zu eigen macht und diese Militärs ausschließlich als die Widerlinge zeigt, die sie in der Wahrnehmung der Kriegsverlierer sind. Hauptsache, alle Uniformknöpfe sind originalgetreu.

Hat man den Stab über Das weiße Haus am Rhein längst gebrochen, geschieht indes Überraschendes: In der letzten halben Stunde, nachdem Hitler an die Macht gelangt ist, müssen Emil, seine Schwester Ulla und ihr Vater Fritz plötzlich lavieren und taktieren. Müssen Entscheidungen treffen zwischen Optionen, die allesamt falsch sind. Müssen sich schuldig machen, sofern sie nicht alles aufgeben und Deutschland verlassen. Jetzt endlich werden diese Figuren disparat, ja: menschlich. Da bekommt man eine Ahnung, was dieser Zweiteiler auch hätte sein können. Würde die ARD ihr Publikum ernst nehmen.

Das weiße Haus am Rhein , Das Erste, 3. Oktober 2022, 20.15 Uhr. Teil 2 um 21.45 Uhr.

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