Süddeutsche Zeitung

"Das Verhör in der Nacht":Der etwas andere Weihnachtsfilm

Matti Geschonneck inszeniert Daniel Kehlmanns Theaterstück "Das Verhör in der Nacht" als Drama im Hotelzimmer. Das ist schön klaustrophobisch und erinnert im guten Sinn an sehr altes Fernsehen.

Von Claudia Tieschky

Das, was dieser Film ganz am Anfang zeigt, gibt es ja tatsächlich: Wenn die Stadt plötzlich fremd ausschaut, weil Weihnachten ist und einmal im Jahr wirklich alle zu Hause sind. In dieser Nachtleere fahren schwarze Limousinen auf einen Hotelparkplatz, blenden die Scheinwerfer ab, warten. Die Kamera zeigt sie leicht von unten mit gewölbten Schnauzen wie lauernde Hunde. Belauern werden sich im Folgenden auch zwei Personen, fast eineinhalb Stunden lang, sie achten auf jeden Fehler des anderen, ringen miteinander, obwohl alles gesittet aussieht in dieser stillen Nacht.

Alles an den beiden ist faszinierend uneindeutig

Es gibt kaum Szenen, die außerhalb des Hotelzimmers spielen, in dem Thomas, der Mann vom Staatsschutz, eine elegante ältere Philosophie-Professorin verhört: Judith, die längst bei ihren Eltern sein sollte, in der "Villa mit dem Garten und den Teppichen" bei gutem Essen und dezenter Musik, wie Thomas es ihr beschreibt, und den "Schäferhunden Bello, Ludwig, Friedrich". Sie korrigiert den letzten Namen: "Heinrich". Alles weiß er doch nicht über sie. Aber was er weiß, abgezapft von ihrem Handy, von ihrem Computer, obwohl der nie im Internet war, ist erschreckend, wobei der Zuschauer unaufhörlich schwankt zwischen dem Erschrecken über das Wissen der Staatsmacht und dem Erschrecken darüber, wer diese zarte Person vielleicht in Wirklichkeit sein könnte.

Judith hat sich mit einer Schrift über "Das revolutionäre Konzept der Gewalt bei Frantz Fanon" habilitiert und schreibt daheim radikale Sätze. Sind die Vorwürfe im Verhör nur konstruiert und haltlos, wie sie sagt? Oder der letzte Versuch, das Attentat zu verhindern, das sie in dieser Nacht zusammen mit ihrem Ex-Mann plant, wie Thomas sagt?

Stilistisch erinnert dieser rein vom Dialog getragene Film im guten Sinn an sehr altes Fernsehen, sein Thema ist entschieden heutig.

Matti Geschonneck hat Das Verhör in der Nacht nach dem Theaterstück von Daniel Kehlmann inszeniert, der auch das Drehbuch schrieb. Sophie von Kessel hält die Entschlossenheit dieser Professorin, souverän zu bleiben, sehr schön in der Gesichtsmuskulatur fest; nur die Augenlider flattern bei Unsicherheit. Charly Hübner darf hier ungewohnt kurzhaarig eine mal drohende, mal schmeichelnde, immer katzenhaft leise Figur spielen, einen Mephisto im mittelguten Anzug. Interessante Gegner.

Alles an den beiden ist faszinierend uneindeutig, und trotzdem fragt man sich bei diesem etwas anderen Weihnachtsfilm immer mehr, wann die Figuren aus ihren Sprechrollen herauskommen. Denn neben einer gekonnt inszenierten Klaustrophobie bringt dieses Verhör hauptsächlich: Worte. Aber wenn man einmal aufsteht, draußen nach schwarzen Limousinen schaut und zum Kühlschrank geht, versteht man plötzlich etwas: Der Film läuft weiter, aber es gibt keine Bilder mehr, keine Gesichter in Großaufnahme, nur den reinen Text. Und da wird das Verhör in der Nacht zum ungeheuer fesselnden - Hörspiel.

Das Verhör in der Nacht, ZDF, Montag, 20.15 Uhr.

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