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"Das lügenhafte Leben der Erwachsenen" auf Netflix:Schöner lügen

In der Netflix-Serie "Das lügenhafte Leben der Erwachsenen" nach einem Roman von Elena Ferrante sucht ein Teenager nach der Wahrheit. Etwas holprig, aber mit zwei grandiosen Hauptdarstellerinnen.

Von Carolin Gasteiger

Als wäre die Pubertät nicht schon anstrengend genug für Giovanna. Schlechte Noten, ein fragwürdiges Selbstbild ("Bin ich schön?") und so viele Fragen, wie diese Welt um einen herum funktioniert. Aber als die 13-Jährige gleich zu Beginn der Netflix-Serie Das lügenhafte Leben der Erwachsenen ("La vita bugiarda degli adulti") diesen Satz hört, versteht sie die Welt endgültig nicht mehr. "Sie ähnelt immer mehr meiner Schwester", sagt ihr Vater eines Nachmittags, als die Eltern über Giovannas miserable Schulleistungen diskutieren. "Vittoria?", entgegnet die Mutter. Die sei doch ein Monster. "Nella, sie ist ihr Ebenbild."

Neapel in den Neunzigern. Giovannas Eltern, linksintellektuelle Gymnasiallehrer, wohnen in Rione Alto, im feineren Viertel der Stadt. Aber nur weil sie oben wohnen, bedeutet das nicht gleich, dass hier nicht genauso gelogen wird wie unten, dort, wo das "Monster" Tante Vittoria wohnt - und Giovannas Vater herkommt, aber, das verleugnet er gekonnt und schon sind wir im Thema. In den sechs Episoden wandert Giovanna zwischen oben und unten, zwischen Eltern und Tante, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Und, so viel sei verraten: Sicherheit findet sie nirgends.

Vor zwei Jahren verfilmte Maggie Gyllenhaal Elena Ferrantes Roman "Die Frau im Dunkeln". Das lügenhafte Leben der Erwachsenen, auf Netflix auch unter dem italienischen Originaltitel zu finden, ist eine weitere Romanadaption der italienischen Bestsellerautorin. Fünf Jahre nach den vier Bänden von "Meine geniale Freundin", in denen Ferrante die Freundschaft zweier Mädchen im Neapel der Fünfziger und dann über mehrere Jahrzehnte schildert und die sich millionenfach verkauft haben, erschien 2019 "Das lügenhafte Leben der Erwachsenen". Zwar steht auch hier eine komplexe Frauenfigur im Zentrum, aber die Handlung umfasst nur etwa drei Jahre. Am Ende ist Giovanna 16 Jahre alt.

Es ist nicht leicht, eine literarische Geschichte, die vor allem von Zweifeln, Gedanken und Überlegungen getragen ist, in einer Serie umzusetzen. Zwar passen die trüben Bilder zur Nachdenklichkeit und inneren Zerrissenheit der Ferrante-Figuren, die Produktionsfirma Fandango war auch für die Serienumsetzung von "Meine geniale Freundin" verantwortlich. Trotzdem holpert Das lügenhafte Leben der Erwachsenen unter der Regie von Edoardo de Angelis an vielen Stellen. Mal läuft die Zeit grundlos rückwärts, manche Szenen ziehen sich unnötig in die Länge, da wird viel geblickt und wenig gesprochen, und dann platzt der Soundtrack ganz unvermittelt rein und übertüncht den Plot. Dass man trotzdem dran bleibt, liegt am hervorragenden Spiel der beiden Protagonistinnen.

Giordana Marengo trägt als Giovanna Vokuhila-Frisur, Grunge-Klamotten und spielt sie herrlich abwechslungsreich. Mal übermütig, schüchtern, unsicher - und unverschämt, als sie anfängt, ähnlich vorlaut wie ihre Tante aufzutreten. Von der ist sie, die eben gar nicht weiß wohin mit sich, fasziniert. Laut, ungestüm, temperamentvoll und nie um ein Wort verlegen, macht Valeria Golino (zuletzt zauberhaft in The Morning Show auf Apple Plus zu sehen) Vittoria selbst zu einer zweifelnden, zerrissenen, liebenswerten Figur. Und wie diese beiden ungewöhnlichen Frauen sich finden, annähern, zwischendurch abstoßen und tief drin doch lieben, ist sehenswert. Vittoria gibt Giovanna schließlich einen entscheidenden Tipp: "Du musst deine Eltern ganz genau beobachten, sonst bist du verloren." Prompt bemerkt Giovanna bei einem Abendessen zufällig, dass ihre Mutter unterm Tisch mit dem Vater ihrer besten Freundinnen füßelt.

Alles ist unklar, alles steht in Frage, und wer weiß, ob Giovanna selbst immer so ganz ehrlich ist. "Warum hast du mir Lügen erzählt?", fragt sie ihre Tante einmal. Und die antwortet: "Weil sie schön waren."

Sechs Folgen, auf Netflix.

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