Süddeutsche Zeitung

Radio:Die Worte vor dem Geräusch

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Intensiv und konzentriert: Ulrich Lampen verwendet Baudelaires Gedicht als Kontrastmittel für sein Hörspiel "Das Doppelzimmer".

Von Stefan Fischer

Ganz abschotten von der Außenwelt lässt sich das Zimmer nicht. In der Stunde der Dämmerung ist das durchaus von Vorteil: Die untergehende Sonne färbt die reglose Luft im Inneren leicht rosa und blau. In dieser Stimmung könne die Seele dann "ein Trägheitsbad nehmen", der Bewohner sich einem "Wolllusttraum während der Verfinsterung" hingeben. So malt Charles Baudelaire sich das Glück aus in seinem Prosagedicht La Chambre double. Und erwähnt, wie nebenbei, noch eine Opiumphiole, die wohl keine ganz unwichtige Rolle spielt beim Erschaffen einer Umgebung aus "Geheimnis, Schweigen, Frieden und Parfum".

Doch dann: ein schrecklicher Schlag. Ein Klopfen an der Tür, und herein treten ungebetene Gäste, Gespenstern gleich: ein Gerichtsvollzieher, um Geld zu fordern, eine "abscheuliche Geliebte", um zu jammern, ein Laufbursche, um an die Lieferung einer Auftragsarbeit zu erinnern. Wo zuvor das Dämmerlicht hereinfiel und die Atmosphäre im Zimmer verzaubert hat, sind nun nur noch "traurige Fenster, auf denen der Regen den Staub durchfurcht."

Der Lockdown: kein Akt wohltuender Entspannung - Zustand der Gefangenschaft

Der Regisseur Ulrich Lampen benutzt Baudelaires Text in seinem Hörspiel Das Doppelzimmer als poetischen Kontrast zur eigenen Wahrnehmung. Lampen lebt in Straßburg, und er empfindet wie viele andere Menschen auch in den Wochen und Monaten des Lockdowns den Rückzug in die eigene Wohnung nicht als einen Akt wohltuender Entspannung, sondern als einen Zustand der Gefangenschaft.

Was dringt in der aktuellen Gegenwart herein aus der Stadt in das Zimmer? Keine Lichtstimmungen, sondern Geräusche: Hundegebell, das gedämpfte Lachen von Kindern, ein einsames, laut knatterndes Mofa. An die Tür klopft niemand. Wenn der stumme Held dieses Hörspiels in Kontakt mit Menschen kommt, dann weil er seine Wohnung verlässt. In der Straßenbahn die elektronische Stimme, die zum Tragen von Atemschutzmasken ermahnt. Im Supermarkt ein dumpfes Murmeln durch diese Masken. Zurück in der Wohnung: das Klappern beim Kochen, dann das sanfte Klirren des Bestecks auf dem Porzellan während der Mahlzeit.

Einsamkeit, bei Baudelaire wie bei Lampen. Nur dass sie anders empfunden wird. Und Ruhe, die wiederum beide gleichermaßen schätzen. Lampen geht es nicht darum, ein Gefühl des Unwohlseins zu verbreiten in seinem Hörspiel. Er sucht, wie der Erzähler bei Baudelaire, nach Momenten der Entspannung und findet sie in den Geräuschen des Alltags. Die eine neue Relevanz gewinnen, indem sie wieder einzeln wahrnehmbar sind in der gebremsten Betriebsamkeit während der Pandemie und nicht bloß ununterscheidbare Teile des städtischen Lärms.

Das Doppelzimmer , SWR 2, Donnerstag, 22.03 Uhr.

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