"Dark" auf Netflix:"Dark" hält nur zum Teil, was es verspricht

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Zeit zu reden: Andreas Pietschmann (l.) und Louis Hofmann in Dark.

(Foto: Stefan Erhard/Netflix)

Die lang erwartete erste deutsche Netflix-Serie trägt ganz schön dick auf und unterfordert ihre Zuschauer mitunter. Dafür gibt es tolle Bilder und eine hervorragende Besetzung.

Von Karoline Meta Beisel

Wenn man auf irgendetwas im Jahr 2017 eigentlich nicht gewartet hat, dann auf eine weitere Serie. Es fühlt sich so an, als laufe die Fernsehrevolution mindestens schon in der zwölften Staffel; praktisch jedes Unternehmen, das irgendwas mit Rundfunk, dem Internet oder wenigstens mit Telefonen zu tun hat, produziert inzwischen eigene Serien. Niemand kann all das gucken, darum werden Empfehlungen immer wichtiger, nach dem Motto: Wenn alle darüber reden, dann wird es schon auch gut sein.

Unter deutschen Fernsehmachern wird seit Monaten über eine Serie ganz besonders viel geredet: über Dark, die erste deutsche Eigenproduktion des US-Streamingdienstes Netflix. Gesprächsthema war sie aber nicht, weil alle sie schon gesehen hätten. Sondern weil Netflix erst in den USA und dann auch hier die ganze Fernsehbranche umgepflügt hat, und Dark nun beweisen soll, dass das auch mit deutschen Produktionen funktioniert - wenn man nur mutig und schlau genug ist, so zu erzählen, dass es einer Revolution auch würdig ist.

Ganz schön viel Verantwortung für zehn Folgen Mystery-Serie. Und Dark wird ihr nur zum Teil gerecht.

Zu Beginn erzählt Dark eine Geschichte, die dem Zuschauer vertraut vorkommen dürfte: In der fiktiven Kleinstadt Winden verschwinden zwei Jungen im Wald. Die Suche nach ihnen führt zurück in die Achtzigerjahre, und offenbar hat das Ganze mit dem nahen Atomkraftwerk und irgendwelchen übernatürlichen Phänomenen zu tun. Verschwundene Kinder sind der Anfang von jeder zweiten skandinavischen Krimiserie, und mit übernatürlichen Phänomenen und Achtzigerjahre-Nostalgie war Netflix gerade erst bei Stranger Things sehr erfolgreich. Es wäre aber unfair, das den Serienerfindern Baran bo Odar und Jantje Friese vorzuwerfen. Zum einen war Dark längst in der Mache, als die erste Staffel von Stranger Things veröffentlicht wurde. Außerdem hebt Dark mit einem Cliffhanger am Ende von Folge zwei an, ein Familien-Science-Fiction-Märchen zu erzählen, das mit Stranger Things kaum noch etwas zu tun hat - dafür viel mit "Momo", "Die Wolke" oder Gudrun Pausewangs "Die letzten Kinder von Schewenborn".

Die Zuschauer haben es längst verstanden, nur der Kommissar schnallt es immer noch nicht

Wie in "Momo" geht es auch in Dark um die Zeit, und ein Problem der Serie ist, dass das dem Zuschauer etwas zu häufig mitgeteilt wird. Die Pilotfolge beginnt mit einem Einstein-Zitat über das Verhältnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ein Uhrmacher tritt auf, die Krankenschwester trägt eine Taschenuhr, und ein verwirrter Mann murmelt immerzu "Tick-tack, Tick-tack". Bald ist klar, dass die Lösung für das Rätsel nicht im Heute - in Dark ist es das Jahr 2019 -, sondern in der Vergangenheit zu finden ist, und es beginnt eine Reise, die nicht nur in die Achtzigerjahre, sondern noch viel weiter zurückführt.

In dem Unterfangen, die Geschichte sowohl für die Serienfiguren als auch für die Zuschauer nach und nach zu enträtseln, ist Friese gerade in der ersten Hälfte der zehn Folgen insgesamt eher großzügig mit den Informationen und Hinweisen. Bisweilen fühlt man sich trotz der anspruchsvoll konstruierten Geschichte unterfordert: Als in einer Szene Vögel tot vom Himmel fallen, sagt die Kommissarin Charlotte (Karoline Eichhorn): "Die Kinder, die Vögel ... Irgendwie gehört das alles zusammen." Und als im Wald eine Kinderleiche gefunden wird, die zu keinem der vermissten Jungen gehört, aber einen Walkman dabei hat und einen "Atomkraft Nein Danke"-Pulli trägt, ist dem Zuschauer längst klar, wer da gestorben ist. Nur der Polizist Ulrich (Oliver Masucci), der mit dem Fall nicht nur dienstlich zu tun hat, der hat es immer noch nicht geschnallt.

Trotz aller Kritik: Man bleibt dran

Dark trägt ganz schön auf. Nie wird es hell und immer regnet es, in Strömen selbstverständlich. Wer gerade ein privates Drama durchmacht - also jeder - steht grundsätzlich ohne Kapuze im Nassen. Nur den geheimnisvollen Bärtigen, der aus einer Höhle im Wald zu kommen scheint, sieht man fast ausschließlich mit Kapuze, selbst dann, wenn es nicht regnet. Wenn Teenies in der Umkleidekabine Sex haben, sieht das aus wie in Fifty Shades of Grey. Und der Soundtrack des Isländers Ben Frost ist toll - aber eben auch ständig zu hören; als könnte man dem Zuschauer nicht zumuten, selbst herauszufinden, welche Emotion gerade opportun wäre.

Trotz aller Kritik, und darauf kommt es vor allem an: Man bleibt dran. Man will wissen, wie Geschichte ausgeht, die so rätselhaft ist, dass sie im herkömmlichen linearen Fernsehen mit seinen wöchentlich wiederkehrenden Sendeplätzen tatsächlich niemals laufen würde.

Dass man weiterschaut, liegt auch an der hervorragenden Besetzung (Casting: Simone Bär). Netflix habe den Kreativen dabei freie Hand gelassen, sagt Odar. Für das deutsche Redakteursfernsehen ist das eher unüblich, für den internationalen Streamingdienst aber folgerichtig: Deutsche Schauspieler kennt in Sao Paolo oder Seoul sowieso keine Sau, da ist es im Prinzip auch egal, wer mitspielt - Hauptsache, Person und Rolle passen zusammen. So konnten Odar und Friese ein ausladendes Ensemble aus bekannten (Jördis Triebel, Angela Winkler, Michael Mendl) und neuen Gesichtern versammeln. Die Hauptrolle spielt der nicht mehr ganz so unbekannte Louis Hofmann, aber auch die Namen der noch fremden jungen Schauspieler sollte man sich merken: Lisa Vicari, Moritz Jahn, Ella Lee und Paul Lux - und das ist höchstens ein Siebtel des insgesamt vielleicht etwas groß geratenen Ensembles.

Die Kamera sucht düstere, gemäldeartige Motive, in denen die Figuren verloren wirken

Eindrucksvoll sind auch die Bilder. Als Stilvorbild für Dark habe ihnen das Werk des amerikanischen Fotografen Gregory Crewdson gedient, sagen Friese und Odar: düstere, gemäldeartige Motive, in denen die kleinen Figuren verloren wirken. Kameramann Nikolaus Summerer ist es gelungen, diese ganz spezielle Atmosphäre in opulente Bilder umzusetzen, die man so im deutschen Fernsehen noch nicht gesehen hat - vielleicht auch deswegen, weil die distanzierte, gestochen scharfe Ästhetik mit dem vertrauten Blick auf die Welt kaum etwas zu tun hat. So gibt es in Dark zum Beispiel praktisch keine Close-Ups.

Ob das genug ist, damit im Jahr 2050 jemand zurückblickt und sagt: "Weißt Du noch 2017, als Dark das deutsche Fernsehen revolutioniert hat?" Vermutlich nicht. Für unsere Zeit jedoch ist das, was Dark hier zeigt, ganz schön fortschrittlich.

Dark, abrufbar bei Netflix*

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