Süddeutsche Zeitung

Nach Flaggen-Karikatur:Chinesische Einflussnahme

  • Die dänische Zeitung "Jyllands-Posten" veröffentlichte am Montag eine Karikatur der chinesischen Flagge, die eine Anspielung auf das Coronavirus darstellte.
  • Die chinesische Botschaft in Kopenhagen verlangte eine Entschuldigung, der Chefredakteur der Zeitung antwortete, billiger Spott sei nicht die Absicht gewesen.
  • Mit der Eintracht - erst im vergangenen Jahr symbolisiert durch ein Pandapärchen, das China den Dänen schenkte - scheint es erst einmal vorbei.

Von Kai Strittmatter, Kopenhagen

Die chinesische Flagge. An die Stelle der fünf gelben Sterne hat der Zeichner allerdings fünf stachelige Viren gesetzt. Mit dieser Karikatur erschien die dänische Zeitung Jyllands-Posten am Montag. Man kann die Karikatur taktlos finden oder aber gelungen. Man kann ihr vorwerfen, es mangele ihr an Mitgefühl für die Menschen, die in China vom Ausbruch des Coronavirus betroffen sind. Oder aber man kann finden, sie spiele gelungen an auf die Vorwürfe auch vieler Menschen innerhalb Chinas, die den eigenen Regierungsbehörden vielfaches Versagen vorwerfen.

Eines aber darf man mit großer Sicherheit annehmen: Dass die Karikatur auf Seite 14 des Blattes "keiner Katze aufgefallen wäre, geschweige denn einen einzigen Chinesen beleidigt hätte", wie der Kommentator eines Konkurrenzblattes hernach schrieb - wenn nicht die chinesische Botschaft in Kopenhagen mit einem ganz undiplomatischen Aufschrei eigenhändig dafür gesorgt hätte, dass die Zeichnung um die ganze Welt ging. Eine "Beleidigung für China", sei die Karikatur, hieß es in einer öffentlichen Stellungnahme der Botschaft, sie verletze "die Gefühle des chinesischen Volkes". "Wir verlangen", schrieb die Botschaft in bestem Pekinger Propagandajargon, dass die Zeitung und der Zeichner Niels Bo Bojesen "ihren Fehler bereuen und sich öffentlich beim chinesischen Volke entschuldigen".

Da rieb sich die dänische Öffentlichkeit erst einmal die Augen. Mit politischer Korrektheit und Selbstzensur haben sie es in Dänemark ohnehin nicht so. Und nun möchte ihnen eine ausländische Macht vorschreiben, welche Karikaturen sie in die Zeitung heben dürfen und welche nicht? Jyllands-Posten ist dieselbe Zeitung, die 2005 mit den Mohammed-Karikaturen Dänemarks wohl größte außenpolitische Krise der vergangenen Jahrzehnte ausgelöst hatte. Die Zeitung war damals standhaft geblieben, und es war zu erwarten, dass sie angesichts der weit harmloseren China-Zeichnung ebenfalls standhaft bleiben würde.

Die Botschaft der dänischen Premierministerin: Wir haben Redefreiheit

Tatsächlich kam die Antwort des Chefredakteurs Jacob Nybroe umgehend: Es sei nie Absicht gewesen, das Leid von Menschen auszunutzen für billigen Spott. Aber das habe die Karikatur auch nicht getan: "Wir können uns nicht für etwas entschuldigen, das wir nicht für falsch halten." Am Dienstag äußerte sich auch Premierministerin Mette Frederiksen. Ihre Botschaft, kurz zusammengefasst: Wir haben Redefreiheit. Wir haben Redefreiheit. Wir haben Redefreiheit. Sie wiederholte das mehrmals.

Bis letzte Woche war es bestens bestellt um die dänisch-chinesischen Beziehungen. Lange vergessen auf Seiten Pekings der Sündenfall von Premierminister Lars Rasmussen, der 2009 den Dalai Lama (in Pekings Propaganda der "Teufel in Menschengestalt") empfangen hatte. Heute blüht der Handel, dänische Windanlagen und dänisches Schweinefleisch sind begehrt in China, die dänischen Exporte dorthin haben sich in den sieben Jahren vor 2018 verdoppelt. Symbol für die neue Eintracht war das Pandapärchen, das China im vergangenen Jahr den Dänen schenkte. Die beiden Pandas bezogen im Kopenhagener Zoo ein Heim für 24 Millionen US-Dollar, das ihnen Stararchitekt Bjarke Ingels errichtet hatte, die Königin erschien zur Einweihung.

Jetzt ist erst einmal Schluss mit der Harmonie - chinesische Trolle und Bots verunstalten die dänische Flagge

Als der Zoo dann aber kurz vor Einzug der Pandas auf Verlangen Chinas eine Weltkarte abmontierte, auf der das von China beanspruchte Taiwan als unabhängiges Land markiert war, konnte man schon eine Ahnung bekommen von den einer solchen Beziehung innewohnenden Konflikten.

Und jetzt ist erst einmal Schluss mit der Harmonie. Dänemark hat eine neue Karikaturenkrise. Chinesische Trolle und Bots attackieren zu Zehntausenden in den sozialen Medien die "weißen dänischen Schweine" und verunstalten aus Rache die dänische Flagge. All das ist bei Weitem nicht vergleichbar mit der Krise von 2005, als dänische Flaggen verbrannt, dänische Waren boykottiert und dänische Botschaften belagert und attackiert wurden. Und doch schält sich die Erkenntnis heraus, dass hinter dem Vorfall mehr steht als nur ein Streit um eine einzelne Zeichnung: Mit einem Mal sieht man sich auch in Dänemark mit der Herausforderung durch eine Diktatur konfrontiert, mit der man beste Geschäfte macht, die aber neuerdings die ganze Welt als ihr Interessengebiet entdeckt hat und die deshalb nun auch mitten in Europa versucht, ihre Praktiken und Sprachregelungen durchzusetzen. "China unterdrückt die Freiheiten seines eigenen Volkes. Das ist schlimm genug", schrieb die liberale Zeitung Politiken. Man dürfe der KP Chinas nicht erlauben, ihre Methoden der Unterdrückung nun "in den Rest der Welt" zu exportieren.

Ist am Ende alles nur Ablenkung, wie eine dänische Zeitung vermutet?

Die dänischen Medien reagierten prompt. Fast alle Konkurrenten der attackierten Jyllands-Posten erschienen am Mittwoch mit Leitartikeln und Schwerpunkten zur Verteidigung der Pressefreiheit. Politiken druckte als Zeichen der Solidarität gegen die "totalitäre Supermacht" China die Karikatur prominent auf der Titelseite nach. Das Kristeligt Dagblad vermutete, dass in beiden Fällen, 2005 wie heute, die Satire dem "Heiligsten" zu nahe gekommen sei: damals dem Propheten Mohammed, diesmal der von Chinas Nationalisten zum Fetisch erhobenen Flagge. Die konservative Zeitung Berlingske verwies auf die lange Tradition der Pekinger Propaganda, das eigene Volk als ewiges Opfer westlicher Mächte zu zeichnen, und vermutete, der Kommunistischen Partei gehe es mit der Attacke auf Jyllands-Posten darum, "einen äußeren Feind und damit innere Einheit" zu schaffen: "So lenken Chinas Behörden ab von den Fehlern, die sie selbst im Kampf gegen das Coronavirus gemacht haben könnten."

Und mit einem Male können die Dänen mitfühlen mit den Nachbarn Norwegen und Schweden, die sich schon länger im Visier chinesischer Einflussnahme und Schikane sehen. Letzte Woche erst hatte Schwedens Außenministerin den chinesischen Botschafter in Stockholm einberufen, weil der in einem Interview den kritischen schwedischen Medien ("Fliegengewichtsboxer") mit der Faust Chinas ("Schwergewichtsboxer") gedroht hatte. Aus all den sich häufenden Fällen könne es nur eine Lehre geben, schreibt Berlingske: Die Europäer müssten China gegenüber nun Geschlossenheit zeigen. "Es ist eine Sache der Europäischen Union, wachsam zu sein, damit unsere Freiheit nicht gegen uns ausgenutzt wird."

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SZ vom 30.01.2020/tmh
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