Fake-News zu Corona:"Whatsapp spielt bei der Verbreitung eine sehr zentrale Rolle"

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Falschnachrichten zum Coronavirus werden vor allem zwischen Verwandten und Freunden geteilt, sagt Alice Echtermann von Correctiv. (Foto: Jörg Carstensen/dpa)

Weil Falschnachrichten zu Corona oft direkt von Freunden kommen, wirken sie vertrauenswürdiger. Faktencheckerin Alice Echtermann erklärt, warum sie so gefährlich sind.

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Ob Videos von angeblichen Supermarkt-Stürmungen, jahrealte Corona-"Geheimpläne" der Bundesregierung oder Luftanhalten als Schnelltest - in Messengern und sozialen Medien kursieren Gerüchte, Halbwahrheiten und Verschwörungstheorien zum Coronaviurs. Das stiftungsfinanzierte Recherchezentrum Correctiv hat nun ein Portal gegründet, das diese Falschmeldungen sammeln, einordnen und systematisieren soll. Jeder kann über den neuen Crowd-Newsroom auf einfachem Weg dubiose Inhalte melden. Ein Team sichtet die Einreichungen, bewertet sie und veröffentlicht bei Bedarf einen Faktencheck. Auf längere Sicht wollen die Mitarbeiter von Correctiv damit auch herausfinden, welche Kanäle am anfälligsten für Falschmeldungen sind, wie genau sie sich verbreiten - und zurückverfolgen, woher diese eigentlich kommen. Ein Anruf bei Alice Echtermann, Reporterin, Redakteurin und Faktencheckerin bei Correctiv.

SZ: Frau Echtermann, Ihr Crowd-Newsroom ist jetzt seit fast einer Woche im Netz. Wird er gut angenommen?

Alice Echtermann: Als Faktencheckerinnen bei Correctiv bekommen wir schon immer sehr viele Zuschriften - aber jetzt gerade ist die Anzahl noch mal um geschätzt 100 Prozent gestiegen. Da kommt momentan zusammen, dass die Leute einerseits verunsichert sind und andererseits sehr viel Zeit haben. Da der E-Mail-Ansturm in den vergangenen Tagen entsprechend chaotisch war, haben wir mit unserem neuen Portal versucht, das Ganze ein bisschen zu systematisieren: nach Kanal, Ort und Zeitpunkt.

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Fake News und Halbwahrheiten im Netz sind ja an sich kein neues Phänomen. Bekommt das Thema mit dem Coronavirus eine neue Dimension oder sind Abläufe und Akteure ähnlich?

Es gibt tatsächlich schon große Unterschiede. Uns fällt auf: Whatsapp spielt bei der Verbreitung eine sehr zentrale Rolle. Man könnte es fast den Hauptverbreitungskanal nennen. Und das hat eine gewichtige Folge: Der Austausch findet damit hauptsächlich zwischen Verwandten oder Bekannten und Freunden statt, also Menschen, denen man tendenziell besonders vertraut. Bei den verbreiteten Inhalten handelt es sich meist um virale Sprachnachrichten, Kettenbriefe oder Links, häufig zu Youtube-Videos. Diese Videos sind oft sehr lang. Verschiedenste Menschen mit zweifelhafter Expertise tragen darin ihre Meinungen oder Spekulationen vor, gemischt mit Fakten und Halbwissen, was in der Summe meist eher verunsichert als informiert.

Wer sind diese Menschen?

Oft sind das in der Öffentlichkeit noch weitgehend Unbekannte. Die Kanäle, auf denen sie auftauchen, gehören nicht unbedingt bekannten Youtubern. Sie veröffentlichen aber häufig Interviews oder Beiträge mit den gleichen Personen, die dadurch immer präsenter werden: Der gerade sehr umtriebige Arzt Wolfgang Wodarg etwa, der die aktuellen Maßnahmen als "Panikmache" bezeichnete, ist ja eigentlich gar kein Youtuber. Eine Produktionsfirma hat ein Video mit ihm gedreht, daraufhin wurde er zu Interviews eingeladen.

Sind das vor allem Kanäle, die die Legitimität von Medizin, Medien oder Wissenschaft ohnehin anzweifeln?

Es gibt durchaus Kanäle oder Webseiten, die sich ansonsten zum Beispiel mit Anti-Impf-Positionen und Ähnlichem beschäftigen. Häufig taucht auch die Theorie auf, dass die Einführung des Mobilfunkstandards 5G bei Corona angeblich eine Rolle spiele. Das Virus wird also gewissermaßen in vorhandene Theorien eingearbeitet. Aber man muss auch sagen: Diese Videos und Nachrichten verorten wir bei Weitem nicht nur in dieser Szene. Und es ist wichtig zu betonen, dass nicht jeder, der sich diese Dinge anschaut und weiterverbreitet, ein Verschwörungstheoretiker ist. Es sind eher verunsicherte Menschen aus allen Schichten der Bevölkerung, die das Gefühl haben, dass bei den offiziellen Informationen vermeintlich etwas fehlen könnte. Es geht bei unserem Portal also auch nicht darum, irgendwen zu denunzieren.

Wie begegnen Sie diesen oft ja mehr oder weniger wissenschaftlich angehauchten Videos und Sprachnachrichten? Es ist ja nicht ganz leicht, als medizinischer Laie sofort die Fehler und Lücken in den Argumenten zu finden.

Wir sind alle keine Mediziner, daher müssen wir immer Experten und offizielle Quellen hinzuziehen. Unsere Recherchequellen und -methoden legen wir in unseren Artikeln immer offen. Wir widerlegen die Behauptungen auf Basis offizieller Statistiken, Mitteilungen der World Health Organisation oder des Robert-Koch-Instituts und einzelner Virologen. Wobei sich bei Letzteren die Ansichten ja durchaus unterscheiden können.

Ist es dann nicht manchmal schwierig, überhaupt eine klare Grenze zwischen "richtig" und "falsch" zu ziehen?

Wir tun unser Bestes, aber Spekulationen können wir nicht überprüfen. Wir überprüfen auch keine Meinungen. Wenn etwa Herr Wodarg in den Raum stellt, dass Ärzte ein finanzielles Interesse an der Verbreitung des Coronavirus hätten, weil sie Tests und Impfstoffe verkaufen wollen, dann lässt sich das mit einem einfachen Faktencheck nicht überprüfen. Es ist keine Tatsachenbehauptung, sondern eine Prognose oder Unterstellung.

Alice Echtermann, Faktencheckerin bei Correctiv (Foto: IVO MAYR; Ivo Mayr/Correctiv)

Was machen Sie stattdessen?

Unser Artikel zu Herrn Wodarg war ein Hintergrundartikel, kein Faktencheck. Wir haben seine Argumente eingeordnet und erörtert, inwieweit seine Aussagen überhaupt etwas mit echter Wissenschaft zu tun haben. Bei Faktenchecks geben wir am Ende eine klare Bewertung von falsch bis richtig - das haben wir in diesem Fall nicht getan.

Im Fall von Youtube-Videos lassen sich die jeweiligen Urheber ja einigermaßen leicht zuordnen. Wie sieht das bei den Whatsapp-Sprachnachrichten aus? Kann man dort herausfinden, wo die Ursprünge liegen?

Das ist zumindest langfristig unser Ziel: Wir hoffen, dass wir nach einer gewissen Zeit unsere systematisch erfassten Daten auswerten und einsortieren können, woher die Inhalte kommen.

Sind diese Inhalte eigentlich immer rein national, oder gibt es zum Coronavirus auch Falschnachrichten, die weltweit kursieren?

Im deutschen Sprachraum funktionieren die Nachrichten grenzübergreifend, die Sprachnachricht, in der eine Frau bezüglich des Coronavirus vor den vermeintlichen Nebenwirkungen von Ibuprofen warnt, stammt etwa aus Österreich. Aber wir stellen auch fest, dass viele Inhalte aus dem Ausland ins Deutsche übersetzt werden: Es gab zum Beispiel Kettennachrichten, in denen dazu geraten wurde, die Luft anzuhalten oder alle 15 Minuten einen Schluck Wasser zu trinken, weil das angeblich das Virus in den Magen spüle, wo es dann absterben soll. Eine komplett absurde Botschaft, die sich aber weltweit verbreitet hat, in ganz Europa, Asien und den USA, immer übersetzt in die jeweilige Landessprache.

Wie geht man am besten vor, wenn Verwandte oder Freunde derartige Nachrichten schicken?

Wenn der Mensch, der die Nachricht geschickt hat, sowieso schon diese "Die lügen uns alle an"-Grundhaltung gegenüber den offiziellen Stellen hat, ist es schwer, dagegen anzukommen. Man sollte versuchen, ein vernünftiges Gespräch zu führen und zu vermitteln, was an der jeweiligen Nachricht schlicht unplausibel ist. Zunächst mal sollte man also fragen: Weißt du eigentlich, was die Quelle dieser Nachricht ist und welche Beweise es gibt? Falls jemand das verneint, aber trotzdem weiter an den Wahrheitsgehalt der Nachricht glaubt, wird es schwierig. Vielleicht hilft dann noch ein Appell an die Logik: Es wird ja zum Beispiel oft behauptet, das Coronavirus sei von irgendeinem Land mit Absicht in die Welt gesetzt worden - hier kann man dann etwa dagegenhalten, dass das Virus aktuell an keiner Grenze haltmacht

Bekommen Sie mittlerweile auch schon Zuschriften, die Sie als die eigentlichen Lügner bezeichnen?

Natürlich. Direkt zum Start unseres Portals wurden wir bereits auf Twitter als "Stasi" bezeichnet. Aber das sind wir längst gewöhnt.

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