Eine Nachricht aus Wuhan macht weltweit Schlagzeilen. Ein junger Arzt stirbt." Mit diesen Worten beginnt nach einem Intro die Dokumentation Wuhan des SWR, die an diesem Montag als "Story im Ersten" ausgestrahlt wird. Der Tod des Arztes Li Wenliang ist der Auftakt des rund 40-minütigen Films, den der SWR als Rekonstruktion des Ausbruchs der Corona-Pandemie angekündigt hat.
Der Arzt Li hatte bereits Ende Dezember vor der Ausbreitung eines SARS-ähnlichen Virus' in Wuhan gewarnt und war im Februar selbst an den Folgen seiner Covid-19-Erkrankung gestorben. Sein Tod erschütterte China und wurde für viele zu einem Symbol für das Versagen der Regierung - für die anfängliche Vertuschung des Ausbruchs, für das korrupte System der Partei. Der Zuschauer erfährt von diesem Schmerz, der Wut und Hilflosigkeit der Menschen aber wenig. Denn der Film nimmt eine andere Wendung.
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Der SWR zeigt eine Doku über die ersten Wochen der Pandemie in Wuhan. Doch ein eigenes Team hat die beauftragte deutsche Produktionsfirma nicht nach China geschickt. Stattdessen griff sie auf Material der Propagandabehörden zurück.
Um Li, heißt es in der Dokumentation, würden sich "eine Reihe von Verdächtigungen" ranken. Eine davon sei, dass China ihn mundtot gemacht habe. Was der Film als Verdacht schildert, ist ein Fakt. Li sollte zum Schweigen gebracht werden, das ist durch Unterlagen der Polizei belegt. Li wurde einbestellt und zum Schweigen verdonnert. Wegen Verbreitung von Gerüchten - allerdings nicht wegen der Verbreitung "von vertraulichen Patientendaten", wie die Dokumentation behauptet. Es ist nur eine Stelle von vielen, die in dieser Produktion Versäumnisse der chinesischen Regierung entweder verfälscht, auslässt oder herunterspielt. Zu Beginn heißt es sogar, "was hier (in Wuhan, d. Red.) genau passiert ist, in welchem Umfang getäuscht und vertuscht wurde, bleibt bis heute ein Rätsel". Dabei haben Journalisten in den vergangenen Monaten umfangreiche Belege für die Versäumnisse und Vertuschung durch Chinas Behörden recherchiert.
Die Süddeutsche Zeitung hatte am vergangenen Montag berichtet, dass der SWR für die Produktion der Dokumentation fast ausschließlich auf Filmmaterial des China Intercontinental Communication Center (CICC) zurückgegriffen hat. Zu Beginn der Dokumentation wird auf die Quellenlage eingegangen. Dort heißt es aber, dass das CICC eine "Filmproduktionsfirma" des Informationsbüros des chinesischen Staatsrats sei, die seit Jahrzehnten internationale Dokumentationen betreue. Ein anderer Hinweis würde dem Zuschauer klarer machen, worum es sich eigentlich handelt: nämlich um eine direkte Unterabteilung der chinesischen Propagandabehörden. Ihr Ziel ist es, ein positives Bild von China zu verbreiten und Kritik und negative Berichterstattung über das Land zu überspielen. Erwähnt wird zwar, dass das Material des CICC kein vollständiges Bild liefere und unter "nicht nachvollziehbaren Umständen" entstanden sei. Ausgeglichen wird dieser Mangel aber nicht. Aufnahmen von Bürgerjournalisten, Aktivisten oder Einwohnern aus Wuhan, wie es sie aus diesem Zeitraum gibt, wurden nicht verwendet. Eigene Interviews in China zeigt der SWR in diesem Film nicht. Die Interviews mit den chinesischen Experten hat die Propagandaabteilung geliefert. Dadurch ist auch nicht klar, welche Aufnahmen in dem Film einen dokumentarischen Charakter haben und welche gestellt sind.
Innerhalb der ARD sorgt die Kooperation offenbar für erhebliche Diskussionen
Das CICC hatte zudem bei der Kooperation eine "Beratungsfunktion" inne. Es konnte Versionen des Manuskripts einsehen und soll dabei auch auf Änderungen gedrungen haben, wie mehrere Quellen berichten. Die Produktionsfirma Gebrüder Beetz Filmproduktion hat sich trotz mehrfacher Anfragen gegenüber der SZ dazu bisher nicht geäußert. Korrespondenten der ARD, die formal vom NDR entsendet werden und vor Ort in Peking arbeiten, waren in die Recherchen nicht eingebunden. Sie wurden auch nicht informiert, obwohl eine solch heikle Kooperation Konsequenzen für ihre Arbeit haben könnte.
Innerhalb der ARD-Anstalten sorgte das Vorgehen diese Woche für erhebliche Diskussionen, wie mehrere Mitarbeiter berichten. Die Rede war von einer "totalen Katastrophe" und einem "Desaster" für den Sender. Diskutiert wurde zuletzt auch die Produktion eines Streitgespräch über die Nutzung des verwendeten Materials, das nachträglich gemeinsam mit dem Film in die Mediathek gestellt werden sollte.
Offiziell rechtfertigte der SWR die Kooperation mit dem CICC weiterhin mit einem "äußerst gründlichen Absichern aller Informationen", die über den üblichen Rechercherahmen hinausgegangen sei. Der SWR soll die Dokumentation aufgrund der massiven Kritik nach der Berichterstattung noch überarbeitet haben. Der Termin, zu dem der Film Journalisten zugänglich werden sollte, verschob sich mehrfach. Dass in den vergangenen Tagen noch Filmmaterial gedreht wurde, belegt ein Screenshot, mit dem der Zuschauer erklärt bekommt, was das CICC ist. Auch der Name der Dokumentation wurde noch einmal geändert. Von "Inside Wuhan" zu "Wuhan". Auf Anfrage erklärte der SWR, der in der offizielle Ankündigung des Films verwendete Name sei nur ein Arbeitstitel gewesen. Man habe ihn geändert, weil er einen Anglizismus beinhaltet habe.
Reinhard Bütikofer, Leiter der China-Delegation des EU-Parlaments und Grünen-Politiker, erklärte als Reaktion auf die Berichterstattung, es sei gut, zu hinterfragen, durch "welche Regularien und insbesondere durch welche Transparenzregeln ARD-Anstalten (und ZDF) sicherstellen, dass sie nicht zu Transporteuren chinesischer Propaganda werden, und wie sie diese Regularien gegenüber von ihnen beauftragten Produktionsfirmen durchsetzen". Johannes Vogel von der FDP, Vize-Vorsitzender der Deutsch-Chinesischen Parlamentariergruppe, sprach von "Naivität". Gerade weil man in Zeiten von Fake News starke Medien und den öffentlichen-rechtlichen Rundfunk dringend brauche, sei die Kooperation "ein schwerer Fehler". Es herrsche eine "mangelnde Sensibilität in den Köpfen für das Ausmaß des neuen Systemwettbewerbs" mit China.
Wuhan - Chronik eines Ausbruchs, ARD, 22.45 Uhr.
Der SWR hat entschieden, die Dokumentation kurzfristig aus dem Programm des Ersten zu nehmen, mehr dazu in Kürze auf SZ.de.