Comedian:Warum Chris Tall Witze über Behinderte machen darf

Chris Tall

Chris Tall - der Erfolg kam übers Netz.

(Foto: dpa)

Darf der das? Sich über Frauen, Behinderte und Schwarze lustig machen? Chris Tall darf - dieses eine Mal.

Von Paul Katzenberger

Zu den Eigenschaften des Internets zählt, dass es im Tagesrhythmus Menschen und Dingen eine Öffentlichkeit verschafft, die in erster Linie von banaler Natur sind. Seien es die Metallstifte, die an einem Gebäude des Berliner Pannenflughafens BER einen Schatten werfen, der wie SS-Runen aussieht, oder YouTube-Helden wie Simon Unge, die ihren nichtssagenden Alltag zum Hype aufblasen - stets findet sich im Netz ein riesiges Publikum, das sich aufs Einfachste belustigen lässt.

Nun reüssiert Chris Tall in eben dieser digitalen Sphäre. Zu Starruhm brachte er es dort durch einen Auftritt bei Stefan Raabs TV Total, wo er Ende Oktober dazu aufgerufen hatte, doch auch mal Witze über Leute zu machen, die im Rollstuhl sitzen, oder Schwarze, Schwule oder Frauen.

In seiner schnell erfassbaren Primitivität ist das so recht nach dem Geschmack des Netzes: Auf YouTube fand Talls Liveact bei Raab mit inzwischen mehr als drei Millionen Abrufen ein riesiges Publikum. In den sozialen und auch in den etablierten Medien wird dem Twen plötzlich gewaltige Aufmerksamkeit zuteil. Mehr als eine halbe Million Likes hortete er bei Facebook. Sein Running Gag #darferdas ist schon ein geflügeltes Wort der sozialen Netzwerke.

Das muss per se noch längst nicht für Originalität sprechen, doch Talls Viralität ist wohl doch mehr als die Geburt eines Internet-Stars à la Metallstifte. Er selbst sieht sich als Stand-up-Comedian der alten Schule und hat gute Argumente dafür: Er ist mehrfach prämiert. Der RTL Comedy Grand Prix 2013, der Hamburger Comedy Pokal 2014 und der Stuttgarter Besen 2015 wurden ihm schon zuerkannt.

Seine Pöbeleien stehen neben einer begründeten These

Besagte Frage "Darf er das?" bildet nun den entscheidenden Kniff seines neuen Coups. Indem er sie mit den derben Provokationen in Richtung Schwarzer ("Großer Penis, rennt schnell"), Frauen ("Menschen mit Menstruationshintergrund") oder Behinderter ("Haben wir heute Rollstuhlfahrer hier? Wenn ja, bitte einmal aufstehen") verbindet, zieht er eine Metaebene ein, die sein Holzen gegen Randgruppen überhaupt erst legitimiert. Denn dadurch stehen seine Pöbeleien neben einer begründeten These: Stigmatisieren wir Behinderte, Schwarze und Frauen nicht gerade erst dadurch, dass wir uns krampfhaft verbieten, Witze über sie zu machen - sie also aus einem Teil unserer Kommunikation auszuschließen?

Genau so sei es, sagt einer, der es aus eigenem Erleben wissen muss: Ilja Seifert sitzt seit einem Badeunfall im Rollstuhl und setzt sich als Vorsitzender des Allgemeinen Behindertenverbandes für die Rechte von Menschen mit Behinderungen ein. "Es ist tatsächlich eher diskriminierend, jemanden wegen bestimmter Eigenschaften oder Merkmale aus der allgemein üblichen Kommunikation auszuschließen", sagte er zu Focus.de. Zur zwischenmenschlichen Verständigung zähle nun mal, dass man sich necke, mit- und übereinander lache und manchmal auch verärgere.

Wer wollte da als Nicht-Behinderter noch widersprechen?

Haben Privilegierte das Recht, von Randgruppen Humor einzufordern?

Und doch stört etwas an dem Gedanken, dass Tall mit seiner Grenzüberschreitung unsere Gesellschaft am Ende sogar besser machen könnte.

Denn was ist, wenn manch Schwarzer es vielleicht nicht so toll findet, auf seinen möglicherweise großen Penis reduziert zu werden und der ein oder andere Behinderte derbe Späße über seine Beeinträchtigung eben doch geschmacklos findet? Haben wir als Privilegierte tatsächlich dann immer noch das Recht, von diesen Randgruppen Humor einzufordern? Auch diese Frage sollte mitklingen, wenn Tall sein Publikum fragt, ob er das darf, was er macht.

Außerdem sind die politisch Korrekten, die Tall aufspießt, ein denkbar ungeeignetes Ziel für Satire. An gelungene Sottiesen stellt etwa der Comedian und Grimme-Preisträger Jesko Friedrich eine einfache Anforderung: "Gute Satire, die im Gegensatz zur reinen Comedy auch ein gesellschaftliches Anliegen anspricht, darf keinen Feind aufs Korn nehmen, der bei genauerem Hinsehen Recht hat", sagt er.

Und genau das ist das Problem bei der satirischen Auseinandersetzung mit politisch Korrekten. Sie mögen mit ihrem Verhalten die Ausgrenzung von Randgruppen bewirken, die Seifert bemängelt. Doch oft genug werden die Anliegen politisch Korrekter von einer großen Zahl von Menschen geteilt. Darf Chris Tall politisch Korrekte also durch den Kakao ziehen? Niemand wird es ihm aus ethischen Gründen ernsthaft verbieten können. Aber ergibt sein Gewitzel überhaupt einen nachhaltigen Sinn, wenn diejenigen, die da verhöhnt werden, für viele gar nicht als Spottobjekt taugen?

Er wird seinem eigenen Appell kaum nachkommen

Bleibt die Frage, ob Tall wirklich mit seiner Kritik an politischer Korrektheit ernst genommen werden will, oder ob es ihm letztlich nur um den Hype ging, den er so trefflich entfachen konnte. Vieles spricht für Letzteres. Denn andernfalls müsste er seinem eigenen Appell nachkommen und möglichst viele Witze über Randgruppen reißen. Dass dies geschehen wird, ist kaum anzunehmen. Denn nimmt man die Frage "Darf er das?", die nur einmal originell ist, heraus, dann steht diese Art von Scherz ziemlich schnell nackt da: primitiv und wenig originell. Und dafür ist Chris Tall als Comedian dann doch zu clever.

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