Süddeutsche Zeitung

Biopic bei Netflix:Das Private ist politisch

"Colin in Black & White" erzählt eindrucksvoll, wie der Footballstar Colin Kaepernick zum Aktivisten wurde.

Von Sofia Glasl

Frisuren können politischer sein als der erste Blick vermuten lässt. Das muss das Sport-Ass Colin entgeistert feststellen, als er sich sogenannte "Corn Rows" flechten lässt. Die eng am Kopf anliegenden Zöpfe sind wichtiger Bestandteil der afroamerikanischen Kultur - und somit offenbar in seiner weißen Umgebung schon per se ein Affront. Er sähe aus wie ein "thug", ein Gangster, wirft ihm dann auch seine weiße Adoptivmutter beim Abendessen vor. Der Schmerz bei dem Jungen sitzt tief.

Die Miniserie Colin in Black & White eröffnet mit einem vermeintlich privaten Zwist, zögert jedoch nicht lange, um das Politische in derlei kleinen Konflikten aufzuzeigen. Dafür muss man wissen, dass diesen Teenager nur wenige Jahre später ganz Amerika kennen wird: Colin Kaepernick wurde Anfang der 2010er-Jahre als Quarterback der San Francisco 49ers zum Footballstar. Weltweit machte er 2016 mit einer Protestaktion gegen Rassismus auf sich aufmerksam. Bei einem Trainingsspiel stand er während der amerikanischen Nationalhymne nicht auf, sondern er kniete nieder. Die Black-Lives-Matter-Bewegung machte den Kniefall zu einem Symbol für den Protest gegen Polizeigewalt. Kaepernick wurde am Ende der Saison entlassen und ist seither ohne Vertrag.

Es geht nicht nur um Kaepernick, die Serie ist faktenreiches, kluges Dokutainment

Dieses Wissen setzt die Serie Colin in Black & White voraus, denn sie will kein Biopic sein, sondern ist ein weiterer Schritt in Kaepernicks Aktivismus. Er selber hat die Show mit der Filmemacherin Ava DuVernay entwickelt, die auf Bürgerrechtsthemen spezialisiert ist und für ihren Dokumentarfilm The 13th von 2016 über die strukturelle Benachteiligung von Afroamerikanern im amerikanischen Justizsystem und ihre Gründe für den Oscar nominiert war.

In einer Mischung aus Spielszenen und Erklärstücken verknüpft Colin in Black & White Kaepernicks Jugend mit afroamerikanischer Kulturgeschichte und einer Analyse der rassistischen Strukturen im amerikanischen Profisport. "Manch einer wird sagen, das System sei kaputt. Ich bin hier, um Euch zu sagen, dass es absichtlich so angelegt wurde." Kaepernick selbst unterbricht den Erzählfluss immer wieder, tritt als Kommentator und Moderator seiner eigenen Geschichte auf.

In der gesamten ersten Folge geht es deshalb mit mehreren Exkursen um seine Zopffrisur - darum, wie sein Basketballidol Allen Iverson in der NBA mit derselben Haartracht für einen Skandal sorgte; wie sein Trainer erzürnt bei den Eltern anruft - und die erst mal nachgeben, ohne zu merken, dass sie damit rassistische Strukturen reproduzieren; und wie seine Mutter letztendlich nachgibt und unbeholfen mit ihm zu einem spezialisierten Friseursalon geht.

Kaepernick macht klar, dass es ihm nicht nur darum geht, zu erzählen, wie er vom Ausnahme-Sporttalent seiner Highschool zum Aktivisten wurde. Vielmehr will er zeigen, wie alltäglich seine Erfahrungen mit Rassismus eigentlich sind, auch historisch betrachtet. Wie ein Showmaster zieht er dafür Einspieler aus Nachrichtenbeiträgen und Statistiken genauso heran wie Zitate aus Rap-Klassikern und Spielfilmen, streut sogar historische Reenactments ein. Was zu trockener Didaktik hätte geraten können, sind sechs Folgen kluges Dokutainment geworden, das die Verflechtungen von historischen Strukturen, gesellschaftspolitischen Ideologien und (Pop-)Kulturgeschichte auf den Punkt bringt.

Colin in Black & White, sechs Folgen, auf Netflix.

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