Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Der Gasgeber

Clemens Hagen, der mithalf, den "Wiener" als "Tempo" nach Deutschland zu bringen, ist tot. Zuletzt brachte er die "Abendzeitung" wieder mit auf Kurs.

Von Andrian Kreye

Wenn einer von uns aus der vordigitalen Zeit stirbt, wird mit einem Male klar, wie lange die schon her ist. Clemens ist tot. Um die Nähe gleich zuzugeben. Clemens Hagen, zuletzt in der Ressortleitung Politik bei der Abendzeitung. Aber an jenem Abend im Münchner Frühling vor fast vierzig Jahren war er noch nix, wie wir beiden anderen, die sich am nächsten Morgen mit ihm nach Wien aufmachten. Dort brachten Leute, die in unserem Alter schon was waren, eine Zeitschrift mit dem Titel Wiener heraus. Die war wie heute eines dieser Rabbit Holes im Netz, durch die man in Welten verschwinden kann, die so viel grandioser sind als die eigene. Wir waren Fans. Die Wiener wollten nach Deutschland, hieß es. Wir fuhren hin. Autobahnen und Telefone waren die Kanäle, durch die man kommunizierte. Telefon war Clemens zu vorsichtig. Er gab lieber Gas. Metaphorisch und in echt.

So standen drei Münchner beim Chef Markus Peichl im Vorzimmer, ohne Termin, ohne Anlass. Die Sekretärin war verzweifelt, schob uns mit dem Redaktionstrinker in eine Weinbar ab. Dann doch noch Kaffee mit Peichl. Deutsche Testballons wurden geplant mit dem Wiener, der in Deutschland dann Tempo heißen sollte.

Ich blieb dort zehn Jahre bis zum Schluss. Clemens zog es nach den euphorischen Anfängen bald in handfestere Gefilde. Welt, Bild, Sport Bild, Abendzeitung. Gerne als Nummer zwei, weil man da nun mal ein schöneres Leben hat. Deswegen waren es bei seiner Trauerfeier am Donnerstag auch keine Filter, die das Licht des Mittelmeeres und der Nachtlokale über die vielen Bilder auf der Leinwand legten.

Eine große Liebe passt nicht in einen kurzen Text

Einmal war er Chef, bei Sport 1, einem der ersten Sportportale im deutschen Internet. Dann kehrte er zum Gedruckten zurück. Kann man immun sein gegen die Viralität des Digitalen? Als Vizechef Bild München und dann bei der Abendzeitung war er ja immer unterwegs. Selten sah man ihn mit einem Handy, und wenn, dann telefonierte er.

Mit der Abendzeitung verband ihn aber nicht nur die Liebe zum Papier, sondern auch die echte. Wie groß die war, konnte man in dem vielleicht besten seiner Texte nachlesen, dem Buch "Neun Minuten Ewigkeit", das 2014 erschien. Das schrieb er gemeinsam mit seiner späteren Frau Kimberly Hoppe, die bei der Abendzeitung die Rolle der rasenden Reporterin fortführt, die Michael Graeter begründete und Helmut Dietl mit der Serienfigur Baby Schimmerlos zum ewigen Münchner Mythos machte. Als ein Blutgerinnsel Clemens neun Minuten in den klinischen Tod und für Wochen ins Koma beförderte, war sie an seiner Seite. Gemeinsam schrieben sie dann auf, welche Abgründe lauern, wenn einen das Leben schon verlassen und der Tod noch nicht ganz gepackt hat. Und sie zeigten, dass eine große Liebe nicht in einen kurzen Text passt. Weswegen dieses Buch viele so berührte.

Nur wenige Hundert Meter von jenem Zimmer entfernt, in dem einst der Plan für die Wienfahrt gefasst wurde, liegt Clemens nun unter einer sonnigen Wiese. Er wurde 59 Jahre alt. Und wenn man ihm mit dem ganzen Bravado der vordigitalen Zeit noch einen Einzeiler nachschicken will: Er war ein Macher, kein Nutzer. Adieu.

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