Zum Tod von Claus Seibel:Immer bei sich

Zum Tod von Claus Seibel: Nachrichtensprecher Claus Seibel (1936-2022).

Nachrichtensprecher Claus Seibel (1936-2022).

(Foto: Hermann Wöstmann/picture alliance/dpa)

Mehr als 30 Jahre lang verlas Claus Seibel die "heute"-Nachrichten - als einer derjenigen, die einen begleitet haben und am Ende doch mehr Gutes als Schlechtes zu berichten hatten. Ein Nachruf.

Von Holger Gertz

Erinnerung an einen Besuch bei Claus Seibel, Sommer 2001. Seine schöne Wohnung in Wiesbaden, er hatte Wein und jede Menge Zeit. Und diese Stimme, gerade noch mal nachgelesen in der Geschichte von damals: "Seine Stimme hört sich immer gleich an, bei der Verabredung zum Interview am Handy klingt sie wie im Fernsehen, durch die Gegensprechanlage seiner Wohnung klingt sie wie im Fernsehen, beim Gespräch klingt sie wie im Fernsehen." Es mag, einerseits, nicht sehr spektakulär sein, dass eine Stimme sich treu bleibt. Andererseits: Auch diese Verlässlichkeit erklärt, warum alte Nachrichtensprecher und Nachrichtensprecherinnen einem so ans Herz gewachsen sind.

Seibel, der 1971 zum ersten Mal die heute-Nachrichten verlesen hat, war ein Mann des alten Fernsehens, der alten Bundesrepublik. Kein Anchorman, sondern einer der Unauffälligen. Er moderierte keine Talkshow nebenher, er ließ sich keinen Schnauzbart stehen und war damit Tagesgespräch, wie der ARD-Kollege Karl-Heinz Köpcke. Seibel war die Kategorie Otto Diepholz und Gerhard Klarner: ZDF-Menschen, die einem das Weltgeschehen nahebrachten, und von denen man sonst kaum etwas wusste und auch nicht ergoogeln konnte. Dass das Farbfernsehen erfunden worden war, hatte sie als Person nicht griffiger gemacht. Jean-Philippe Toussaint, der belgische Schriftsteller, hat nicht nur über die Melancholie des Fußballhelden Zinédine Zidane nachgedacht, sondern auch über Claus Seibel: "Ich verwechsle sie alle ein wenig, diese Nachrichtensprecher, trotz der drei Millionen kleiner Punkte aller Farben, die sie charakterisieren."

Kaum je verhaspelte er sich oder raschelte postpubertär mit dem Notizpapier wie Köpcke

Sich an Seibel zu erinnern bedeutet, sich an eine Fernsehzeit zu erinnern, die nicht besser war, aber anders. Eine Marke werden musste man damals nicht, um seinen Stammplatz im TV verteidigen zu können. Obwohl gerade er eine Marke hätte werden können: Claus Seibel, perfekt sitzender Anzug, Krawattenmann des Jahres 1988, der mehr Wärme ausstrahlte als die Ansager Diepholz oder Heinz Wrobel. Vielleicht war er überqualifiziert für seinen Job, aber weil er trotzdem immer bei sich war und nicht mal durch die Spielshows tingelte als Kandidat, ist Seibel der Nachrichtensprecher Seibel geblieben, bei heute von 1971 bis 2005. Kaum je verhaspelte er sich. Nie raschelte er, wie Köpcke, postpubertär mit dem Notizpapier. Nie verlor er die Fassung. Nur einmal fast, davon hat er damals beim Besuch erzählt. 1990 musste er die Zuschauer über den Tod seines Kollegen Klarner unterrichten: Publikumsliebling, Alltagsbegleiter, jahrzehntelang Sprecher, verlässlich. Seibel hätte fast geweint, als er die Todesnachricht las, aber es war zum Glück die letzte Meldung, dann musste er nur noch zum Wetter überleiten.

Am Dienstag ist Claus Seibel, 85, gestorben. Er sei ein Grandseigneur gewesen, steht in den Nachrufen. Und es ist jetzt ähnlich wie beim Tod etwa von Hajo Friedrichs, Ulrike von Möllendorff, Wilhelm Wieben: Man erinnert sich an Nachrichtensprecher, die einen begleitet haben, und die am Ende doch mehr Gutes als Schlechtes zu berichten hatten. Und es fühlt sich gerade an wie die Erinnerung an eine Zeit, die nicht mehr zurückkommt.

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