Wie vom Krieg berichten? Welche Bilder dem Publikum zumuten? Gerade hat der Deutsche Presserat dazu aufgerufen, "sorgsam" mit der Auswahl von Fotos aus dem Kriegsgebiet umzugehen. Es sei "zwischen dem Informationsinteresse der Leserschaft und den Interessen von Opfern und deren Angehörigen abzuwägen". Nur wie? Gespräch mit Claudia Paganini, Professorin für Medienethik an der Hochschule für Philosophie in München, die diese Woche auch im SZ-Podcast "Auf den Punkt" zu Gast war.
SZ: Ein Bild einer getöteten Familie aus der Ukraine in der New York Times Anfang März hat eine Debatte ausgelöst: Welche Bilder sollen und dürfen Medien zeigen?
Claudia Paganini: In der Ethik gibt es keinen Gesetzgeber. Wir selbst müssen uns fragen: Wie definieren wir gutes journalistisches Handeln? Bei der Kriegsberichterstattung denke ich da in erster Linie an die Persönlichkeitsrechte der Opfer, die abgebildet werden, an Privatsphäre und Respekt. Und mir scheint relativ klar, dass so eine Abbildung dagegen verstößt. Das Opfer wird ins Rampenlicht gezerrt, ohne selbst eingewilligt zu haben. Es interessiert nicht das Schicksal oder der ermordete Mensch, sondern nur das Narrativ, das man damit rüberbringen kann. Das ist in meinen Augen sehr problematisch.
Der überlebende Vater aber war nachträglich für die Veröffentlichung.
Das macht die Sache nur ein bisschen besser, denn es heißt eben nicht, dass die tote Tochter auch dafür gewesen wäre. Man muss immer an das konkrete Individuum denken, ähnlich wie in der Medizinethik: Angehörige und Patienten haben oft sehr unterschiedliche Ansichten. Wenn jemand im Koma liegt, kann man den Wunsch der nächsten Angehörigen nicht eins zu eins als Wunsch des Betroffenen nehmen.
Aber sollte man nicht abbilden, wie der Krieg nun mal ist, welche Gräuel etwa in Butscha passiert sind?
Klar, aber man muss nicht unbedingt die konkrete Person zeigen. Es gibt viele andere Blickwinkel, die auch die Destruktivität und die Brutalität des Krieges abbilden können. Das zeigen ja auch schon verwüstete Straßenzüge, die etwas im Betrachter auslösen. Natürlich kann sich ein Medienunternehmen durch die Bilder von Verletzten und Leichen einen ökonomischen Vorteil verschaffen, weil das die Klicks in die Höhe treibt. Andererseits können solche Bilder auch gegen den Krieg mobilisieren, die Menschen aus der Gleichgültigkeit treiben. Allerdings muss man da auch aufpassen, dass Journalismus nicht in Aktivismus abgeleitet.
Das Grauen von Vietnam übte einst öffentlichen Druck aus.
Die Normen und Regeln, die wir uns selbst setzen, verändern sich und sind situationsabhängig. Im Vietnamkrieg entstand Kritik durch schockierende Bilder. Aber ich denke nicht, dass wir das heute so noch brauchen. Wir haben in Europa einen Konsens, dass Krieg negativ ist, und versuchen, diplomatische Wege zu gehen.
Was ist die Alternative?
Bilder, die Empathie auslösen und positive Gefühle wecken. Ich denke, wir sind in einer etwas distanzierten Zeit, in der Menschen - vielleicht auch durch die Corona-Krise - sehr auf sich bezogen sind. Vielleicht brauchen wir jetzt Bilder, die den Fokus umlenken und zeigen: Das, was in der Ukraine passiert, sollte uns nicht gleichgültig sein, das sollte uns empören, und wir sollten uns engagieren wollen.
Soll Journalismus also pädagogisch agieren?
Wir sind sensibler und aufmerksamer geworden, was Grenzüberschreitungen betrifft. Daher sage ich lieber: verantwortungsvoll. Journalisten sind in Krisensituationen in einer exponierten Situation, in der ihnen eine besondere Verantwortung zukommt.
Die Bilder vergangener Kriege brannten sich ins kollektive Gedächtnis ein. Jeder kennt etwa das Foto vietnamesischer Kinder, die vor US-Napalmbomben fliehen .
Wenn wir die Fotoikonen des 20. und 21. Jahrhunderts Revue passieren lassen, dann waren es nicht unbedingt brutale oder spektakuläre Bilder. Bei den Anschlägen vom 11. September 2001 gab es viel schockierendes Bildmaterial, aber ikonografisch ist etwas anderes geworden: das Bild von den Feuerwehrleuten, die die Fahne auf Ground Zero hissen. Was für Bilder letztendlich als ikonografisch gelten, das hat vor allem mit den Emotionen innerhalb der Gesellschaft zu tun. Welches Bild trifft genau den Zeitgeist und die Empfindungen der Menschen? Das sind die Motive, die herausstechen.
Bleiben wir bei der Empathie. Die SZ hat 2015 das Foto des ertrunkenen Flüchtlingskindes Aylan Kurdi nicht gezeigt, andere schon. Was war richtig?
Es nicht zu zeigen. Letztlich wurde da ein kleiner Junge in die Öffentlichkeit gezerrt und missbraucht. Wenn auch für ehrenwerte Motive.
Das Zwei-Quellen-Prinzip ist Standard jeder seriösen Redaktion. Gerade kann es nicht immer angewandt werden, oft heißt es: nicht zu verifizieren. Wie bewerten Sie das?
Ich beobachte das mit Interesse, da es eine positive Entwicklung in Richtung Transparenz zeigt. Und wer weiß schon, ob es die eine, offensichtliche Wahrheit gibt?
Wie weit sollten Kriegsreporter gehen, um zumindest eine Annäherung an die Wahrheit zu zeigen?
Das ist eine Frage der Individualethik. Die einen setzen sich kompromisslos für diese Art von Informationsbeschaffung ein, begeben sich in Gefahr und nehmen auch Schaden am eigenen Leben in Kauf. Diese Menschen wird es immer geben. Andere recherchieren eben eher im Hintergrund. Es braucht sie alle für guten Journalismus.