WM-Kommentatorin Claudia Neumann:Der Fußball und seine Fans haben ein Problem
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Eine Frau kommentiert bei der Fußball-WM im Fernsehen live Spiele - und wird aufs Übelste beschimpft. Wahnsinn, dass man immer noch sagen muss, was für ein sexistischer Dreck das ist.
Kommentar von Julian Dörr
Am wütendsten macht tatsächlich, dass es diesen Text überhaupt geben muss. Es gab ja alles, was gleich folgt, vor zwei Jahren schon einmal fast genau so. Aber ganz offensichtlich hat sich seitdem wenig geändert. Was verwundern kann, wenn man bedenkt, was 2017 und auch 2018 bislang für irre Jahre waren: Weinstein gestürzt, Spacey aus einem Film getilgt, der Literaturnobelpreis an einem großen Missbrauchs- und Korruptionsskandal zugrunde gegangen. Man hätte meinen können, es hätte sich etwas zum Guten verschoben in der Gesellschaft.
Offensichtlich aber verpuffen all die Debatten und Diskussionen, die Streitgespräche über übergriffiges Verhalten, über körperliche und verbale Gewalt und die Erkenntnisse über Sexismus und #MeToo, sobald es um die männlichste Männerdomäne überhaupt geht: den Fußball.
Wir erleben gerade, dass der Fußball - auch und vor allem auf der Fanseite - noch immer durchdrungen ist von sexistischen Vorurteilen und Geschlechterstereotypen aus den finsteren Fünfzigern. Man sieht das an der Werbung, die einem zur WM-Zeit von einem großen Backmischungshersteller präsentiert wird ("Back deinen Mann glücklich"). Und man sieht das an den Kommentaren, die gerade über die Sport-Kommentatorin Claudia Neumann hereinprasseln.
Alle Sportkommentatoren sind Zielscheiben des Hasses und des Frusts
Claudia Neumann hat für das ZDF ein Spiel der Fußballweltmeisterschaft kommentiert. Nicht ihr erster Einsatz bei dieser WM. Nicht ihr erster Einsatz bei einem großen Turnier. Schon 2016 hat sie als erste Frau ein Fußball-EM-Spiel kommentiert. Die Folge war ein beängstigender Shitstorm in den sozialen Medien. Jetzt ist 2018 - und nichts hat sich geändert. Neumann kommentiert, und der Wahnsinn geht weiter: Das ZDF hat eigens sein Social-Media-Team aufgestockt. Beleidigende Kommentare werden gelöscht. Übrig bleiben Twitter-Sätze wie dieser: "Jawoll, Donnerfotze Claudia Neumann versaut mir jetzt auch noch das Kolumbien Spiel." Man kann von hier aus hochrechnen, was da alles gepostet und gelöscht wurde, wenn das ZDF-Team Sätze wie diesen stehen lässt.
Kurz eingeschoben: Neumann hat Fehler gemacht. Ziemlich große und ziemlich offensichtliche sogar. Beim Spiel Japan gegen Kolumbien hat sie den japanischen Siegtorschützen Yuya Osako dem Verein Mainz 05 zugeordnet. Er habe mit seinen sieben Toren einen großen Anteil am Klassenerhalt der Mainzer gehabt, sagte Neumann. Nur: Osako spielte beim 1. FC Köln. Sein Mannschaftskollege Yoshinori Muto spielt für Mainz. Der saß aber auf der Bank und hatte auch keine sieben Tore für seine Mannschaft erzielt. Den Kolumbianer Juan Cuadrado, der sich auf der rechten Seite gnadenlos festgelaufen hatte und deshalb folgerichtig ausgewechselt wurde, nannte sie den "agilsten" Kolumbianer. Dabei kam er mit keinem einzigen Dribbling oder Schuss an seinen Gegnern vorbei.
Claudia Neumann hat also Fehler gemacht. Fehler sind - so geht das wohlbekannte Sprichwort - menschlich. Sie unterlaufen allen, Männern wie Frauen. Die irrsinnige Realität aber: Hat man schon einmal einem Mann, der einen Fußballspieler falsch eingeordnet hat, mit Vergewaltigung gedroht? Niemals. Wenn Claudia Neumann ein Spiel kommentiert, dann kocht in den Kommentarspalten des Internets - jetzt mal ganz vorsichtig formuliert - der niederträchtigste, sexistischste und dümmste Dreck nach oben.
Ich habe noch nie eine Frau so laut "Boah ist der kurz" schreien hören wie Claudia Neumann.
Ich glaube ja das Claudia Neumann nicht mal 'ne vernünftige Kartoffelsuppe kochen kann.
Nun sind alle Sportkommentatoren Zielscheiben des Hasses und des Frusts. Zu Hause auf der Couch wissen es immer alle besser als die Experten. Aber Claudia Neumann wird eben nicht "nur" genauso schlecht behandelt wie ihre männlichen Kollegen. Klar, wenn Béla Réthy kommentiert, dann heißt es bei Twitter, er solle in Rente gehen, er sei unqualifiziert und überhaupt der größte Dummschwätzer des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Aber es geht doch meist um die Sache, um eine spezielle Situation.
Niemand spricht ihm aufgrund seines Geschlechts die Fähigkeit ab, 90 Minuten lang zu beschreiben und zu analysieren, was auf dem Feld vor ihm passiert. Claudia Neumann hingegen "soll beim ZDF den Flur wischen" statt Fußball zu kommentieren, um einen der weniger expliziten Tweets zu zitieren. Das ist keine Kritik an der Arbeit einer Kommentatorin. Das ist Sexismus.
2018 ist tatsächlich eine irre Zeit. Frauen dürfen wählen, Auto fahren und Fußballspiele kommentieren. Sie dürfen das gut oder schlecht machen. Und ob sie das gut oder schlecht machen, hat nichts mit ihrem Geschlecht zu tun. Wahnsinn, dass man das immer noch sagen muss.