Süddeutsche Zeitung

Arte-Doku über Claude Sautet:Lob der Eigenbrötelei

Niemand drehte so tröstliche Filme wie Claude Sautet. Ein Dokumentarfilm erzählt das Leben des großen französischen Regisseurs.

Von David Steinitz

"Wenn man schüchtern ist", sagte der Regisseur Claude Sautet, "sieht man die Gesichter der anderen besser." Ein guter Beobachter der Menschen zu sein, das ist natürlich die wichtigste Gabe, die man als Filmemacher haben kann.

Zwischen den Popstars der Nouvelle Vague, vor allem den Rampensäuen Jean-Luc Godard und François Truffaut, ging Sautet immer ein wenig unter. Nicht nur bei der Verteilung des Nachruhms, sondern schon zu Lebzeiten. Er war ja schüchtern.

Trotzdem sind seine Filme - "Die Dinge des Lebens", "Das Mädchen und der Kommissar", "Mado", "César und Rosalie" - besser gealtert als viele andere Klassiker des französischen Kinos. Die verrauchten Cafés, die verwunschenen Landsitze und die alten Pariser Straßenzüge, durch die er seine Protagonisten mit ihren Liebesleiden stolpern ließ, sind natürlich längst verschwunden: Ein Frankreich, wie es im 20. Jahrhundert vielleicht wirklich mal kurz existiert hat, vielleicht aber schon damals nur eine Erfindung des Kinos war. Aber seine Filme besitzen mit ihrer unendlichen Melancholie, mit der sie von den Irrungen und Wirrungen des Lebens erzählen, eine fast schon magische Zeitlosigkeit.

Mit "Die Dinge des Lebens" wurde er zum Regie-Superstar

Der französische Dokumentarfilmer Amine Mestari hat über den introvertierten Eigenbrötler für Arte die Dokumentation "Claude Sautet - Regisseur der Zwischentöne" gedreht, die in der deutschen Fassung vom Schauspieler Matthias Brandt erzählt wird, einem Sautet-Bewunderer.

Amine Mestari hat dafür alte Interviews aus den Archiven geholt, die rührende Zeitdokumente sind. Einmal, weil sie zeigen, dass es tatsächlich eine Zeit und einen Ort in der Menschheitsgeschichte gab, in der zur besten Sendezeit Filmregisseure im Fernsehen ausführlich und rauchend über ihre Gefühle gesprochen haben. Vor allem aber sind diese alten Interviews schön anzusehen, weil Sautet sein Gesicht nicht wie Godard in jede Kamera hielt und eine Show daraus machte, sondern viel seltener auftrat. Er wirkt in diesen Aufnahmen, als sei die Kamera, die er selbst so gnadenlos auf seine Schauspieler hielt, auf Romy Schneider und Michel Piccoli, Lino Ventura und Yves Montand, ihm selbst eher peinlich.

Anhand dieser Interviews, Aufnahmen von Dreharbeiten und vielen Ausschnitten aus seinen Filmen erzählt Amine Mestari von einer Karriere, die fast nicht zustande gekommen wäre. Seine erste Lebensladehemmung bekam Sautet, Jahrgang 1924, qua Geburt mit auf den Weg. Er war das dritte von vier Kindern, nicht der Älteste, nicht der Jüngste, irgendwo versteckt in der Mitte - weshalb er sich selbst zeitlebens als unbedeutend empfand, wie er sagt. Erst Ende der Vierzigerjahre, als der Krieg vorbei war und er in Paris die Filmhochschule besuchte, kam er in Kontakt mit einer Sprache, die er, der Außenseiter, der Beobachter, sofort verstand: der Sprache des Kinos.

Er fasste schnell Fuß im Filmgeschäft, aber zunächst nicht als Regisseur, sondern als "Neubesohler". So nannte der Kollege François Truffaut ihn belustigt, weil Sautet jahrelang erfolgreich, aber eben auch heimlich, still und leise als Skript-Doktor arbeitete, Drehbücher umschrieb und aufpolierte.

Schließlich lernte er den Schauspieler Lino Ventura kennen, der im Gegensatz zu Sautet längst ein Star war. Dem charismatischen Ventura gefielen die Gespräche mit dem grüblerischen Schreiberling. Sie drehten 1960 gemeinsam "Der Panther wird gehetzt" mit Ventura in der Hauptrolle und Sautet auf dem Regiestuhl. Ein Film über einen alternden Gangster, der mit seiner Familie vor der Polizei flieht. Eine Desillusionierungsgeschichte, die das beliebte amerikanische Gangstergenre gleichzeitig imitierte und karikierte.

Dummerweise kam der "Panther" genau eine Woche zu spät ins Kino. Denn sieben Tag vorher war bereits Godards "Außer Atem" gestartet - eine Desillusionierungsgeschichte, die das amerikanische Gangstergenre gleichzeitig imitierte und karikierte. Sautets Film ging gnadenlos unter.

Das schlimme an einem Flop, sagt Sautet in einem der alten Interviews, sind nicht die zickigen Geldgeber, die sofort kalte Füße bekommen und kein Folgeprojekt mehr finanzieren wollen - sondern der Vertrauensverlust ins eigene Können.

Es dauerte zehn Jahre und einen weiteren Flop, bis Sautet 1970 mit "Die Dinge des Lebens" in den Olymp des französischen Kinos aufstieg. Der Titel war natürlich mehr als dreist, alle Dinge des Lebens in einem Film? Aber Sautet und seine Hauptdarsteller Romy Schneider und Michel Piccoli packten in knackige 82 Minuten tatsächlich alles, was das Menschenherz ausmacht, was es schwer und leicht macht und verwundbar.

Romy Schneiders Tod traf ihn hart, er brachte es nicht übers Herz, zur Beerdigung zu gehen

Die Geschichte eines Architekten in der Midlife-Crisis, der nach einem Autounfall sein Leben an sich vorüberziehen sieht, die Stationen der Liebe und der Arbeit, die seine Existenz ausmachen, wurde nach Cannes eingeladen. Das Festival war 1970 allerdings fest in Hippiehand, und die meisten Kinogeschichten, die nicht mit dem Holzhammer den Kapitalismus verdammten, wurden bei der Preisvergabe übergangen. Eine wichtige Genugtuung für Sautet: Der Film lief nach seiner Premiere in Cannes sehr erfolgreich im Kino. Von diesem Zeitpunkt an brauchte er sich keine Sorgen mehr um die Finanzierung seiner Projekte zu machen.

Er baute einen festen Zirkel aus Künstlern um sich herum auf, allein vier weitere Filme drehte er mit Romy Schneider, die er oft als die Kraft bezeichnete, die ihn antrieb. Ihr Tod 1982 war so schmerzhaft für ihn, dass er sich außerstande sah, an ihrer Beerdigung teilzunehmen.

Der kurze Dokumentarfilm macht große Lust auf eine komplette Sautet-Retrospektive, weil er im Schnelldurchlauf zeigt, warum der Regisseur der Nachwelt so viele tröstliche Filme geschenkt hat wie kaum ein anderer. Während die meisten Erzähler von der Antike bis nach Hollywood der Versuchung nicht widerstehen können, ihre Geschichten künstlich zu überhöhen, zeigte er ganz einfach, was er um sich herum sah. Die Gesichter der Menschen, das Glück und die Schmerzen, die sich darin spiegeln. Damit gibt er seinen Zuschauern bis heute das Gefühl, nicht allein zu sein mit dem ganzen Lebenstheater.

Sautet wurde auf dem Cimetière du Montparnasse beerdigt, 2000, der Dokumentarfilm endet dort. Unter einer von Sautet selbst gewählten Grabinschrift mit einer ebenfalls von ihm selbst gewählten Menge an Ausrufezeichen: "Garder le calme!!! Devant la Dissonance!!!" Angesichts der Dissonanz die Ruhe bewahren.

Claude Sautet - Regisseur der Zwischentöne, Arte, 00.20 Uhr

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