Claas Relotius, 33, hat den Spiegel mit zahlreichen Fälschungen und Manipulationen in seinen Reportagen in eine schwere Krise gestürzt. Dass der Betrug nach fast 60 Veröffentlichungen für das Hamburger Nachrichtenmagazin überhaupt ans Licht kam, ist Juan Moreno, 46, zu verdanken. Mit dem Reporterkollegen arbeitete Relotius gemeinsam an einer großen Recherche über eine US-Bürgerwehr im mexikanisch-amerikanischen Grenzgebiet. Moreno waren dabei verschiedene Ungereimtheiten aufgefallen.
SZ: Herr Moreno, hatten Sie noch einmal Kontakt mit Claas Relotius, nachdem sein Schwindel aufgeflogen ist?
Juan Moreno: Nein, ich habe überhaupt nur zweimal mit ihm gesprochen. Einmal vor ein paar Monaten, weil er einen Text von mir betreut hat, und das zweite Mal, als ich andeutete, dass es Probleme gebe mit meinem Chef. Das hatte mein Chef ihm wohl auch gesagt, da rief er mich zurück. Das Gespräch begann mit den Worten: Juan, hast du mir etwas zu sagen? Nach diesem Telefonat wusste ich, dass er lügt, weil er Dinge sagte, die einfach keinen Sinn ergaben.
Das bezog sich dann schon auf die Geschichte "Jaegers Grenze", die Sie zusammen geschrieben haben. Spricht man da nicht dauernd miteinander?
Es ging ohne. Ich war in Mexiko mit der Karawane von Flüchtenden unterwegs, er war in Arizona angeblich bei einer US-Bürgerwehr. Es waren getrennte Recherchen, die er im Anschluss montiert hat.
Es war bekanntlich sein letzter Text im "Spiegel". Was muss passieren, dass man sich genötigt fühlt, Kollegen hinterherzurecherchieren?
Das hat eine Vorgeschichte. Ich habe vor einigen Jahren mal ein Stück von ihm gelesen, im Magazin Cicero, da ging es um einen kubanischen angeblichen Steuerberater. Die fiel mir als nicht glaubwürdig auf. Das hat man manchmal, dass man ein Stück liest und denkt: Ob das alles so war? Ich hatte den Namen Claas Relotius dann auch wieder vergessen.
Dann kam Relotius 2017 als Redakteur zum "Spiegel".
Damals las ich ein paar Texte. Wer sie mit dem heutigen Wissen liest, wird sich fragen: Wie dämlich sind die, dass die das drucken? Da erzählt ein Zwölfjähriger, wie er vor drei Jahren in einem fensterlosen Viehtransporter fuhr. Welche Frage muss man einem Jungen von zwölf Jahren stellen, damit er diese Antwort gibt? Aber das kommt im Nachhinein, wenn man den Fake kennt.
Wie kam es dazu, dass man sich heute diese Fragen stellt, nach "Jaegers Grenze"?
Ich war für diese Geschichte mit einem Fotografen unterwegs, der an der Grenze zwischen Mexiko und den USA lebt, und der sagte: Toll, dass ihr die Bürgerwehren habt, das sind Leute, die normalerweise schwer zu knacken sind, die Journalisten verabscheuen. Ich bekam dann von Relotius seinen Teil der Recherche und las Dinge, die keinen Sinn ergaben. Zum Beispiel stand in "Jaegers Grenze", dass da ein arbeitsloser Ex-Soldat sei, dessen drogenabhängige Tochter seit Monaten eine Entziehungskur mache, in der Reha. Wenn man sich im amerikanischen Gesundheitssystem auskennt, weiß man, dass das eher unwahrscheinlich ist für einen Arbeitslosen. Es wurde angedeutet, dass die Bürgerwehr in den Bergen von Brownsville, Texas, Latinos festgenommen hätte. Die Gegend ist platt wie ein Pfannkuchen. In einer Szene geht es um Unterwäsche, die herumliegt als Beleg dafür, dass hier Frauen vergewaltigt worden seien. Es gibt Schlepper, die vergewaltigen - aber nicht da, wo eine Grenzkontrolle unterwegs ist.
Was haben Sie gemacht?
Ich habe damals schon eine Mail geschrieben an die Redaktion, weil ich dachte, Relotius würde angelogen. Ich dachte, der geht den Hillbillys komplett auf den Leim. Dann gab es aber etwas Entscheidendes. Die Geschichte von Relotius endete mit einem Schuss, den die Grenzer abfeuerten. Diesen Schluss bekam ich aber erst im zweiten Textentwurf. Wenn ich dabei bin, wie da jemand potenziell auf Mexikaner ballert, dann erwähne ich das definitiv nicht in meinem zweiten Textentwurf. Das ist wahrscheinlich eher mein Einstieg.
Was noch?
Dann sah ich auf dem Layout die Fotos, unter anderem das Gesicht eines Mannes im Rückspiegel eines Autos. Und den kannte ich zufällig: Das war Tim Foley, über den gibt es einen fantastischen Dokumentarfilm, "Cartel Land". Foley ist in den US-Medien durchaus präsent. Mir hatte man von der Fotoredaktion aber mitgeteilt - weil Relotius es denen so gesagt hatte -, es dürften keine Klarnamen erscheinen, keine Bilder, nur ältere Fotos des Fotografen Johnny Milano. Und ich dachte, das ergibt doch keinen Sinn: Der Typ hat einen Dokumentarfilm über sich drehen lassen, es wird ein Foto gezeigt, aber der Name nicht genannt? Etwas stimmte da nicht.
Wie haben Sie reagiert?
Ich habe nach der anderen Person, die wir abgebildet hatten, gesucht, in der Geschichte von Relotius hieß sie Chris Jaeger. Ich wollte seinen wirklichen Namen herausfinden. Nach vielen Stunden hatte ich das exakt gleiche Bild gefunden, die New York Times hatte es gebracht - mit dem Namen Chris Maloof. Ich habe beide besucht, Foley und Maloof.
Warum wurden Sie in der Redaktion nicht ernst genommen?
Man muss ja die Entstehung sehen. Ich war relativ bockig gewesen, zum ersten Mal in meiner Karriere: Ich kann die Geschichte alleine machen. Ich konnte allerdings niemandem sagen, dass ich ein Problem mit Relotius hatte. Das muss bei meiner Ressortleitung natürlich so angekommen sein, als hätte ich zu viel Sonne in Chiapas abbekommen. Ich finde schon, dass man dem Spiegel Vorwürfe machen kann, aber es ist nicht so, dass man das Ganze gar nicht nachvollziehen kann.
Welche Vorwürfe?
Ich habe der Redaktion Fragen formuliert, die maximal starke Indizien enthielten. Darauf hat Relotius eine Erwiderung geschrieben, mehrere Seiten. Diese Erwiderung habe ich erst Wochen später zu sehen bekommen, am Ende. Sie war brillant.
Inwiefern?
Sie enthält zum Beispiel eine Mail vom Fotografen Milano, in der sinngemäß steht: Ich bin mir nicht sicher, ob das Chris Maloof ist. Das hatte ich ja behauptet. Relotius legte auch eine Mail vor, in der schrieb einer seiner Protagonisten von der Bürgerwehr: Du weißt, wo du uns findest, wir sind morgen wieder draußen, komm vorbei. Und Relotius behauptete, im Übrigen sei ein Spiegel TV-Team nach Arizona unterwegs. Sie sind dann aber nicht hingefahren. Du hast hier also auf der einen Seite den sympathischsten Kollegen, den es auf dem Planeten gibt - ich habe ihn nie gesehen, aber alle, mit denen ich spreche, sagen, es gebe keinen netteren Menschen. Und auf der anderen Seite mich, der sich etwas seltsam benimmt.