Juan Moreno über Kritik an seinem Buch:"Das tut weh"

Juan Moreno über Kritik an seinem Buch: "Nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert": Juan Moreno erklärt sich Moderator Richard Gutjahr auf den Münchner Medientagen.

"Nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert": Juan Moreno erklärt sich Moderator Richard Gutjahr auf den Münchner Medientagen.

(Foto: Medientage München)
  • Juan Moreno hat den Fälschungsskandal um Claas Relotius aufgedeckt und daraus das Buch "Tausend Zeilen Lüge" gemacht, gegen das Relotius nun juristisch vorgeht.
  • Auf den Münchner Medientagen äußert sich Moreno zu den Vorwürfen, zu einem Besuch bei der SZ bringt er einen Rucksack voller Dokumente mit.
  • Die Frage ist: Wie heldenhaft muss Moreno eigentlich sein?

Von Laura Hertreiter

Der Mann hat Großes geleistet. Gegen alle Widerstände hat er einen der größten Betrugsskandale im deutschen Journalismus aufgedeckt. Und nun redet sich Juan Moreno da auf dem Podium sichtlich aufgewühlt in Rage. Er sei doch kein Fälscher, ruft er irgendwann, und schiebt ein paar hastige Sätze ohne Enden hinterher.

Es ist kein heldenhafter Auftritt, und das ist wunderbar, weil die Wirklichkeit keine Helden und Antihelden hervorbringt, weil sie viel sperriger, zerfranster und wundersamer ist als jedes glatt erzählte Märchen.

Im Dezember vergangenen Jahres wurde Juan Moreno, der nun um seinen Ruf kämpft, für viele eine Art Märchenheld des Journalismus. Er war es, der beim Spiegel gegen alle Widerstände seinen Reporterkollegen Claas Relotius massiver Textfälschungen überführt hatte. Der preisgekrönte Journalist hatte beim größten deutschen Nachrichtenmagazin, wie zuvor bereits bei anderen Medien, jahrelang gefälschte und erfundene Texte veröffentlichen können.

CNN Journalist Award 2014

Claas Relotius soll eine schwer kranke Schwester erfunden haben. Welche Krankheit er ihr genau zugeschrieben hat, lässt er nun durch Anwälte korrigieren.

(Foto: Ursula Düren/dpa)

Der Spiegel ließ den Fall aufarbeiten und legte das Versagen der eigenen Kontrollmechanismen offen. Juan Moreno hat damit als Aufdecker ein Stück Mediengeschichte geschrieben. Und zur selben Zeit: einen Bestseller, "Tausend Zeilen Lüge - Das System Relotius und der deutsche Journalismus". Darin erzählt er, wie er den Betrüger überführte. Michael "Bully" Herbig wird das Buch fürs Kino verfilmen.

Vergangene Woche dann hat sich Claas Relotius erstmals seit Bekanntwerden des Skandals zu Wort gemeldet. "Nicht eigensinniges Kalkül, sondern krankhafter Realitätsverlust" hätten ihn angetrieben, wird er von der Zeit zitiert. "Ich stelle mich allem, wofür ich verantwortlich bin, aber ich muss keine unwahren Interpretationen und Falschbehauptungen von Juan Moreno hinnehmen. Ohne mich persönlich zu kennen oder mit Menschen aus meinem näheren Umfeld gesprochen zu haben, konstruiert Moreno eine Figur."

Mit diesem Text berichtete die Wochenzeitung quasi in Echtzeit darüber, dass Relotius auch juristisch gegen Morenos Buch über seine Fälschungen vorgeht: "Wenn diese Ausgabe der Zeit erscheint, wird der bekannte Medienanwalt Christian Schertz im Auftrag seines Mandanten Relotius dem freien Spiegel-Autor Juan Moreno und dessen Verlag Rowohlt Berlin eine Forderung auf Unterlassung zugestellt haben", heißt es dort. 22 Stellen von Morenos Buch beinhalten demnach "erhebliche Unwahrheiten und Falschdarstellungen". Der Text in der Zeit, die selbst fünf von sechs von Relotius verfasste Texte wegen Manipulationen aus ihren Archiven löschen musste, endet mit einem vernichtenden Urteil: "Vor der Ansteckungsgefahr, die offenbar vom Morbus Relotius ausgeht, scheint selbst Juan Moreno nicht ganz gefeit zu sein, jener Mann, der sich zutraute, die Diagnose zu stellen."

Wenige Tage später also sitzt Juan Moreno auf dem Podium der Münchner Medientage und versucht, dem Publikum des Branchenkongresses und Moderator Richard Gutjahr klarzumachen, wie marginal die Stellen seien, gegen die Relotius vorgeht. Und wie schwer der von der Zeit erhobene Vorwurf wiegt, der sich in den sozialen Netzwerken und anderen Medien verbreitet hat. Damit, dass Relotius gegen das Buch vorgehen würde, hätten er und der Verlag gerechnet, sagt er, man kann sich den Auftritt auch nachträglich im Video ansehen. Deshalb landete das Buch vorab erst sehr knapp vor der Veröffentlichung für Rezensionen in den Redaktionen. Allein die Zeit bekam einen früheren Einblick und ein Interview mit dem Autor. "Fun Fact", nennt Moreno das nun auf der Bühne. Aber die Anschuldigungen in der Zeit zu lesen: "Das tut weh." Er empfinde die Vorwürfe als unverhältnismäßig. "Mir fällt es schwer, ruhig zu bleiben."

"Wo ist das Problem?"

Einem Reporter wie Moreno, dessen Währung die Glaubwürdigkeit ist, können die Vorwürfe schwer schaden. Auch deshalb hat er am Tag vor seinem Auftritt bei den Münchner Medientagen die SZ besucht. Mit einem Rucksack voller Dokumente berichtete er in einem gut dreistündigen Gespräch von seiner Recherche. Das geplante Interview scheiterte an den Vorstellungen vom Autorisierungsprozess.

"Die Szene hat es so nie gegeben", sagt der Anwalt von Claas Relotius über den Schluss des Buches

Tatsächlich kann man bei einigen der von Relotius' Anwalt angeführten Punkten durchaus von "Randfragen und Nebenschauplätzen" sprechen, wie es der Rowohlt-Verlag tut. Die Frage etwa, ob die Bürotür von Claas Relotius beim Spiegel "immer" verschlossen war, wie es das Buch beschreibt, ob dieser wirklich "jeden Tag" mit seinen Kollegen beim Essen war, ob er einem Mitarbeiter immer "die erste Frage" nach dessen kranker Mutter stellte. (Der Anwalt stellt klar, dass sich Relotius nach der Mutter erkundigt habe, es aber nie die erste Frage gewesen sei.) Daneben werden auch Textstellen beanstandet, in denen Relotius offenbar seine Lügen falsch wiedergegeben findet: dass die kranke Schwester, die er erfunden hatte, nicht wie von Moreno beschrieben an Krebs gelitten habe zum Beispiel. Und auch wenn keiner der Kritikpunkte die Geschichte des Fälschers Relotius im Kern infrage stellt, werfen einige davon handwerkliche Fragen auf. Etwa, wenn man das Buch ganz hinten aufschlägt.

Nachdem er aufgeflogen war, habe Relotius behauptet, er sei in einer Klinik in Süddeutschland, heißt es da. Ein Kollege aber habe eine Spiegel-Sekretärin getroffen. "Die Frau hatte Relotius gerade auf dem Fahrrad gesehen. In Hamburg." So endet das Buch, ein starkes Ende. Weil es jede Hoffnung auf eine Läuterung des Claas Relotius erstickt.

"Die Szene hat es so nie gegeben", teilt Anwalt Schertz mit. Laut Zeit ist sich die Sekretärin nicht sicher, Relotius eindeutig erkannt zu haben. Mit Moreno selbst habe sie nicht gesprochen. Hat Moreno an dieser Stelle die Genauigkeit dem Effekt geopfert? Warum hat er nicht selbst mit der Sekretärin gesprochen? Der Branchendienst Übermedien liefert eine Erklärung, die Moreno selbst nicht offiziell bestätigen will: Für das Buch sei ursprünglich ein Co-Autor geplant gewesen. Der soll für Moreno recherchiert und auch die Fahrrad-Geschichte erfahren haben.

"Ich gehe bis heute davon aus, dass das stimmt", sagt Moreno bei den Medientagen. Falls er Fehler gemacht habe, werde er sie korrigieren. Er habe "nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert". Warum er sich die Fahrradszene nicht von mindestens zwei Quellen bestätigen hat lassen, fragt der Moderator. "Ich hab' natürlich 30 Quellen dazu, weil die Frau das allen gesagt hat", ruft er. "Wo ist das Problem?", ruft er, sichtlich erzürnt, dass mögliche Fehler mit vorsätzlichen Fälschungen gleichgesetzt werden.

Ironischerweise zählt der Relotius-Skandal neben den Lügen des US-Präsidenten Donald Trump zu den Hauptgründen, warum der Anspruch an die Genauigkeit gestiegen ist, mit der Reporterinnen und Autoren die Wirklichkeit schildern sollen. Womöglich hätte sich vor ein paar Jahren niemand über die so letztgültig formulierte Fahrradszene gewundert.

So sieht Moreno das offenbar noch immer: Es gehe in der Schlussszene schlicht darum, dass Relotius noch immer weiterlügt. Was er auf Seite 127 viel expliziter erwähnt habe. "Relotius hat, auch nachdem er aufgeflogen war, gelogen. Immer und immer wieder. Er hat nicht damit aufgehört. Nachweislich", steht da. Kein Anwalt sei dagegen vorgegangen, sagt der Autor. Ob er es bereue, dass er sich durch den Schluss angreifbar gemacht habe, fragt der Moderator in München. Eine Antwort bekommt er darauf nicht.

Die Frage ist: Wie heldenhaft muss Juan Moreno eigentlich sein?

Das Bedürfnis scheint in weiten Teilen des Publikums groß zu sein, ihn entweder als Supermann oder als Gestrauchelten zu sehen. Es ist dasselbe Bedürfnis, das die Hochglanzgeschichten des Claas Relotius so erfolgreich gemacht hat: weil sie die Welt so wunderbar in richtig und falsch, gut und böse, wahr und unwahr sortieren, weil sie keine Fragen und Brüche zulassen.

Niemand ist ein 24-Stunden-Held, weil er etwas Heldenhaftes getan hat. Aber Heldentaten sind auch nicht weniger wert, wenn sie von einem Menschen vollbracht worden sind, der vielleicht mal Fehler macht. Und selbst Skandale wie dieser können manchmal Fluch und Segen zugleich sein. Etwa, wenn sie Bücher verkaufen.

Zur SZ-Startseite
Juan Moreno

Spiegel-Betrugsfall
:Der Stoff, der den Journalismus verändert hat

Juan Moreno deckte einen der größten Medien-Skandale überhaupt auf. Jetzt hat er ein Buch geschrieben, über Claas Relotius, über sich, über Journalismus: ein gutes Buch.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: