Cindy aus Marzahn:Plötzlich Prinzessin

Prollig, pink, peinlich: Ausgerechnet Cindy aus Marzahn hat das ZDF als überraschenden "Wetten, dass..?"-Sidekick für Markus Lanz aus dem Hut gezaubert. Was mindestens genauso überraschend gut funktioniert hat. Ein Plädoyer für Ilka Bessin als erste Assistentin mit Humor.

Ruth Schneeberger

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'Wetten, dass..?' in Düsseldorf

Quelle: dpa

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Jahrelang war Cindy aus Marzahn vor allem: prollig, pink, peinlich. Bis das ZDF sie überraschend als "Wetten, dass..?"-Sidekick für Markus Lanz aus dem Hut zauberte. Was mindestens genauso überraschend gut funktioniert hat. Wer war noch gleich Inka Bessin?

Was für eine Überraschung: Als beim vielbeachteten "Wetten, dass..?"-Debüt von Markus Lanz urplötzlich ein pinkes Wesen aus einem Wohnwagen kletterte, wusste der Zuschauer nicht so recht, ob er lachen oder weinen sollte. Cindy aus Marzahn? Die Ulknudel im Strampelanzug, die schon im Privatfernsehen eher nervte als zu unterhalten, jetzt auch noch im öffentlich-rechtlichen TV? Wer hat sich das denn ausgedacht?

Text und Bildauswahl: Süddeutsche.de/Ruth Schneeberger/cag

German TV show host Lanz talks to comedian Cindy aus Marzahn and fashion designer Lagerfeld during the German game show 'Wetten Dass' (Bet it...?) in the western German town of Duesseldorf

Quelle: REUTERS

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Auch Markus Lanz spielte den Überrumpelten. Man müsse nehmen, was man kriegen kann, witzelte er, und fügte sich scheinbar genervt in die Rolle des Showmasters, den nichts aus der Ruhe bringen kann - nicht mal eine Assistentin, die laut, lärmend, polternd und peinlich so gar nicht dem Bild entspricht, das das Fernsehen jahrzehntelang in die deutschen Wohnzimmer geliefert hatte. Als TV-Assistentinnen werden traditionell eher engelsgleiche zarte Fabelwesen à la Michelle Hunziker bevorzugt.

'Wetten, dass..?' in Düsseldorf

Quelle: dpa

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Doch dann passierte etwas Unerwartetes: Es funktionierte. Viel ist bei der Lanz-Premiere schiefgegangen, von versemmelten Witzen über abgebrochene Wetten bis zu verletzten Gästen - sogar ein Hund ist gestorben. Und der Moderator schien zwischendurch auf das Format eines einzigen Nervenbündels zu schrumpfen. Allzu groß waren die Erwartungen, der Druck, der ehemals erfolgreichsten Unterhaltungsshow Europas wieder zu neuem Glanz zu verhelfen. Doch es gab einen Aspekt, der von vorne bis hinten funktionierte, und der hatte ganz stark mit Cindy aus Marzahn zu tun.

Wetten, dass...?

Quelle: Zweites Deutsches Fernsehen

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Während rundherum bisweilen chaotische Zustände herrschten, leistete Cindy der Sendung in wechselnden Glitzeroutfits erste Hilfe. Mit ruhiger Hand, gut aufgelegt, gewohnt rotzig und wie immer selbstironisch verbreitete die Comedy-Wuchtbrumme genau jene Art von Gelassenheit, die dem neuen Moderator fehlte. Sie war der Fels in der Brandung, als den das Publikum schon Thomas Gottschalk immer so gerne gesehen hatte: Was auch immer da live auf der Bühne passierte, es gab einen ruhenden Pol, der das alles locker wegsteckte, dem Publikum erklärte, den Unterhaltungswahnsinn augenzwinkernd einordnete. Die Rolle des Zuschauer-Verbündeten übernahm in diesem Fall die Assistentin - der Moderator selbst war zu aufgeregt dafür.

'Wetten, dass..?' in Düsseldorf

Quelle: dpa

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Das funktionierte auch deshalb so gut, weil in dem Duo Cindy/Markus jeder seinen Part hat: Lanz die Optik, Cindy den Unterhaltungswert. Der Moderator hat sich akribisch auf seine Gäste vorbereitet, die Komödiantin nimmt den Gesprächen mit entwaffnender Plattheit die Schwere. Lanz versucht, das große Unterhaltungsschiff würdig durch die Nacht zu retten, Cindy plappert immer wieder unbedacht dazwischen - und sorgt für entspannte Lacher, die anderswo fehlten. Im Duett sind die beiden auffallend erfrischend - und verliehen der Sendung etwas, was ihr bisher fehlte: Humor.

Wetten, dass...?

Quelle: Zweites Deutsches Fernsehen

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Während Gottschalk mit den immer selben Altherrenwitze zu punkten versuchte, ist Cindy aus Marzahn als gekonnte Parodie auf alle blondgelockten Show-Assistentinnen dieser Welt viel weniger erwartbar - und deshalb besser. Während manch andere Showblondine den Mund nur zum Lächeln öffnet, kommt bei Cindy garantiert ein Witz heraus. Das muss nicht immer automatisch komisch sein. Es hilft trotzdem. Weil "Wetten, dass..?" schon viel zu lange der Zeit hinterherhinkte. Jüngere Menschen ließen sich schon seit längerem nicht mehr durch den Entertainer-Dinosaurier hinter dem Ofen hervorlocken. Dass die Wetten immer halsbrecherischer werden mussten, trug mit zum Bruch des Samstagabend-Formats bei. Das war aber nicht das einzige Problem. Das Format hatte sich schlicht totgelaufen. Ein blondgelockter Onkel, der Promi-Damen das Knie tätschelt, war einfach nicht mehr überraschend. Das neue Moderatoren-Duo ist es schon. Die ungewöhnliche Mischung könnte zumindest noch ein paar Jährchen für angenehmere Unterhaltung sorgen.

Deutscher Fernsehpreis 2010

Quelle: dapd

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Dass das deutsche Fernsehpublikum ungewöhnliche Duos mag, auch wenn sie nicht immer nur komisch sind, zeigt sich unter anderem bei einem anderen TV-Format, das schon seit Jahrzehnten die Zuschauer beglückt: Unter allen Tatort-Kommissaren gingen in den letzten Umfragen immer wieder diejenigen als Sieger hervor, die sich im Duo unablässig kabbeln: die Münsteraner Kommissare Thiel und Boerne (Axel Prahl und Jan-Josef Liefers). Auch diese beiden sind nicht immer nur lustig, manchmal kann das Rumgezicke der beiden absichtlich unterschiedlichen Rollentypen geradezu nervig werden, weil es jedem Mordfall und jeder Filmleiche die Show stiehlt. Trotzdem liebt das Publikum die verschrobenen Charaktere, weil sie abseits von Harmoniesucht und Hochglanz-TV unterhalten. Sie sind ein bisschen mehr dran am echten Leben, das eben auch nicht immer nur glänzt, und sie nehmen es mit Humor.

Genau wie Cindy aus Marzahn, die schon allein optisch jeden Mann in den Schatten stellt, sei es nun einen eher weiblich wirkenden Lanz oder selbst ein gestandenes Mannsbild wie Boxer Wladimir Klitschko bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises (im Bild). Die Stand-up-Comedy-Lady heißt mit bürgerlichem Namen Ilka Bessin und räumt seit 2007 alljährlich den Deutschen Comedypreis ab.

Deutscher Fernsehpreis 2010 - Preisverleihung

Quelle: dpa

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Übrigens mit ernstem Hintergrund: Bessin, 40, stammt aus dem brandenburgischen Luckenwalde und hatte jahrelang mit Perspektivlosigkeit, finanziellen Problemen und Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Nach der Ausbildung zur Köchin und Hotelfachfrau verlor sie zur Wendezeit in der DDR ihre Anstellung in einer Großküche, schlug sich mit Jobs als Kellnerin und Animateurin durch und war vier Jahre lang ganz ohne Arbeit - bis sie im Jahr 2000 aus der Not eine Tugend machte und sich selbst zur Kunstfigur erhob. Die Rolle der traumtänzerischen Riesenprinzessin, die nicht versteht, warum in ihrem Leben alles schiefgeht, das aber mit Humor nimmt, ist bis zu einem gewissen Grad auch immer sie selbst. Auch das ist nicht nur spaßig. Weshalb man es niemandem verübeln kann, ihr Comedy-Programm auf den Privaten und ihre ständige Präsenz bei Preisverleihungen (im Bild wird Restauranttester Christian Rach 2010 beim Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet) bisweilen als nervig zu empfinden. Weil es zwar im ersten Moment verblüffend ist, wenn jemand sein eigenes Schicksal so unverblümt ironisch auf die Menschheit loslässt - aber irgendwann ist der Gag dann auch mal durch.

Deutscher Comedypreis Cindy aus Marzahn Inka Bessin

Quelle: ddp

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Nicht so im Duett mit Lanz. Womöglich hat das ZDF hier eine Showpartnerschaft erschaffen, von der es selbst nie geahnt hätte, wie gut sie funktioniert - und vielleicht ist die Kunstfigur Cindy aus Marzahn erst als öffentlich-rechtliche Assistentin zur vollen Blüte avanciert. Dick und lustig allein macht noch kein wahrlich abendfüllendes Programm aus. In Zusammenhang aber mit einem Unterhaltungsformat, das sich selbst überlebt hat, mit einem Frauenbild, das aus den 50er Jahren stammt, mit einem Moderator, der zwar viel kann, aber nie unangestrengt sein - in diesem speziellen Arrangement ist Ilka Bessin vielleicht genau die richtige.

Cindy aus Marzahn - Ilka Bessin

Quelle: AP

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Lanz selbst hat sich nach der Sendung schon dazu geäußert, dass er die Kunstfigur gerne dauerhaft an seiner Seite hätte, nun hat auch das ZDF signalisiert, dass es in Verhandlungen eingetreten sei. Nicht, dass die Welt davon abhänge, ob Cindy aus Marzahn nun Lanz-Assistentin wird oder ob doch wieder eine makellose Schönheit wie Nazan Eckes den Job übernimmt. Aber womöglich hängt die Zukunft von "Wetten, dass..?" davon ab.

© Süddeutsche.de/rus/cag
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