Journalismus in den USA:"Denk auch mal daran, Mama anzurufen"

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Oh brother, where art thou: Chris (links) und Andrew Cuomo bei CNN. (Foto: CNN)

Chris Cuomo ist Moderator, sein Bruder Andrew Gouverneur von New York, Fernseh-Interviews mit den Brüdern sind keine Seltenheit. Wirft CNN der Quote wegen journalistische Bedenken über Bord?

Von Christian Zaschke, New York

Mitte der Woche war es wieder soweit. Der populäre CNN-Moderator Chris Cuomo hatte in seiner abendlichen Sendung Cuomo Prime Time wie so oft in den vergangenen Monaten den Gouverneur von New York zu Gast. Dass der Gouverneur sich regelmäßig bezüglich seines Umgangs mit der Corona-Krise befragen lässt, ist gut. Schließlich war New York härter von der Pandemie betroffen als jeder andere Bundesstaat in den USA. Da will man wissen, ob der Gouverneur, wie er gerne sagt, wirklich alles richtig gemacht hat.

Nun handelt es sich beim Gouverneur von New York allerdings um Andrew Cuomo, den älteren Bruder von Chris Cuomo. Am Mittwoch also verlief das Gespräch gegen Ende so: "Natürlich liebe ich dich als Bruder, natürlich werde ich nie objektiv sein", sagte der 49 Jahre Chris zum 62 Jahre alten Andrew, "und natürlich glaube ich, dass du der beste Politiker des Landes bist."

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Der ältere Cuomo, normalerweise ein bärbeißiger Typ, schien gerührt zu sein. "Wir sind nicht gut im Süßholzraspeln", sagte er, um sich anschließend selbst für seinen Umgang mit der Krise zu loben. "Ich habe getan, was richtig war", sagte er, "ich glaube, wir haben zehntausende Leben gerettet. Und auch du tust das richtige. Du sagst die Wahrheit. Ob das den Menschen gefällt oder nicht."

Rührend zu sehen - aber seriöser Journalismus?

Einerseits war es fast rührend zu sehen, wie die beiden Brüder einander lobten, insbesondere, wenn man ihre Gespräche regelmäßig verfolgt. Nicht nur, wer selbst Geschwister hat, konnte stets die Dynamik zwischen älterem und jüngerem Bruder erkennen. Andererseits stellte sich die Frage, ob das noch irgendetwas mit seriösem Journalismus zu tun hatte.

Andrew Cuomo ist seit 2011 Gouverneur. Chris Cuomo arbeitet seit 2013 für CNN, seit 2018 moderiert er die nach ihm benannte wochentägliche Abendsendung. Aus offensichtlichen Gründen übernahmen es in den vergangenen Jahren andere Moderatoren von CNN, den Gouverneur zu interviewen, wenn das nötig war. Doch mit der Corona-Krise hat sich das geändert. Seither sind die Brüder regelmäßig gemeinsam auf dem Bildschirm zu sehen.

Die Cuomos sind eine bekannte Familie, in New York und darüber hinaus. Mario Cuomo, der Vater von Andrew und Chris, war von 1983 bis 1994 ebenfalls Gouverneur von New York. Sowohl 1988 wie auch 1992 galt er als aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat der Demokraten, trat jedoch beide Male nicht an. Er starb 2015. Matilda Cuomo, die Mutter der beiden Brüder (und dreier weiterer Kinder), setzte sich für die Rechte von Frauen und Kindern ein und wurde 2017 in die National Women's Hall of Fame aufgenommen, die nationale Ruhmeshalle für Frauen.

Hat der New Yorker Gouverneur Andrew Cuomo alles richtig gemacht? (Foto: Timothy A. Clary/AFP)

Die Gespräche der beiden Cuomos kamen gut an, was auch daran lag, dass sie einander auf den Arm nahmen, wie das nur Brüder können. "Du hast viel zu tun", sagte Chris Cuomo einmal, "aber denk auch mal daran, Mama anzurufen." "Ich habe gerade mit ihr gesprochen", versetzte Andrew Cuomo, "und sie hat mir gesagt, ich sei ihr Lieblingssohn. Aber die gute Nachricht ist, dass sie gesagt hat, du seist ihr zweitliebster Sohn." Der Witz war insofern nicht so schlecht, als die übrigen drei Geschwister Frauen sind.

Die Cuomos stritten unter anderem darüber, wer mehr arbeitet, wer besser Basketball spielt und wer besser angezogen ist. Dennoch gelang es ihnen, das Ganze nicht vollkommen zur Farce werden zu lassen. Andrew Cuomo berichtete immer auch ernsthaft über die Krise. Eine fast dramatische Note bekamen die Gespräche, als Chris Cuomo an Covid-19 erkrankte. Es war zu sehen, dass es Andrew naheging, mit seinem kranken Bruder zu sprechen.

Natürlich gab es Kritik an dem Format. Das Magazin The Atlantic bemängelte, dass CNN der guten Quoten wegen das journalistische Ethos über Bord werfe. Das konservative Boulevardblatt New York Post, das zum Imperium von Rupert Murdoch gehört, sprach von einem "Quoten-Stunt", während tausende New Yorker stürben. Die Washington Post nannte die Sendung hingegen "ziemlich harmlos" im Vergleich zum Nepotismus, der im Weißen Haus herrsche. Die New York Times stellte gar die Frage, ob es sich vielleicht um eine neue Art des Journalismus handele, verbunden mit der Erkenntnis, dass Objektivität ohnehin unmöglich sei.

"Liebe dich. Geh an die Arbeit"

Das Gespräch von dieser Woche wird womöglich in die Geschichte des amerikanischen Fernsehens eingehen. Immerhin hatte Chris Cuomo seinen Bruder nach Wochen endlich danach gefragt, warum so viele Menschen in New York in Seniorenheimen gestorben waren. Das ist einer der Hauptkritikpunkte am Gouverneur, der verfügt hatte, dass ältere Menschen trotz positiver Covid-Diagnose in die staatlichen Heime verlegt wurden. Dann aber begann die Passage, in der die Brüder einander lobten, und als sie damit fertig waren, sagte Andrew Cuomo: "Liebe dich. Geh an die Arbeit." Chris Cuomo antwortete: "Ich liebe dich sehr. Ich weiß zu schätzen, dass du in der Sendung warst. Bis bald."

Der Reporter Glenn Greenwald nannte die Szene auf Twitter "das peinlichste und selbstzerstörerischste, was ich je eine Nachrichten-Organisation habe tun sehen". Ob das tatsächlich eine neue Art des Journalismus darstellte, sei einstweilen dahingestellt. Äußerst ungewöhnlich war es auf jeden Fall.

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