Süddeutsche Zeitung

"Chloe" auf Amazon Prime:Wahn und Wahrheit

Lesezeit: 2 min

In der Psychothriller-Serie "Chloe" recherchiert eine Frau einer Toten hinterher. Und landet in einem Doppelleben.

Von Eva Goldbach

Becky sitzt gekrümmt am Küchentisch, löffelt ihre Cornflakes und starrt angestrengt auf ihr Handy. Immer wieder scrollt sie durch den Instagram-Account von Chloe, ihrer ehemals liebsten Jugendfreundin. Diese scheint das perfekte Leben zu führen: gutaussehend, spannende Freunde und ein liebevoller Mann. Als Becky eines Morgens jedoch das Zitat "To die by your side" auf deren Instagram-Account entdeckt, bemerkt sie: Etwas stimmt nicht. Chloe lebt nicht mehr.

Von da an rutscht Becky in der Psychothriller-Serie Chloe (Amazon, produziert von der BBC) immer mehr in einen Strudel aus Trauer und Neugierde - sie muss wissen, warum Chloe so plötzlich gestorben ist. Sie stellt sich die Frage, ob sie den Tod Chloes hätte verhindern können und beginnt obsessiv zu recherchieren. Dafür nimmt sie sogar eine andere Identität an, nennt sich jetzt "Sasha", und lauert als solche Chloes Freunden auf - im Country Club, beim Abendessen, auf einer Vernissage. Chloes schicke, bunte Influencerwelt fasziniert Becky und steht im starken Kontrast zu der tristen Wohnung von Beckys Mutter. Aber nicht nur optisch geht es hin und her, sondern auch emotional.

Denn so sehr Becky Gefallen an diesem neuen Leben findet, so sehr verfolgt sie die Frage, was wirklich mit Chloe passierte, die einst ihre beste Freundin war, bevor sie den Kontakt abbrach. Becky versucht krampfhaft., in ihrem Rollenspiel an das Früher anzuknüpfen und ist dabei hin- und hergerissen zwischen Trauer und Wahn. Diesen verstörenden Gefühlsmix spielt Erin Doherty (bekannt als Prinzessin Anne in The Crown) überzeugend kalt und angespannt. Mit verweinten Augen und verbissener Mimik rückt sie immer weiter weg von der Welt und den Menschen um sie herum.

"Chloe" schildert eine Suche nach der eigenen, selbst zurechtgerückten Wahrheit

Beckys Job, die Familie und romantische Beziehungen leiden. Sie wird emotionaler, aber auch unvorsichtiger. Die Kontrolle über ihr Doppelleben gleitet ihr mehr und mehr aus den Händen. Und trotzdem treibt Chloe sie an, weiterzumachen. Beckys Obsession erinnert an die Psychothriller-Serie You, in der Protagonist Joe von einer Frau besessen ist. Oder an die Protagonistin in Inventing Anna, die von Gier getrieben versucht, sich ein Dasein in der High Society zu erschleichen, allerdings handelt Becky impulsiv, weniger berechnend. Regisseurin Alice Seabright, der mit Sex Education eine fulminante Coming-of-Age Serie gelungen ist , präsentiert mit Chloe eine dunklere Serie. Visuell findet sich der oft knallige Stil der Regisseurin zwar wieder, etwa in den bunten Szenen der Influencerwelt, insgesamt ist Chloe aber sehr viel ruhiger und erwachsener.

Chloe schildert die Suche nach Beckys eigener, selbst zurechtgerückter Wahrheit. Einer im obsessiven Wahn entstandenen Wahrheit, in der Chloe und Becky noch enge Freundinnen sind. Und obwohl die Spannung der Serie zwischendurch immer wieder abflacht, sich beinahe in ausschließlich beobachtenden Szenen verliert, bleibt die unbedingte Frage in dieser sehr sehenswerten Serie: Was geschah mit Chloe? Und diese Geschichte nimmt schließlich eine überraschend destruktive Wendung.

Chloe, sechs Folgen, auf Amazon Prime .

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