"Chernobyl" auf Sky:Zu viel Drama auf Kosten der Wahrheit

Lesezeit: 2 Min.

Ist hier irgendwo noch Platz für die Wahrheit? Eine Szene aus "Chernobyl". (Foto: Sky UK Ltd/HBO/ Liam Daniel)

Kann eine Serie über den schlimmsten Atomunfall der Menschheitsgeschichte zu dick auftragen? In "Chernobyl" geht das. Leider.

Von Marlene Weiß

"Was ist der Preis von Lügen?", fragt eine Stimme zu Beginn. "Die Gefahr liegt darin, dass wir die Wahrheit nicht mehr erkennen, wenn wir genug Lügen hören." Das also ist der Anspruch der Miniserie Chernobyl von Sky und HBO: den Lügen der Apparatschiks von damals die Wahrheit über die Nuklearkatastrophe vom 26. April 1986 entgegenzusetzen - so wahrhaftig, wie das in einem Dokudrama eben geht.

Doch abgeliefert haben Drehbuchautor Craig Mazin und Regisseur Johan Renck eher ein etwas missglücktes Actiondrama. Dabei ist die fünfteilige Serie eigentlich nicht schlecht gemacht. Die Bilder zeigen eine recht überzeugende Version der Ukraine in den 80ern. Jared Harris spielt den Chemiker Valery Legasov, der sich später das Leben nahm, verbittert über die Weigerung der Behörden, die fatalen Konstruktionsfehler ihrer Reaktoren zu beheben.

Harris macht seine Sache gut, doch das Drehbuch zwingt ihn oft, seltsame Dinge zu tun. In bizarren Kassandra-Auftritten verkündet er Parteikadern gravitätisch, wie viele Todesfälle unweigerlich bevorstehen, wer wann woran qualvoll sterben wird. Im Helikopter auf dem Weg zum Ort der Katastrophe wird er absurderweise gefragt, wie denn so ein Reaktor funktioniert - eine maximal dramatische Nachhilfestunde.

Erfundene Alleingänge und eine Verhaftung befördern das Drama

Den Machern gelingt so die erstaunliche schöpferische Leistung, in einer Serie über den schwersten nuklearen Unfall in der Geschichte der Menschheit noch zu dick aufzutragen. Legasov und seine fiktive Kollegin Ulana Khomyuk (Emily Watson) kündigen gleich das Ende von Kiew, Minsk und die Unbewohnbarkeit von halb Europa an, falls es nicht gelingen sollte, die Wassertanks unter dem geschmolzenen Reaktorkern zu leeren. Tatsächlich wurde nach dem Unfall befürchtet, dass der Reaktorkern sich zu diesen Tanks durchschmelzen und eine Dampfexplosion verursachen könnte. Diese hätte sicher weiteres radioaktives Material noch weiter in die Umgebung geschleudert, aber kaum Hunderte Kilometer entfernte Städte zerstört.

Die erfundene Atomphysikerin Khomyuk macht die Sache nicht besser. In Minsk macht sie eine verdächtige Radioaktivitäts-Messung und bulldozert sich in jede Kommission hinein, die mit Tschernobyl zu tun hat. Sie unterrichtet Michail Gorbatschow über die Vorgänge, interviewt sterbende Reaktor-Ingenieure und klärt im Alleingang mit Legasov, wie es zur Katastrophe kommen konnte, zwischendurch wird sie noch kurz vom KGB verhaftet. Mit einer pathetischen Gerichtssaal-Episode verliert die Serie vollends den Bodenkontakt.

Es gäbe genug Wahres oder wenigstens Wahrscheinliches zu berichten über Behörden-Lügen, den zwischen Ehrlichkeit und Parteitreue schwankenden Legasov und seine Kollegen. Doch dafür ist neben all dem Drama kein Platz.

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© SZ vom 14.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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