Süddeutsche Zeitung

Chefredakteur von "Männer":Der Wandelprediger

Früher hat David Berger die papsttreue Zeitschrift "Theologisches" herausgebracht. Sein Outing hat alles verändert: Er bekam Morddrohungen und wurde als Professor der päpstlichen Thomas-Akademie entlassen. Nach einem Bestseller und vielen Talkshows ist er heute Chefredakteur des Schwulen-Magazins "Männer". Besuch bei einem Grenzgänger.

Von Mounia Meiborg

Auf den Bauchmuskeln glänzt der Schweiß. David Berger schaut auf den Cover-Entwurf, der vor ihm liegt: Ein junger Mann posiert mit nacktem, braunem Oberkörper. Nur im Gesicht ist er etwas blass. "Ein bisschen Photoshop, dann geht das", sagt Berger.

David Berger ist Chefredakteur der Schwulen-Zeitschrift Männer. Vor drei Jahren noch gab er die papsttreue Zeitschrift Theologisches heraus. Damals kümmerte er sich nicht um Bilder schwuler Männer, sondern um Aufsätze homophober Theologen. Sein Outing hat alles verändert: Er bekam Morddrohungen, kündigte bei Theologisches und wurde als Professor der päpstlichen Thomas-Akademie entlassen. Und er beschrieb in einem Bestseller und in vielen Talkshows sein Doppelleben als schwuler Theologe.

Ein Stockwerk über der CDU

Jetzt steckt er in der Produktion. Männer erscheint im Bruno-Gmünder-Verlag, und der liegt in einem Mehrzweckbau in Berlin-Schöneberg, direkt über dem Landesverband der CDU. Im Großraumbüro sitzen junge Männer an den Rechnern. Ein Mitarbeiter packt eine Kiste mit roten Boxer-Shorts aus, die gerade angekommen ist. Der Verlag finanziert sich quer: Das Magazin gibt es nur, weil es Unterwäsche, Pin-up-Kalender und Sexspielzeug gibt. 1981 gründete der Schwulen-Aktivist Bruno Gmünder den Verlag. Mittlerweile ist der mit 80 festen Mitarbeitern und neun Millionen Euro Jahresumsatz einer der weltweiten Marktführer im Bereich Medien für Schwule.

Mit dem journalistischen Produkt aber tut man sich nach wie vor schwer: Die monatlich erscheinende Männer ist zwar die wichtigste Schwulen-Zeitschrift in Deutschland. Aber der Einfluss auf die Szene ist begrenzt, die Auflage mit 20.000 Stück vergleichsweise klein - kleiner als bei entsprechenden Magazinen in Frankreich (Têtu), Großbritannien (Attitude) oder den USA (Out). Das soll sich jetzt ändern. "Wir wollen eine Stimme in der Community werden", sagt Berger.

Berger lebt in der Szene

Vielleicht ist er der richtige Mann dafür. Berger, 45 Jahre alt, trägt mit dunklen Jeans, braun gebrannter Haut und reichlich Oberarmmuskeln den Look mittelalter Schwuler in Schöneberg. Er lebt in der Szene. Aber die Jahre, in denen er in der Kirche Karriere machte und seinen Partner als Cousin vorstellte, haben seinen Blick geschärft: Er weiß, dass es nicht überall so nett zugeht wie in Berlin-Schöneberg, wo die Regenbogenflagge an der U-Bahn-Station hängt.

Berger promovierte über Thomas von Aquin und stieg schnell zum Professor auf, denn: "Junge Theologen waren damals zu 90 Prozent progressiv." Berger aber war reaktionär - und wurde, sagt er, deshalb besonders gefördert. Anfangs war das Doppelleben ein Spiel für ihn, ein Sport, "so ein bisschen Felix Krull". Wenn er beruflich im Vatikan war, ging er abends in die Schwulenclubs der Stadt.

Irgendwann fingen die Gerüchte an. Jemand hatte sein Profil bei der Dating-Plattform Gay Romeo entdeckt. Berger war damals Herausgeber von Theologisches und hatte sich ohnehin schon verdächtig gemacht, weil er die homophoben Aufsätze, die ihm zugeschickt wurden, nicht abdruckte. Man drängte ihn, die Vorwürfe abzustreiten und sich gegen Schwule zu positionieren.

Drei Jahre lang hielt Berger den Druck aus. Bis er nicht mehr konnte. Am 23. April 2010 outete er sich in der Frankfurter Rundschau. Er schrieb ein Buch über seine Erlebnisse: Die katholische Kirche, behauptet er, drohe homosexuellen Mitarbeitern und mache sie so gefügig. Papst Benedikt sei schwul. Und die alte, lateinische Messe ziehe Schwule wegen ihrer Theatralik besonders an.

Oscar Wilde als Quelle

Viele Kirchen-Funktionäre sahen in dem Buch einen Verrat. Für Berger war es eine Therapie: "Es ist der Versuch, mir zu erklären, was da passiert ist." Er schreibt nun nicht mehr als Wissenschaftler, sondern als Aktivist, nicht mehr als Kirchenfunktionär, sondern als Kirchenkritiker. Auch die neue Arbeitsweise muss für Berger befreiend gewesen sein: Statt akribisch Fachartikel zu zitieren, nennt er schon mal einen Roman von Oscar Wilde als Quelle.

Bergers Wohnzimmer sieht heute noch aus wie das eines Theologen. Bis unter die Decke stapeln sich Bücher, "wahrscheinlich die größte Thomas-von-Aquin-Bibliothek in Berlin". Nur ganz unten im Regal liegt die Zeitschrift Muscle & Fitness. Am Vorabend war David Berger bei Anne Will, es ging mal wieder um die Homo-Ehe. Jetzt erzählt er stolz, dass die "Hühnerfarm", mit der er das Familienbild der konservativen Politikerin Erika Steinbach verglich, zur Schlagzeile bei Spiegel Online wurde.

Engagement gegen kreuz.net

David Berger denkt in solchen Schlagzeilen. Es scheint ein Reflex zu sein: Der Aktivist in ihm erkennt ein Problem, der Journalist verpackt es in eine griffige Formel. So wie neulich, als er sich über schwulenfeindliche Kommentare im Fernsehen ärgerte. Seine Zeile dazu: "Homohasser raus aus den Talkshows!" Im vergangenen Jahr engagierte sich Berger gegen das christlich-extremistische Internetportal kreuz.net. "Ich selbst hätte gut damit leben können, von denen weiter als Urinduscher bezeichnet zu werden", sagt er. Aber ein Priester, der auf der Website zwangsgeoutet wurde, landete in der Psychiatrie. Das brachte Berger dazu, eine Kampagne vom Bruno-Gmünder-Verlag zu leiten. Nach zwei Monaten fand die Gruppe die Hintermänner, kreuz.net ging offline.

So kam David Berger zu seinem neuen Job bei Männer. "Engagierten Journalismus" will er machen, schreibt er in seinem ersten Editorial. Im Heft gibt es eine acht-seitige Reportage über verfolgte schwule Bürgerrechtler in Weißrussland. Solche Themen sind Berger wichtig: "Wenn ich nur Muskeln haben will, kann ich mir auch die Men's Health kaufen." Männer dagegen soll politisch sein - auch wenn dann mal sperrig von "gesamtgesellschaftlicher Akzeptanz" die Rede ist.

Immer weniger Diskriminierung, die anzuprangern wäre

Acht Euro kostet das Heft, dafür gibt es auf 100 Seiten Interviews, Kultur- und Lifestyle-Tipps, eine HIV-Kolumne und erotische Fotos. Die wollte Berger unbedingt drinnenlassen - obwohl große Firmen deshalb keine Anzeigen schalten. "Es gehört zum schwulen Selbstbewusstsein, dass wir uns nicht in die Knie zwingen lassen", sagt er und klingt trotzig. Zwanzig Jahre lang hat er seine Sexualität versteckt. Heute gibt er lieber zu viel von sich preis als zu wenig.

Seine Zeitschrift hat dieselben Probleme wie alle: Im Internet gibt es Informationen umsonst, in kostenlosen Stadtmagazinen wie der Berliner Siegessäule Ausgehtipps. Aber eines kommt bei schwulen Medien noch hinzu: Je normaler Homosexualität wird, desto mehr wird über sie berichtet. Tageszeitungen schreiben ausführlich über die Homo-Ehe und machen damit das, was früher nur Special-Interest-Medien taten. Zugleich gibt es immer weniger Diskriminierung, die anzuprangern wäre. Der Aktivist David Berger könnte dem Journalisten David Berger eines Tages die Arbeit wegnehmen. Er würde es sicher gerne tun.

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Quelle:
SZ vom 11.07.2013/khil/rus
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