Chef der "Vanity Fair":Der letzte Impresario

Vanity Fair Party for 2011 Tribeca Film Festival

Graydon Carter, 64, ist seit 1992 Chefredakteur des amerikanischen Gesellschaftsmagazins Vanity Fair. Er etablierte dort die große Promi-Reportage.

(Foto: Peter Foley/dpa)

Wer in den USA ein Star wurde, das bestimmte lange Zeit auch Graydon Carter. Jetzt plant der Chef des Gesellschaftsmagazins "Vanity Fair" angeblich seine Rente. Braucht der Unterhaltungsjournalismus überhaupt noch Typen wie ihn?

Von Anne Philippi

Graydon Carter gibt zu, eine Betablocker-Pille vor der Vanity-Fair-Party zu nehmen. Das senkt den Blutdruck, und die Angst wird minimiert. Dazu trinkt Carter ein Glas Champagner. Der gibt ihm Energie, wenn plötzlich Justin Bieber zu seiner Linken steht und Mick Jagger zu seiner Rechten und fragt, ob er Justin Bieber kennenlernen darf. Das ist kein Klatsch über Graydon Carter, sondern eine Selbstauskunft in der New York Times.

Carter, Chefredakteur von Vanity Fair, ist ein Typ, der sich alles leisten kann. Was er tut, wird goutiert, diskutiert, ernst genommen. Als Carter anmerkte, Gwyneth Paltrow verhalte sich wie Kim Jong Un, weil Paltrow mit aller Macht eine Titelgeschichte zu verhindern suchte, entfachte das in Amerika eine neue Debatte zum Verhältnis von Stars und Medien.

Graydon Carter ist mächtig. Er ist Gastgeber der wichtigsten Oscar-Party am Sunset Boulevard, bei der die halbe Stadt abgesperrt wird, und die Verkehrsumleitungen gigantischer sind als beim Obama-Besuch.

Seit ein paar Wochen kursiert nun allerdings ein Gerücht um Carter. Angeblich soll er im Sommer Vanity Fair verlassen. Nichts ist bestätigt. Warum sollte der König gehen? Branchenmenschen erklären sich die Sache ganz rational. Carter werde im Juli 65 Jahre alt, und da müsse einmal Schluss sein. Zudem sei Carter in den digitalen Medien nicht wirklich zu Hause. Oder: Das Magazin kranke zunehmend an "Nostalgie", sagt Michael Wolff, Vanity-Fair-Autor. Nochmal die Clinton-Levinsky-Affäre im Heft besprechen, wie vor ein paar Wochen geschehen. Lang und breit. Was sagt das noch? Als habe Amerika keine neuen Helden. In der Tat häuften sich in den vergangenen Monaten und Jahren die Titelgeschichten mit J.-F.-Kennedy-, Elisabeth-Taylor- oder Marylin-Monroe-Enthüllungen, die ähnlich wie Diäten auf Frauenzeitschriften und Picasso auf Kunstmagazinen funktionieren. Geht immer (Vanity Fair verkauft heute etwa eine Million Exemplare), wird aber von Menschen mit Instagram-Account kaum wahrgenommen.

Zuviel konzentrierte Macht in einer Person

Man hat den Eindruck, Carter stehe für das Chefredakteursprinzip einer Entertainment-Welt, das sich "on the way out" befindet. Zuviel konzentrierte Macht in einer Person, Zeremonienmeistertum, überkommene Ideen von Celebrities und Ruhm. Carter ist ein Pendant zur Vogue-Chefin Anna Wintour: mächtig, auffällige Frisur, unvorstellbar einflussreich, in der Lage Karrieren zu bauen oder zu beschädigen. Daher werden Männer wie Carter von der New York Times "the last impresario" genannt.

Graydon wusste, wie man einen Impresario aus sich macht, agierte früh, um seine Magazinmacht zu stärken, eignete sich Restaurants wie die Monkey Bar an, das Beatrice Inn und das berühmte Waverly Inn, dessen Celebrity-Publikum Carter geschickt kuratierte. Er befahl dem Personal, Anrufe mit der Vorwahl 203 nicht anzunehmen, da es sich bei den Anrufern meistens um Hedge-Fond-Typen aus South Carolina handelte, die Carter in seiner Welt ebenso wenig brauchen konnte wie Stars aus Reality-Shows.

Carter hat sich die Restaurant- und Printmacht über Hollywood, seine große Nähe zu den Stars, selbst erarbeitet. Seine Eltern: weder Medienmacher noch Kennedys, weshalb Carter eine Weile bei der Eisenbahn im ländlichen Saskatchewan Kabel zwischen Masten glatt zog, dabei aber die neuesten Adidas-Turnschuhe trug. In den Achtzigerjahren machte er sich einen Namen, als er für das Time-Magazin die People-Seite betreute und das erlebte, was die meisten Reporter in dieser Branche erdulden müssen: trotz Smoking und super Laune nicht mal bis zum Valet Parker zu kommen, weil man eben als Journalist nicht auf der Swifty Lazar Oscar-Party eingeladen ist. Niemals.

Carter startete den Gegenangriff und mokierte sich erst mal über das Gebaren der Celebrity-Welt, die er später selbst nach den selben Regeln beherrschen sollte. Graydon gründete das Spy-Magazin, "eine Art Anti-Vanity-Fair". 1992 löste Carter Vanity-Fair-Chefin Tina Brown ab. Seitdem führt Carter die Bibel aller Entertainment-Publikationen. Vanity Fair produzierte auch Dokumentationen wie The kid stays in the picture über den großen Produzenten Bob Evans. Carters Wissen und Beurteilungsvermögen, was Ruhm angeht, ist fundiert. Er hat die Neunzigerjahre und die Nullerjahre mitgeprägt. Es waren Jahrzehnte, in denen sich der Ruhm als solcher drastisch veränderte.

Kim Kardashian schaffte es alleine vom Social-Media-Star auf das Cover der "Vogue"

Der- oder diejenige, die Carter ablösen wird, braucht ein neues Wissen. Oder zwei Gehirne. Oder eines, das neue und alte Medienwelten zusammen denkt, die sich gerade bekriegen. Der neue Chef wird mit einem neuen Begriff von Celebrity klarkommen müssen. Einem, der keine Paparazzi braucht, denn neue Internet-Celebrities zeigen mehr, als jeder Paparazzi in der Lage wäre zu fotografieren. Ruhm-Biografien verändern sich. 19-jährige Tech-Milliardäre erleben keine Drogenabstürze mehr, die Ups und Downs in den Dreißigern fallen weg, denn der Weg zum Ruhm und Reichtum ist verkürzt; der Stoff, aus dem Biografien eines 20. Jahrhunderts bestehen, wird zerfallen. Alter ist Jugend, und umgekehrt. Carters Nachfolger werden in eine Unterwelt gehen, in einer Parallelwelt recherchieren müssen, in der die größten Summen fließen und die größten Stars unterwegs sind.

"Stars beginnen nicht mehr nur online. Sie leben dort", erklärte das New York Magazine kürzlich in der Titelstory "The weird wide world of internet celebrity". Bestes, bisher unerreicht stärkstes Beispiel: Kim Kardashian, die innerhalb von sieben Jahren vom Status eine r famequeen-Person in der Social-Media-Welt zu eine m Vogue-Cover-Star wurde, auf Instagram heiratete und deren "Geheimnis" zum Ruhm sich sicher als Elixier verkaufen ließe. Gegen sie wirkt ihre alte Freundin Paris Hilton wie eine Dorfberühmtheit.

Stars werden heute nicht mehr vom Chefredakteur eines Hochglanzmagazins gemacht. Die Stars machen sich selbst.

Wer könnte die Wunderperson sein, die Vanity Fair übernehmen könnte? Namen kursieren. Da wäre Geordie Greig, Ex-Tatler-Chef, jetzt bei der Mail on Sunday. Greig ist adelig, hat Humor, auf seinem Schreibtisch bei Tatler stand eine Kakerlake aus Plastik. Greig deckte außerdem die Affäre zwischen Wendy Murdoch und Tony Blair auf: Vanity-Fair-Stoff. Noch zwei Engländer sind im Rennen: Style-Größe Dylan Jones, Chef der britischen GQ, und Johanna Coles, derzeit Cosmopolitan-Chefin in den USA, eine "nettere, freundlichere" Anna Wintour, wie es heißt. Auch Hollywood ist im Spiel. Da wäre Janice Min, die derzeit mit dem Hollywood-Reporter eine extrem unterhaltsame, insiderische Zeitung macht, nach deren Lektüre man auf Partys immer die richtigen Namen wüsste.

Egal, wann genau die Ära Carter vorbei sein wird: Die Träume, die Sehnsüchte haben sich geändert. Kein Journalist glaubt heute mehr an die Möglichkeit, auf der Party eines der ganz großen Hollywood-Stars mit diesem in den Pool zu springen. Der maximale zwischenmenschliche Kontakt beschränkt sich heute auf exakt 12,5 Minuten in einem Hotelzimmer.

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