"Charlie Hebdo" auf Deutsch:Französischer Sarkasmus für Frauke Petry

Deutsche Ausgabe von "Charlie Hebdo"

In der ersten Ausgabe erscheint ein vierseitiger Reisebericht von Herausgeber Riss. Auf einer Deutschlandreise habe er sich gewundert: "Die Leute sagen, sie kämen aus Deutschland, doch keiner sagt einfach 'Ich bin Deutscher', nicht einmal die Polizisten."

(Foto: Riss/Charlie Hebdo)

Das französische Satireheft "Charlie Hebdo" startet eine deutsche Ausgabe. Die Zeichner in Paris freuen sich schon darauf, deutsche Rechtspopulisten zu verspotten.

Von Joseph Hanimann, Paris

Zunächst hielt man es für einen neuen Charlie-Witz. Charlie Hebdo auf Deutsch, das ist ein bisschen wie Rumpelstilzchen auf Hocharabisch. Doch an diesem Donnerstag ist es so weit, mit einer Startauflage von 200 000 Exemplaren. Ist das Pariser Satireblatt mit seiner plötzlichen Berühmtheit und dem üppig fließenden Geld auf die unternehmerische Expansionslogik umgeschwenkt?

"Keine Angst, wir haben nicht vor, ein internationaler Medienkonzern zu werden", winkt der Herausgeber Riss ab, der den Mordanschlag in Paris vom Januar 2015 überlebt hat und dem inzwischen 70 Prozent des Verlags gehören.

Auch mit den Gewinnen sei das gar nicht so toll, sehr viel Geld gehe für die Leibwächter und die Schutzmaßnahmen im geheim gehaltenen Redaktionslokal weg. Dennoch: Im vergangenen Jahr konnte der Verlag alle Gewinne wieder investieren, fortan sollen es zumindest noch 70 Prozent sein.

Hinter dem Sprung über die Sprachgrenze hinaus steht darum eher das seit der Charlie-Gründung 1970 bestehende Verlangen nach einer Leser- und Kumpelgemeinde - schon in den Neunzigern hätten sie manchmal an eine internationale Ausgabe gedacht, um mit der Charlie-Tradition nicht so allein dazustehen in der Welt.

"Nach dem Mordanschlag waren wir dann oft in der schwierigen Lage, allen möglichen Leuten in fünf Minuten erklären zu müssen, was Charlie Hebdo ist", sagt der Herausgeber, und so habe man sich gedacht: Am besten, sie lesen es gleich selbst.

In keinem anderen Land sei die Reaktion auf den Anschlag so heftig gewesen, sagt die Chefin

Doch warum gerade Deutschland? Eine spontane Antwort hat der Fünfzigjährige mit dem Spitzbubenblick und den sympathischen Lachgrübchen im Gesicht darauf nicht und die frisch engagierte Chefredakteurin der deutschen Ausgabe springt ein.

In wohl keinem Land seien die Reaktionen auf den Anschlag so weit gegangen, mit Mahnwachen und Solidaritätsveranstaltungen, und sei eine so breite Debatte über Meinungs- und Pressefreiheit angestoßen worden wie in Deutschland, sagt die junge Berlinerin, die seit neun Jahren als Journalistin in Paris lebt und für ihre neue Aufgabe bei Charlie Hebdo das Pseudonym Minka Schneider angenommen hat. Nicht aus Sicherheitsgründen - sie hat nur keine Lust auf blöde Emails.

Für einen Kniefall vor den Charlie-Veteranen gehört diese Frau allerdings nicht zur richtigen Generation, sie ist nicht mit dem Mythos der berühmten Zeichner und Autoren François Cavanna, Jean-Marc Reiser und Georges Wolinski herangewachsen.

Deutsch-französische Beziehungen über frechen Ton vielleicht neu beleben

Allenfalls sah sie als Jugendliche manchmal bei Freunden Charlie-Zeichnungen auf dem Klo hängen. "Nun bin ich gespannt, wie diese politisch absolut unkorrekte Zeitung in einem Land ankommt, wo immer lauter von der 'Lügenpresse' geredet wird", freut sie sich.

Zugleich findet sie Gefallen an der Idee, die institutionell etwas verkrusteten deutsch-französischen Beziehungen über einen gemeinsamen frechen Ton vielleicht neu zu beleben. Und dazu fällt auch dem des Deutschen nicht mächtigen Riss wieder etwas ein.

Er ist quer durch Deutschland gereist, hat mit vielen Leuten gesprochen und legt Zeugnis davon ab in einem vierseitigen gezeichneten Reisebericht, der die französische wie die deutsche Charlie-Ausgabe dieser Woche eröffnet. Eine Sache sei ihm auf seiner Tour besonders aufgefallen. "Die Leute sagen, sie kämen aus Deutschland, doch keiner sagt einfach 'Ich bin Deutscher', nicht einmal die Polizisten", wundert er sich. Bei so viel Selbstdistanz müsse doch auch etwas Platz für die französische Lach- und Spottkultur da sein.

Nicht einfach ein Witzblatt

Die Zeichner und Schreiber des Pariser Blattes haben für ihr Unternehmen indessen einen seltsamen Weg eingeschlagen. Sie hätten sich mit ein paar Geistesverwandten aus Deutschland zusammentun können, um sie entweder an der Pariser Stammadresse oder in einer deutschen Filiale in streitlustiger Auseinandersetzung eine eigene Zeitung machen zu lassen.

Stattdessen besteht die Hauptaufgabe der deutschen Redaktion aus Übersetzungsarbeit. Die Chefredakteurin Minka Schneider ist praktisch nur von Übersetzern, Zeichnern und Layouter umgeben. Ihre Aufgabe besteht darin, aus der jeweils neuen französischen Ausgabe am Tag nach der berühmten Mittwochskonferenz das für Deutschland Interessante auszusortieren, zu bearbeiten und, wenn nötig, zu ergänzen.

Das deutsche Heft erscheint dann mit demselben Umfang von 16 Seiten einen Tag nach dem französischen Original, zum ersten Mal also an diesem Donnerstag.

Dass dem Humor und dem Spott beim Sprung über die Sprach- und Kulturgrenze hinaus leicht die Spitze bricht, ist auch den Charlie-Autoren klar. Doch sollen die Leute kapieren, dass Charlie Hebdo nicht einfach ein Witzblatt ist, finden sie.

"Dreiviertel unserer Beiträge sind allgemeinen Themen gewidmet, Umweltfragen zum Beispiel gehören seit den Siebzigern praktisch zu unserem festen Bestand", erklärt Riss. Und wenn deutsche Leser manchmal auf Google nachschauen müssten, wovon da genau die Rede sei, mache ihr das keine Angst, fügt Minka Schneider hinzu.

Ein Massenpublikum kann das Blatt in Deutschland wohl nicht erwarten

Umgekehrt ist es interessant zu hören, wie sehr im Hinblick auf das neue Abenteuer deutsche Themen in der Charlie-Redaktion neuerdings im Vordergrund stehen. Manche Zeichner, heißt es, seien schon ganz neugierig, was dem in Frankreich bisher unbekannten Gesicht populistischer Menschenvernunft von Frauke Petry an Sarkasmus abzugewinnen sei.

Doch fest steht eines: Ein Arte der Lachkultur soll Charlie Hebdo nicht werden. Das Wochenblatt bleibt eine französische Zeitung mit dem ihr eigenen Humor aus Unverfrorenheit, undogmatischem Engagement, Zügellosigkeit bis zur Schamlosigkeit und manchmal auch einem Schuss Blödelei.

Zum Lachen gibt es nach dem Horror des vergangenen Jahres und den darauffolgenden internen Spannungen auch in der Pariser Redaktionsrunde offenbar wieder etwas mehr.

Manche Mitarbeiter haben das Haus im letzten Jahr im Streit wegen der neuen Führung mehr oder weniger geräuschvoll verlassen. Erst in diesem September verließ die franko-marokkanische Journalistin Zineb El Rhazoui die Zeitung mit dem Vorwurf, Charlie sei nicht mehr, was es vorher war.

Personell ist die Pariser Redaktion wieder auf dem Stand der Neunzigerjahre

Der Herausgeber Riss sieht das gelassen. Es sei schwierig gewesen, nach dem Massaker im Januar 2015 in kurzer Zeit ein neues Mitarbeiterteam mit den hohen Anforderungen aufzubauen. Wechsel hätten schon immer zur Haustradition gehört. Inzwischen sei die Redaktion, was die personelle Ausstattung angeht, wieder auf dem Stand der Neunzigerjahre.

Ein Massenpublikum kann das Blatt in Deutschland nicht erwarten. Das tut es aber auch nicht - dazu ist das Projekt mit seinen übersetzten Beiträgen zu sehr von der französischen Redaktion und deren Themen dominiert. "Mag sein, auch wir haben ein bisschen Jakobinergeist in uns", gibt Riss bereitwillig zu.

Etwa tausend Exemplare wurden von der französischen Ausgabe bisher wöchentlich in Deutschland verkauft. Sollte diese Zahl sich dauerhaft aufs Zehn- oder Zwanzigfache erhöhen, wäre das schon ein Erfolg. Zum Start soll die Auflage 200 000 Stück betragen. Die Spottzunft um Charlie könnte sich dann mit einem vergrößerten Publikum der neuen politischen Weltlage zuwenden, die mit Fanatismus und Populismus wieder reichlich Angriffsfläche bietet.

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