Cartoons:"Kein Humor bedeutet auch Ausgrenzung"

Cartoons: Phil Hubbe fertigt in seinem Atelier Cartoons von Behinderten an.

Phil Hubbe fertigt in seinem Atelier Cartoons von Behinderten an.

(Foto: Phil Hubbe)

Comiczeichner Phil Hubbe macht in seinen Cartoons Witze über Behinderte. Er darf das. Schließlich weiß er genau, worüber er da lacht.

Von Cornelius Pollmer

Das Atelier von Phil Hubbe verbreitet auf zunächst undurchsichtige Weise eine angenehme Atmosphäre. Man spürt eine Art neues Gefühl, weiß nur nicht so recht, warum es einem hier so gut gefällt. Und wenn dann der Groschen gefallen ist, folgt ein leichtes Erschrecken über sich selbst: Es ist die sachte Übellaunigkeit des Gastgebers, die es so behaglich macht. Hubbe, 51, von Beruf Karikaturist, sitzt einem in Magdeburg bei wirklich allerbestem Sommerwetter hinter riesigen Atelier-Fenstern gegenüber. Seine Arme: vor der Brust verzopft. Sein Blick: einer aus der Kategorie hohe Wartenummer im Einwohnermeldeamt. Seine äußerliche Gesamtlaune: bestenfalls herbstlich. In Summe wirkt Phil Hubbe fantastisch ehrlich temperiert und deswegen sofort und komplett sympathisch, da kann er jetzt gerne drei oder mehr Stunden murren wie er möchte.

Zunächst hat Phil Hubbe zur Sache Folgendes zu sagen: Oft sei er gar nicht schlecht gelaunt, oft wirke es nur so. Freunde berichten ihm, dass er am Telefon immer so mürrisch klinge - dabei sei er es nur selten. Auch habe ihm ein Bekannter mal erzählt, er habe sich nicht getraut, Hubbe in der Bahn anzusprechen, weil dieser so grimmig gewirkt habe - dabei sei er es gar nicht gewesen.

Diese Happiness, und dieses Aufgezwungene des positiven Denkens

Im Einzelfall tun Hubbe solche Missverständnisse fast ein bisschen leid. Grundsätzlich aber sei schon mal festzuhalten, dass dieser Zwang zur guten Laune einfach nervt, "auch im Radio, diese Happiness, und dieses Aufgezwungene des positiven Denkens. Ich finde, und das gilt auch für Behinderte, wenn es einem schlecht geht, dann soll man das auch zeigen dürfen." Apropos, das hätte man jetzt bei so viel herrlich schlechter Laune fast vergessen: Das Thema Behinderung ist gleich zweimal sehr nachhaltig in das Leben von Phil Hubbe getreten, und das ist zur Hälfte eine gute Nachricht.

Die andere, erste Hälfte begann im Jahr 1985. Beim Grundwehrdienst in der Nationalen Volksarmee entzündete sich ein Sehnerv, Hubbe schaute wie durch Milchglas. Ihm wurde ein Zahn gezogen, Besserung. Nur wenige Jahre später aber begann Hubbe zu stolpern, selbst leichte Dinge konnte er kaum noch greifen. Er ging in die Neurologie, seine erste Frage nach der Untersuchung war: Wann kann ich wieder Fußball spielen? Die Antwort des Arztes lautete: Sie haben Multiple Sklerose.

Über die Autoimmunerkrankung MS lässt sich an anderer Stelle mehr erfahren. Im Fall von Phil Hubbe sei ergänzt, dass die Ärzte ihm einen progredienten Verlauf attestierten, die Symptome bilden sich dabei nicht zwischendurch zurück, sie nehmen immer mehr zu. Doch noch etwas sei im Fall von Phil Hubbe ergänzt: Dass bei aller Mühe mit der MS auch sein Lebensglück in den folgenden Jahren zunahm. Hubbe ist dankbar für seine Freundin von damals, die alle Gelegenheit gehabt hätte, ihn zu verlassen und die er seit 28 Jahren seine Frau nennen darf, die beiden haben eine Tochter. Seine Krankheit lässt ihn zwar manchmal down sein oder müde, aber Hubbe hat auch ein Medikament gefunden, für das er dankbar ist, weil es damit so gut geht, wie es eben geht. Sein Beruf schließlich ist einer, für den er ebenfalls dankbar ist, und damit war ja auch nicht unbedingt zu rechnen, als Hubbe 1989 nach dem Fall der Mauer mit nichts als einem Abitur bewaffnet in die neue Welt übertrat.

Zu diesem Beruf gehört die zweite Hälfte, die gute Nachricht im thematischen Großraum Behinderung. Um die Jahrtausendwende begann Hubbe, Behinderungen in seinen Cartoons abzubilden, aus dieser Anfangszeit stammt auch eine Zeichnung, die noch immer zu seinen Favoriten und denen des geneigten Publikums gehört: An einer Anlegestelle liegen gewaltig nebeneinander die MS Titanic, die MS Arkona, die MS Berlin, die MS Strandgut. Daneben wartet am Kai ein kleiner Mann im Rollstuhl, auf ihn ist ein Pfeil gerichtet, der ihn als "MS Rainer" ausweist.

"Welchen Spaß die Gesellschaft zu verstehen bereit ist"

Die Zeichnung gibt einen guten Blick frei auf die Arbeit Hubbes, die im Grunde nie von wattebauschiger Rücksichtnahme oder hysterischem Zynismus verunreinigt ist. Hubbes Grundton ist, bei allem Recht auf schlechte Laune, eine konsequente Heiterkeit, die selbst im erregungssüchtigen Deutschland kaum jemand als übertrieben empfindet. Der Cartoonist John Callahan, der nach einem Suffunfall querschnittsgelähmt blieb und bei dem nicht nur die Strichführung als grob zu bezeichnen war, hatte für Hassbriefe noch eine eigene Rubrik auf seiner Webseite. Das habe er nicht, sagt Phil Hubbe, und er sagt, er bedauere es sogar ein wenig, dass ihm die Leute oft nur nett schrieben. "Es ist kein so gutes Gefühl, es immer allen recht zu machen, man könnte sich ja an Widerspruch viel besser abarbeiten".

Nun ist es aber einerseits so, dass gewisser Zuspruch durchaus das Herz wärmt und es erweicht. Eine Frau hat Hubbe vor einer Weile geschrieben, ihr erkrankter Mann habe dank MS Rainer das erste Mal nach fünf Jahren wieder lachen können. Es ist zudem andererseits auch so, dass Hubbe dann und wann durchaus Widerspruch erhält, zuletzt im größeren Stil sehr bezeichnenderweise mit einer Karikatur, die mit Behinderungen nullkommagarnix zu tun hatte. Nachdem Hans-Dietrich Genscher gestorben war, hatte Hubbe diesen im Bett liegend gezeichnet, daneben den Tod und über ihm eine Sprechblase: " ... zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre ... äh ... Ausreise ..."

"Kein Humor bedeutet auch Ausgrenzung", sagt Hubbe, das habe man ja bei verschiedenen Gruppen von Einwanderern in den USA gesehen. Diese hätten sich im Sinne der Integration erst so richtig ernst genommen gefühlt, als der Unterhaltungsbetrieb begonnen hatte, auch über sie Witze zu machen.

Wobei man da leider immer schnell vor der Frage steht, wer denn auf wessen Kosten lachen darf. In Phil Hubbes Reihe "Behinderte Cartoons" gibt es Gleichberechtigung auch in der Weise, dass es gar nicht immer die Behinderten sind, mit denen oder über die am Ende gelacht werden soll. So sitzen auf einer Zeichnung zwei Kinder stumm nebeneinander auf einer Parkbank, das eine twittert, das andere wischt sich auf dem Handy durch Facebook. "Taubstumm?", fragt eine Frau irritiert ihre Begleitung mit Blick auf die Bank. Die Begleitung antwortet kurz: "Schlimmer!"

Ein Gefühl dafür, wie viel und welchen Spaß die Gesellschaft zu verstehen bereit ist

Phil Hubbe produziert Bücher, er bestückt Ausstellungen und Messestände. Die Regionalzeitungen, die sich Karikaturen leisten wollen und können, werden zwar weniger, aber es gibt auch sie noch. Und der Chefredakteur des kicker sucht inzwischen routiniert als erstes nach dem Maulwurf, den Hubbe in jeder seiner Zeichnungen für das Sportmagazin versteckt.

Wer an so vielen Fronten zeichnet, der entwickelt auch ein Gefühl dafür, wie viel und welchen Spaß die Gesellschaft zu verstehen bereit ist. Für die Humorfachabteilung Behinderung kann Hubbe guten Gewissens eine gewisse Entspannung vermelden. Auch Hubbe war erstaunt, als die Leute sich an der Kinokasse ziemlich plötzlich wegen der ziemlich besten Freunde drängelten und von Minute eins des französischen Films an laut lachten. Da hätte er nur gerne mal das Licht angemacht, um zu schauen, ob auch dann weitergelacht wird. Denn: "Wenn sie sich beobachtet fühlen, trauen sich das viele immer noch nicht so richtig."

Auch an Zuschriften merkt Phil Hubbe, dass das Feld, das er bestellt, ein gedeihliches ist. Er, doch, wirklich: schmunzelt jetzt sogar, als er in seinem Atelier von der Post erzählt, die ihn so erreiche. Neulich habe sich eine Frau bei ihm beschwert. Es sei ja ganz toll, was er so mache, sie aber leide an Schuppenflechte und wie, bitte, könne es denn angehen, dass er dazu noch keine einzige Zeichnung fabriziert habe?

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