Die Zukunft des Journalismus. Hier? In diesem Bürogebäude in einem Vorort von Taipeh? Muss man nicht so sehen, kann man aber wohl, wenn man Jimmy Lai heißt, und im Leben schon mehrmals für verrückt erklärt wurde, bevor man es dann allen zeigte. Den Hongkonger Jimmy Lai, der sich vom Flüchtlingsjungen zum Textilindustriellen hochgearbeitet hatte, bevor er auf Verleger umsattelte. Jimmy Lai, den sie einen Schmierfink hießen, aber auch einen Rebell gegen das Establishment, einer, der vor allem den Diktatoren in Peking bis heute die Stirn zeigt. Jimmy Lai, der Neuerer, der sich selbst immer nur als eines sah: als Verkäufer. "Ich gebe dem Volk, wonach es verlangt", sagte er der SZ einmal.
Also, drei Promis, drei Nachrichten: Tiger Woods, seiner Ehefrau untreuer Golfprofi, springt ins Auto um vor der den Golfschläger schwingenden Frau zu fliehen. Dominique Strauss-Kahn, Chef des Internationalen Währungsfonds, nähert sich in einem New Yorker Hotel einem Zimmermädchen. Kim Jong Un, gelangweilter Diktator, spielt mit der Atombombe. Drei Nachrichten, die um die Welt gingen, Titelseiten füllten, TV-Sender auf Trab hielten. Drei Mal das gleiche Problem: Keine Kamera war dabei. Es gibt also keine Bilder.
Oder vielmehr: Es gab keine. Bevor Jimmy Lai der Welt seine jüngste Firma schenkte, Next Media Animation, NMA.
"Es ist, als ob man ein Videospiel anguckt"
Ins Leben gerufen zunächst als Zulieferer seiner Sex- und-Crime-Postille Apple Daily, mit denen er die Zeitungsmärkte zuerst in Hongkong und dann in Taiwan aufgerollt hatte. Irgendwann, sagte Jimmy Lai dem Magazin Wired kurz nach der Gründung von NMA, sei ihm bang geworden vor der Zukunft der Printmedien. Außerdem wollte er sich nicht länger arrangieren mit einer Tatsache, mit der sich schaulustige Beobachter schon seit der Entstehung des Raum-Zeit-Kontinuums abfinden müssen: dass man immer erst nach der Tat am Tatort sein konnte. "Wir hatten die Leichen", sagte er, "aber wir sahen nie die Morde." Irgendwann hatte er den Geistesblitz: Warum nicht einfach die Bilder im Nachhinein selbst schaffen? Am Computer, als Animation? "Es ist, als ob man ein Videospiel anguckt, aber es sind Nachrichten!"
Nachrichten als Comics also. Und so konnten die Amerikaner nur wenige Stunden nach dem Vorfall im November 2009 Tiger Woods' computeranimierter Gattin dabei zuschauen, wie sie ihrem untreuen Mann das Gesicht zerkratzt und seinem SUV mit einem Golfschläger in der Hand hinterherjagt. Das war der erste Streich der eben erst gegründeten Firma in Taipei, noch ein wenig unbeholfen produziert, aber das Kalkül ging auf: Das Publikum schrie auf vor Empörung wie vor Lust, die BBC klopfte an - und Jimmy Lai hatte mal wieder ein Entrée ganz nach seinem Geschmack: "Der Zuschauer will die Dinge lieber simpel. Manchmal musst du einen Schritt zu weit gehen."
Und so tat NMA auch den Schritt ins New Yorker Hotelzimmer, wo der entkleidete Strauss-Kahn über das Zimmermädchen herfällt. Oder ins Allerheiligste von Nordkorea, wo Kim Jong Un die Welt per Diktatorenfurz zum Zittern bringt, wenn er nicht gerade Damenkleider anprobiert.
Viele der Videos, das muss man sagen, sollen lustig sein. Andere sind es eher unfreiwillig, darunter nicht wenige derer, die den Großteil des Ausstoßes darstellen, die also auf die Boulevard-Webseiten für Hongkong und Taiwan gehen. Julie Huang, die Pressesprecherin der Firma, sagt, die lustigen Kabarettstückchen seien nur ein kleiner Ausschnitt, tatsächlich sei das Ziel von NMA ein anderes: "Wir geben dir in einer 30 Sekunden Animation das, wofür du sonst zwei oder drei Artikel lesen müsstest", sagt sie. Und fügt an: "Jimmy Lai will hier ernste Nachrichten produzieren".
Oder zumindest das, was als ernste Nachricht durchgeht, wenn man 20 Jahre lang ein Revolverblatt wie Apple Daily geführt hat. Das klappt mal schlechter und mal besser. Einige der Videos wurden Kult, und man darf annehmen, dass sie den Erfolg nicht ihrer Ernsthaftigkeit verdanken, sondern der bizarren, oft surrealen Überzeichnung der Ereignisse, wobei sich die Produzenten weder von Scham noch von Geschmack bremsen lassen. Aber auch nicht von Furcht: Die Kommunistische Partei in Peking kriegt oft ihr Fett ab, die bedrohlichen Pandabären mit dem grünen Mao-Käppchen auf dem Kopf, die sich durch viele der Filme prügeln und foltern sind praktisch die Maskottchen der Firma.
Dafür, dass NMA noch keine vier Jahre alt ist, hat die Firma es weit gebracht, bis nach Springfield gar, wo die Macher der Simpsons in einer Folge die NMA-Videos parodierten: Es gibt eine Szene in Moe's Bar, bei der zu chinesischen Untertiteln viel Erbrochenes fließt (in den NMA-Werken wird gerne gekotzt und gefurzt). Die amerikanische Webseite Gawker attestierte NMA derweil "einige der besten Kommentare zu Amerikas Gesellschaft und Politik", und der englische Guardian meinte gar, jeder wisse mittlerweile, "dass kein Vorfall in der Welt mehr wirklich geschehen ist, bevor nicht die verrückten Genies bei Taiwans NMA davon eine ihrer inspirierten Nacherzählungen in der virtuellen Welt abgeliefert haben".
Hinter Genie und Geblödel steckt eine geradezu furchterregend effizient organisierte Produktion. 500 Mann arbeiten mittlerweile für NMA, davon 300 Animateure, 150 pro Schicht. Auf dem Stockwerk, dass sie sich teilen, herrscht solch konzentrierte Stille, dass man kaum zu flüstern wagt. Pro Tag entstehen hier nicht weniger als 46 Filme, die meisten nicht länger als 30 Sekunden. "In Hollywood brauchen sie für einen 90-minütigen Animationsfilm vielleicht zwei Jahre", sagt Julie Huang. "Wir können 90 Minuten in drei Tagen produzieren."
Wenn die Storyboard-Zeichnerin Tina von der Redaktion neue Stichworte zugerufen bekommt, hat sie nur ein paar Minuten Zeit, in ihrer kleinen Zelle ein Drehbuch zu zeichnen. Nebenan zeichnen andere an anderen Nachrichten. Tina wirft hastig eine dicke Frau aufs Papier. "Ich glaub, das soll was Lustiges werden", sagt sie. Die Frau wird geküsst von einem arabisch aussehenden Mann. Tina zeichnet eine Kiste, aus der abwechselnd Eichhörnchen den Kopf rausstrecken. Die Frau haut die Tierchen dann mit einem Hammer platt. Was das soll? Weiß Tina auch nicht. "Ich kenne die ganze Geschichte nicht", sagt die Zeichnerin.
Dann läuft sie in den Konferenzraum, wo sie sich mit Animateuren, Modellierern und den Regisseuren des Motion-Capture-Studios trifft. Die Zeichnung werden an die Wand geworfen, jeder stellt die Fragen, die er hat, dann laufen alle zurück an ihren Arbeitsplatz. Die Modellierer suchen an ihrem Rechner aus einem Archiv von mehr als 70.000 Objekten und Figuren die passenden (Hammer, Tisch, Raum, dicke Frau, Araber) aus. Im Motion-Capture-Studio sind die Schauspieler längst an der Arbeit. Sie tragen schwarze Anzüge mit metallischen Knöpfen, spielen die Szenen vor, ihre Bewegungsabläufe werden abgefilmt und später den Figuren am Computer unterlegt. "Eva, nimm den Hammer", ruft der Regisseur.
300 Szenen pro Schicht
Eva haut mit einem Styroporkeil auf die unsichtbaren Eichhörnchen ein. Keine Szene dauert länger als 4,5 Sekunden, kaum eine wird wiederholt. Die Schauspieler sind Profis, aber was sie hier machen, ist Fließbandarbeit: 300 Szenen pro Schicht, neun Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. "Das ist Sweatshop-Arbeit", sagt Thomas Tang vom Studio und grinst.
Vieles, was hier produziert wird, ist, nun ja, simpel, manches für den braven Konsumenten traditioneller Nachrichten auch schockierend. Für ihre comichaften Darstellungen von exzessiver Gewalt hat sich die Firma schon Rügen von Taiwans Rundfunkaufsichtsbehörde NCC eingefangen, die NCC nahm das sogar zum Grund, Jimmy Lai die Kabellizenz für einen TV-Sender zu verwehren - seither konzentriert sich NMA ganz aufs Internet.
Dass sich NMA oft die Stars und die Politik der USA vorknöpft hat seinen Grund: Man hat den amerikanischen Markt im Blick. Seit vergangenem Jahr schon gibt es eine Kooperation mit der Nachrichtenagentur Reuters, für die NMA am Tag zehn Filme produziert, streng seriös natürlich, oft technische Animationen oder Wissenschaftsvideos. Im Sommer will die Firma eine eigene Webseite für die USA starten, so wie sie es mit Tomo News soeben auch für Japan getan hat. "Die Leute hatten viele Vorurteile bislang", sagt Julie Huang. "Animation, das galt als Unterhaltung, als unseriös. Aber ich glaube, wir sind auf dem Weg dahin, dass immer mehr Menschen Animationen als Teil der Nachrichten akzeptieren."
Die Animateure von NMA haben es jetzt schon geschafft, mit ihrer Mischung aus News, Comic und Videospielästhetik eine ganz eigene Bildsprache hervorzubringen. Geschichtenerzähler, das sind sie. Aber Journalisten? Die Zukunft des Journalismus gar? Wahrscheinlich freut sich Jimmy Lai diebisch über den knallbunt ausgeleuchteten Schrecken, den er mancherorts auslöst mit seiner taiwanischen Feuerwerksbatterie. Und dennoch sind einige der Videos erstaunlich clever, manche sind kleine Meisterwerke.
Der Battle-Rap zum Beispiel, in dem US-Präsident Barack Obama und Chinas Ex-Staatschef Hu Jintao aufeinander losgehen: In mal eben 3:49 wird da in Rapversen ein eigentlich staubtrockenes Thema, der Währungskrieg zwischen den beiden Supermächten erklärt. Aufklärung im besten Sinne. Und doch eher die Ausnahme. Gerade wird auf der Webseite der am besten bedient, der gerne anschaulich erklärt haben möchte, wie Angelina Jolie/Lara Croft einst ihre beiden Brüste als Waffen einsetzte.