"Safe" auf ZDFneo:Auf der Suche nach dem Ton

"Safe" auf ZDFneo: Im Rollenspiel mit Lippenstift und Schminke will Katinka (Judith Bohle, l.) verstehen, warum Ronja (Lotte Shirin Keiling) ihrem Vater so gefallen will.

Im Rollenspiel mit Lippenstift und Schminke will Katinka (Judith Bohle, l.) verstehen, warum Ronja (Lotte Shirin Keiling) ihrem Vater so gefallen will.

(Foto: Julia von Vietinghoff/ZDF)

Caroline Links erste Dramaserie handelt von psychischen Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen - betont sachlich, aber trotzdem mit viel Gespür.

Von Harald Hordych

Ronja spielt im Sandkasten. Sie buddelt ein Loch. Tief genug um die männliche Puppe komplett zu verscharren. Die Sechsjährige legt sie hinein in dieses Grab und bewirft den kleinen Kerl mit Sand. "F91 Störung des Sozialverhaltens, F93 Emotionale Störung des Kindesalters", so lautet die Diagnose der Berliner Psychotherapeuten Katinka (Judith Bohle) und Tom (Carlo Ljubek). Ronja hat offenbar ein Problem mit anderen Kindern - und mit ihrem kleinen Bruder. Er steht mit ihr in Konkurrenz zum geliebten von ihrer Mutter getrennten Vater, einem lebenslustigen Koch, den die Kleine während der Therapiesitzungen im Rollenspiel mit der Therapeutin mit Lippenstift und Schminke für sich zu gewinnen sucht.

Sachlich geht es auch bei den anderen Fällen in der ZDFneo-Serie Safe zu: Sam, 15 Jahre, Störung des Sozialverhaltens bei vorhandenen sozialen Bindungen. Jonas, 8 Jahre, Anpassungsstörung mit Depressionsreaktion nach Belastungssituation. Nellie, 15 Jahre, Panikstörung: So dokumentarisch wie die eingeblendeten Krankheitsbilder ist auch der Erzählton von Safe. Was das souveräne Konzept der von Oscar-Preisträgerin Caroline Link geschriebenen und in Szene gesetzten Serie sehr respektabel macht. Aber vermag sie auch zu fesseln?

Ausgezeichnete Schauspieler, Dialoge ohne peinliches Bemühen um Jugendsprech

Sehenswert macht die erste Dramaserie von Caroline Link vor allem zweierlei: Links Kunst der Schauspielerführung - verbunden mit einem ausgezeichneten Ensemble - und die fabelhaften Dialoge, die sie geschrieben hat, die peinliches Bemühen um Jugendsprech vermeiden. Sie verleihen jeder der Szenen die Spannung, die auch in der Realität bei der Begegnung von Psychotherapeut und jungem Patient entstehen könnte. Etwa beim Aufeinandertreffen von jugendlicher Schroffheit, Verstocktheit und Lakonie und dem sichtlichen Bemühen der Therapeuten, Nähe herzustellen. Nähe, die nur ja nicht zu routiniert einfühlsam, zu offensichtlich berechnend liebevoll sein darf.

Caroline Link fühlt sich zu Kindern wegen ihrer Fähigkeit zur Freude und dem Aufgehen im Augenblick hingezogen. Die Fähigkeit nach vorn zu schauen und sich nicht wie Erwachsene vor allem in der Vergangenheit aufzuhalten, habe sie schon immer an ihnen fasziniert, erzählt sie bei einem Treffen in einem Münchner Café. Sie sieht sie zwar in einer Abhängigkeit von der erwachsenen Welt, in der sie hineingeboren werden. Aber als Opfer oder als Schwache sieht sie Kinder nicht. Im Gegenteil: "Mich interessiert gerade ihre Robustheit. In meinen Filmen sind die Kinder, wenn sie die Hauptrollen spielen, eher immer diejenigen, die die Geschichte vorantreiben und den Erwachsenen etwas voraushaben."

Dieses Hingezogenfühlen hat nun eine Dramaserie mit fiktiven Fällen hervorgebracht, über Jahre akribisch entwickelt im Wechselspiel mit zwei Kinder- und Jugendpsychotherapeuten. Allerdings mit der Konzentration auf verhaltensauffällige Kinder. "Kinder kommen als unbeschriebene Blätter auf die Welt. Erst durch den Kontakt zu ihrer Umwelt und den Erwachsenen, werden sie zu ,Problemkindern'. Ich kann schwierigen Kindern alles verzeihen. Ich will verstehen, warum sie sich so verhalten. Und wie man ihnen helfen kann." Safe ist so etwas wie eine Tonfindungsserie geworden. Sie handelt vom Ringen um den richtigen Ton, der den beiden Psychotherapeuten ermöglicht, mit den sehr verletzlichen, verstörten jungen Menschen offen und vertrauensvoll zu sprechen und so zu den Ängsten und Verletzungen vorzustoßen, wo die Hilfe erst wirklich beginnen kann, bei Ronja, Jonas, Samuel und Lottie.

Spannung entsteht durch hilflose Provokation, das Setzen von Fragen im richtigen Moment

Link vermeidet es dabei, ihren Geschichten jegliche effekthascherische Dramatik einzuhauchen. Anders als der Oscar-prämierte Film "Good Will Hunting", in dem die spektakuläre mathematische Begabung einen Jugendlichen zu einer schillernden Figur machte. Links Zurückhaltung verleiht dem Thema die Bedeutung, die es verdient: Die Kinder und Jugendlichen stehen im Vordergrund, ihre Persönlichkeit und die konzentrierte Arbeit der beiden Psychotherapeuten. Ob es unbedingt nötig war, die Leitideen der therapeutischen Sitzungen von einer erfahrenen Kollegin bei der Supervision fast lehrbuchhaft vortragen und Katinka und Tom dabei verständig wie Erstsemester nicken zu lassen, sei dahingestellt. Spannung entsteht, wenn die Jugendlichen, durch hilflose Provokation auszuweichen versuchen, wenn heikle Fragen riskiert werden, wenn Aufmerksamkeit entsteht, die von glaubhaftem, nicht säuselndem Interesse getragen wird. Psychotherapeut Tom fragt den aggressiven Jugendlichen Sam einmal: "Macht dich das nicht fertig, immer so ein tougher Kerl sein zu müssen?" "Soll ich heulen?", entgegnet Sam, "mir ist wütend sein lieber." "Du bist lieber wütend als traurig?" "Allerdings, meine Mutter war immer traurig, mein Vater war immer wütend, tot sind sie beide."

Dass es dem Zuschauer trotz all der geschilderten Probleme nicht zu schwer gemacht wird, hängt auch mit einem kleinen Trick zusammen, obwohl Caroline Link nach eigenem Bekunden keine Sekunde darüber nachgedacht hat, wer sich für diese Serie interessieren könnte. Als sie die Folgen der Leiterin des Heckscher-Klinikums in München zeigte, eine der größten kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtungen Deutschlands, habe diese gesagt, im Vergleich zu ihren Fällen seien das ja gut behandelbare Auffälligkeiten. In der Tat: keine schwere Depression, keine langjährige Magersucht, kein Selbstmordversuch. So ist Safe auch eine Serie geworden, die Hoffnung schenkt, dass Kinder und Jugendliche wieder zu dem zurückfinden können, was Caroline Link an ihnen so schätzt: Freude zu empfinden, wenn sie daran denken, was ihnen die Zukunft alles schenken wird.

Safe, in der ZDF-Mediathek

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