Buzzfeed:Von der Katzenbildschleuder zum investigativen Journalismus

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Früher war mehr Katzenbild: das US-Portal Buzzfeed. Illustration: Christian Tönsmann (Foto: Fotos: Shutterstock; Collage: SZ-Grafik)

Das US-Medienportal Buzzfeed ist vor allem für seine Quizze und Tests bekannt. Das soll sich nun ändern - auch beim deutschen Ableger.

Von Karoline Meta Beisel

Der Raum im Erdgeschoss ist so voll, dass man meinen könnte, drinnen würde gerade die Dieselaffäre aufgeklärt. Selbst draußen versuchen vorwiegend junge Leute, durch die geöffneten Fenster Fetzen von dem zu hören, was drinnen gesprochen wird. Dort redet jemand darüber, wie man mit investigativen Recherchen seine Reichweite vergrößert. "Wenn ich mit den ersten Ergebnissen drei, vier kleine Geschichten veröffentlicht hätte, dann hätte ich jetzt vielleicht schon 200 neue Follower auf Twitter, und 20 Betroffene und einen Mitarbeiter, der sich bei mir gemeldet hat", sagt der Dozent - der nicht etwa von einem etablierten, für investigative Recherche bekannten großen Medium stammt. Es ist Daniel Drepper von Buzzfeed, der vor ein paar Wochen beim Journalistenkongress von Netzwerk Recherche als Dozent auftrat. Ausgerechnet Buzzfeed: Bis vor Kurzem wurde das Online-Portal noch als Katzenbildschleuder belächelt, wenn auch als sehr erfolgreiche. Unter seinem neuen Chefredakteur schickt es sich an, mit den traditionellen Medien auch in deren Kernkompetenz, der Recherche, konkurrieren zu wollen.

In den USA gilt Buzzfeed schon seit einer Weile als relevantes Nachrichtenmedium, in der Redaktion arbeiten acht Pulitzerpreisträger. In diesem Jahr war das Portal zum ersten Mal auch für eine eigene Geschichte für den berühmten Preis nominiert: für Recherchen zu dem Thema, wie internationale Unternehmen durch spezielle Streitschlichtungsstellen nationale Gesetze umgehen. Weiter weg von Katzenbildern geht es nicht.

"Überraschend viele Genitalien"

Gründer Jonah Peretti interessiert sich für alles, was Leser im Netz gerne weiterverbreiten. Dazu gehören auch journalistische Inhalte - und deshalb will er die auch bieten. Im deutschsprachigen Raum denken viele bei dem Thema Buzzfeed aber immer noch zuerst an Quizze und alberne Listen. Ganz falsch ist das nicht - Nachrichtengeschichten muss man auf der Seite etwas suchen. Statt dessen stehen dort Artikel à la "31 Designs, über die garantiert keine 5 Minuten nachgedacht wurde", Unterzeile: "Überraschend viele Genitalien".

Aber seit Daniel Drepper, einer der Gründer des Recherchebüros Correctiv, im April als Chefredakteur zu Buzzfeed wechselte, sind zu den seichten Themen ein paar ernste hinzugekommen: Zum Beispiel eine viel zitierte Untersuchung zu der Frage, wie viele Polizisten bei den G-20-Protesten tatsächlich verletzt wurden; eine Recherche darüber, wie unterschiedlich Jobcenter "ihre" Arbeitslosen behandeln; oder eine Analyse zu Fake News auf Facebook: Sieben der zehn erfolgreichsten Artikel über Angela Merkel sind ausgedacht. "Das Image von Buzzfeed ist schlechter, als es sein sollte", sagt Drepper.

Viel Kritik musste das Portal im Januar einstecken, als es in den USA als erstes Medium ein 35-seitiges Dossier veröffentlichte, das ein ehemaliger britischer Geheimdienstmitarbeiter zusammengestellt hatte. Darin heißt es unter anderem, der russische Geheimdienst verfüge über ein Video, das US-Präsident Donald Trump bei einer Sexparty in Moskau zeige. Trump nannte Buzzfeed daraufhin einen "failing pile of garbage", aber auch von anderer Seite wurde die Veröffentlichung als unverantwortlich bezeichnet, weil die darin enthaltenen Informationen nicht verifiziert werden konnten. Im Gespräch mit der SZ verteidigt Buzzfeed-Gründer Peretti die Entscheidung: "Unsere Intention war nicht: Lass uns das veröffentlichen, weil alles, was darin steht, wahr ist. Unsere Intention war: Lass uns die Öffentlichkeit über das informieren, worüber sich die höchsten Regierungsebenen unterhalten."

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Mehrere russische Geschäftsmänner, die in dem Dossier auftauchen, haben Buzzfeed wegen Verleumdung verklagt, die Verfahren laufen noch. Allzu große Sorgen macht sich Peretti deswegen aber nicht: "It'll be ok", sagt er, das komme schon wieder in Ordnung.

Dass er ein Händchen dafür hat, auch ernste Themen leicht konsumierbar zu verpacken, hat Peretti, heute 43, schon früh bewiesen; seinen ersten viralen Hit landete er, bevor es Twitter oder Facebook überhaupt gab. Als Nike um das Jahr 2001 herum damit warb, dass man sich nun auch Worte auf die Schuhe sticken lassen könne, bestellte Peretti, damals Student, ein paar Sneakers mit dem Schriftzug "Sweatshop". Der E-Mail-Verkehr, in dem Nike sich weigerte, die Bestellung auszuführen und der damit endete, dass Peretti statt dessen ein "Farbfoto der zehnjährigen Vietnamesin, die meine Schuhe näht" forderte, verbreitete sich erst unter Perettis Freunden. Dann berichtete die Lokalzeitung, der Guardian, das Wall Street Journal und das Fernsehen.

Die Nachrichtenleute lernen von den Quatschmachern am Unterhaltungsdesk

Seine Strategie für Buzzfeed nennt Peretti, der auch Mitgründer der Huffington Post ist, im Spaß die "umgekehrte Vokuhila-Strategie". Mit Vokuhila ist gemeint, dass die meisten erfolgreichen Webseiten auf ihren Startseiten hochwertige Inhalte herzeigen, während auf den weniger sichtbaren Seiten die seichten Inhalte wuchern: vorne Business, hinten Party. Bei Buzzfeed sei es andersrum: Listen, Tests und von Nutzern erstellte Inhalte machten die Expansion ins Nachrichtengeschäft überhaupt erst möglich, sagt Peretti.

Dabei lernt die Nachrichtensparte Buzzfeed News von den Quatschmachern am Unterhaltungsdesk. Zum einen, was die Verbreitung von Geschichten in sozialen Netzwerken angeht: "Nicht jeder Artikel muss gleich aussehen, und es muss auch nicht immer alles ein Artikel sein", sagt Deutschlandchef Drepper. Während viele traditionelle Medien Facebook und Twitter vor allem nutzen, um möglichst viele Leser auf die eigene Seite zu lotsen, veröffentlicht Buzzfeed viele Inhalte von vorneherein nur in den Netzwerken, als Video oder als Foto mit einem kurzen Text.

Die Daten über die Verbreitung von unterhaltsamen Geschichten helfen aber auch zu entscheiden, welche Themen nachrichtlich enger begleitet werden könnten. Weil sich vor ein paar Jahren eine Fotogalerie über frisch verheiratete homosexuelle Paare rasend schnell verbreitete, berichtet Buzzfeed auch in seinen Nachrichten viel über die Rechte von Schwulen und Lesben. Mit Juliane Löffler hat Drepper eine eigene Reporterin für diesen Komplex in sein Team geholt. "Das sind Themen, über die man stärker und auch ernster berichten könnte, als das in klassischen Medien der Fall ist", sagt er. Ein anderer Schwerpunkt soll Drepper zufolge auf dem "Resonanzraum Internet" liegen: Wie funktioniert Einflussnahme im Netz? Die Fake-News-Recherche war dafür ein Beispiel.

Insgesamt hat Buzzfeed in Deutschland derzeit zehn feste Mitarbeiter, die eigene Geschichten produzieren, aber auch solche aus anderen Ländern ins Deutsche übersetzen. Sie sind Teil der globalen Expansionsstrategie des Unternehmens, das auch durch Klicks im Ausland seine Reichweite erhöhen will. Die Firma unterhält Büros etwa auch in Frankreich, Großbritannien, Brasilien oder Japan. "Wir sind nur eine halbe E-Mail voneinander entfernt", sagt Drepper. Insgesamt hat die Firma nach eigenen Angaben etwa 1600 Mitarbeiter weltweit, davon mehr als 300 mit dem Schwerpunkt Nachrichten.

Eine Art Frühstücksfernsehen für die digitale Ära

Haupteinnahmequelle von Buzzfeed, an dem der Medienkonzern NBC Universal Anteile hält, sind die Kochvideos von "Tasty", die bei Facebook millionenfach geklickt werden. Außerdem gehören zum Geschäftsmodell auch gesponserte Beiträge, die redaktionellen Inhalten sehr ähnlich sehen: HBO warb auf Buzzfeed etwa mit einer Art Psychotest: "Wie würdest du bei Game of Thrones sterben?" Zuletzt sagte Peretti, man denke über einen Börsengang nach.

Mit einer Nachricht, die Buzzfeed USA am Donnerstag verbreitete, dürfte Peretti seinem Ziel, einen globalen Medienkonzern für das soziale Zeitalter aufzubauen, noch ein ganzes Stück näher kommen. Von 25. September an produziert das Unternehmen werktags eine einstündige Morgenshow, die nicht etwa auf der eigenen Homepage, sondern auf Twitter zu sehen sein soll - eine Art Frühstücksfernsehen für die digitale Ära.

AM to DM soll die Sendung heißen, AM meint den amerikanischen Vormittag, DM ist bei Twitter die gängige Abkürzung für "direct messages", die von Nutzer zu Nutzer verschickt werden können. Die Fernsehnachrichten bestünden heute zu einem Gutteil aus der Wiedergabe dessen, was Stunden zuvor auf Twitter geschehen sei, heißt es in der Mitteilung. Die Sendung wolle diese Konversationen in Echtzeit begleiten.

In der in den USA schon bewährten Buzzfeed-Manier sollen auch bei AM to DM Unterhaltung und Politik nebeneinanderstehen - mit dort ebenfalls schon bewährtem Finanzierungskonzept: Die Sendung wird von einer Imbisskette, einer Bank und einem Autokonzern präsentiert.

Zumindest dieser Teil der Strategie dürfte in Deutschland auch weiter für Skepsis sorgen. Dass der nächste Auftritt von Daniel Drepper bei der Hamburger Journalistenkonferenz von Netzwerk Recherche von Volkswagen, Audi oder Porsche gesponsert wird, ist eher unwahrscheinlich.

© SZ vom 12.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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