Medienrecht:Gelegenheit zur Verteidigung muss sein

Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Im konkreten Fall ging es um ein Scharmützel zwischen Polizeigewerkschaften, die Entscheidung ist aber medienrechtlich wichtig.

(Foto: Uli Deck/dpa)

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet: Wenn Veröffentlichungen eines Medienhauses attackiert werden, muss die angegriffene Seite gehört werden - auch im Eilverfahren.

Von Wolfgang Janisch

Dass ein Gericht beide Seiten anzuhören hat, bevor es sein Urteil spricht, ist ein Rechtsgrundsatz, dessen Ursprung irgendwo tief in der Antike liegt. Im modernen Medienrecht hatte sich dagegen eine Praxis breit gemacht, die man eher aus Leinwandwestern kennt - erst schießen, dann fragen. Wenn es gilt, eine angeblich üble Nachrede oder Falschdarstellung aus der Welt zu schaffen, dann genügte den Gerichten für eine einstweilige Verfügung oft der Antrag des Betroffenen. Das jeweilige Medienhaus kam erst nachträglich zu Wort.

Dagegen war das Bundesverfassungsgericht schon Ende 2018 eingeschritten, nun hat es nachgelegt. So nachvollziehbar das Interesse des Betroffenen ist, eine inkriminierende oder unzutreffende Behauptung möglichst rasch aus der Welt zu schaffen: Nach einem an diesem Freitag veröffentlichten Beschluss des Karlsruher Gerichts muss auch in diesen Eilverfahren der Grundsatz der Waffengleichheit gelten. Das heißt: Das Medienhaus oder der Homepagebetreiber, deren Veröffentlichung vor Gericht attackiert wird, muss Gelegenheit zur Verteidigung haben, bevor der Bericht per Eilentscheid vorläufig untersagt wird. Dafür muss nicht eigens eine mündliche Verhandlung anberaumt werden, es genügen auch Mails oder Telefonate. Jedenfalls aber dürfe der Antragsteller nur dann recht bekommen, "wenn die Gegenseite die Möglichkeit hatte, auf das mit dem Antrag geltend gemachte Vorbringen zu erwidern", heißt es in dem Beschluss.

Gerichtliche Eilentscheidungen können tief in die Freiheit der Medien eingreifen, wie die Vergangenheit zeigt

Im konkreten Fall ging es indes nicht um einen Rechtsstreit mit einem Medienhaus, sondern um ein Scharmützel zwischen der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) und der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Die eine warf der anderen vor, "ohne Rücksicht auf Verluste" mitten in der Pandemie an den Personalratswahlen bei der Bundespolizei im Mai festzuhalten. Die GdP bezichtigte den Konkurrenten falscher Tatsachenbehauptungen, unter anderem deshalb, weil eine Verschiebung der Wahl rechtlich gar nicht zulässig gewesen wäre. Daraufhin erließ das Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung gegen die DPolG - ohne sie vorher anzuhören.

Das aber ist eine Gefechtslage, wie sie auch zwischen der Presse und denjenigen herrscht, die Gegenstand ihrer Berichterstattung herrscht, Politiker und Prominente zum Beispiel.

Die Karlsruher Regeln sind also auch für die Freiheit der Medien von Bedeutung, das zeigen die beiden früheren Karlsruher Verfahren. In einem Fall ging es um einen Spiegel-Bericht über das Steuersparmodell eines Fernsehmoderators, im zweiten um einen Artikel des Recherchenetzwerks Correctiv, in dem es um Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit dem Verkauf von U-Booten ins Ausland ging. Heikle Themen also, in denen mit harten Bandagen gekämpft wird. Auch ein lediglich vorläufiges Verbot eines Artikels muss sich von vorn herein auf die Einlassungen beider Seiten stützen; dies erst in der Hauptverhandlung nachzuholen, ist zu spät, so das Gericht. "Ein einseitiges Geheimverfahren über einen mehrwöchigen Zeitraum, in dem sich Gericht und Antragsteller über Rechtsfragen austauschen, ohne den Antragsgegner in irgendeiner Vorm einzubeziehen, ist mit den Verfahrensgrundsätzen des Grundgesetzes jedenfalls unvereinbar."

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