Bundesgerichtshof:Gefecht um gewesene Gedanken

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Grünen-Politiker Volker Beck streitet vor Gericht darum, dass ein PDF-Dokument von "Spiegel Online" verschwindet. Dabei will er den Inhalt gar nicht unter Verschluss halten.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Wer hat nicht alles schon geklagt vor dem Bundesgerichtshof, die Liste reicht von Herbert Grönemeyer über Oliver Kahn bis zu Prinzessin Caroline. Trotzdem hat man kaum je einen Promi im Gerichtssaal gesehen, sondern nur ihre Anwälte.

Aber an diesem Donnerstag ist Volker Beck gekommen, und das, obwohl es für ihn eher unangenehm ist, diese alte Geschichte aufzuwärmen. Aber man begriff, warum er da war, nachdem er dem Gericht seinen Standpunkt erklärt hatte.

Im Kern wehrt sich der Grünen-Politiker, der im Herbst aus dem Bundestag ausscheiden wird, gegen die Spätfolgen eines Buchbeitrags, den er als junger Mitarbeiter der Grünen-Fraktion im Jahr 1988 verfasst hatte.

Er reflektierte damals darüber, wie "die Entkriminalisierung von unproblematischen sexuellen Kontakten zwischen Erwachsenen und Kindern" zu erreichen wäre. Natürlich ist ihm die Sache um die Ohren geflogen, er hat sich mehrfach davon distanziert. "Ich habe schreckliche Sätze geschrieben, das tut mir aufrichtig leid", sagte er Ende 2016 im Spiegel.

Beim BGH geht es nun um einen Artikel, der zwei Tage vor der Bundestagswahl 2013 auf Spiegel Online erschienen war. Kurz zuvor war das Originalmanuskript des Beitrags aufgetaucht. Das eröffnete die Gelegenheit, Becks langjährige Verteidigungslinie zu überprüfen, wonach der Verlag damals seine zentrale Aussage verfälscht habe. Fazit des Spiegel-Stücks: Manuskript und Buchbeitrag seien nahezu identisch gewesen.

Auch er hat den Beitrag ins Netz gestellt, aber mit vielen Hinweisen

Beck sieht das anders, aber er klagt nicht gegen die journalistische Einschätzung - dagegen ließe sich rechtlich wenig ausrichten. Sondern dagegen, dass Spiegel Online zum Beleg Becks Originalmanuskript als PDF angefügt hat. Dadurch sei sein Urheberrecht verletzt.

Das wirkt auf den ersten Blick überraschend, denn Beck will das Corpus delicti gar nicht unter Verschluss halten - im Gegenteil: Das Original hat er selbst auf seiner Homepage zugänglich gemacht, freilich auf jeder der vierzehn Seiten mit einem dicken Disclaimer gestempelt: "Ich distanziere mich von diesem Beitrag. Volker Beck." Aber der Inhalt ist damit allgemein zugänglich.

Dass er das ohne diese Hinweise veröffentlichte PDF aus dem Netz entfernen will, wird man als Versuch werten müssen, in der heiklen Geschichte wenigstens einen Rest an Deutungshoheit zu retten.

Hassblogs haben ihn, den prominenten Homosexuellen, ohnehin im Visier

Die Veröffentlichung des Textes als PDF erlaube eine "Dekontextualisierung", erläuterte Beck dem ersten BGH-Zivilsenat. "Er kann in jedem neuen Zusammenhang veröffentlicht werden. Und zwar ohne den Hinweis, dass dies nicht mehr meine aktuelle Position ist." Am Rande der Verhandlung verdeutlichte er, dass seine Sorge nicht nur abstrakt ist. Er denkt ganz konkret an Hassblogs aus dem rechtspopulistischen Lager, die ihn, den prominenten Homosexuellen, ohnehin im Visier haben.

Beck wendet sich also gegen die Enteignung vergangener Gedanken zu gegenwärtigen Zwecken. Nach dem Gang der Verhandlung wird man aber skeptisch sein müssen, ob er damit Erfolg hat. Denn das Urheberrecht hat eine Hintertür, die dann geöffnet werden kann, wenn es um Themen von allgemeiner Relevanz geht.

Konkret geht es um das sogenannte Zitatrecht, wonach aus einem geschützten Werk zitiert werden darf, wenn dies zur "geistigen Auseinandersetzung" erforderlich ist. Für Thomas Winter, Anwalt von Spiegel Online, ist das gar keine Frage. Wenn zwei Texte verglichen werden sollen, um die Behauptung einer Verfälschung zu widerlegen, dann müsse man die Texte nebeneinander stellen dürfen - in diesem Fall ausnahmsweise sogar vollständig, anders lasse sich das nicht überprüfen. "Das Urheberrecht ist nicht für die postfaktische Selbstdarstellung von Politikern da."

Der BGH-Senatsvorsitzende Wolfgang Büscher ließ immerhin durchblicken, dass in Fragen von "besonderem öffentlichem Interesse" das Urheberrecht möglicherweise zurückstehen müsse. Ein Urteil wird voraussichtlich in wenigen Wochen verkündet.

© SZ vom 12.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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