Bürgerfunk:Die andere Stimme

In politisch bewegten Zeiten bekommen freie Radios viel Zuspruch. Über eine Szene zwischen Bedürftigkeit und Zuversicht.

Von Thomas Hahn

Dieser Kampf, an dem sich der freie Journalist Stefan Tenner gerade beteiligt, ist ein bisschen schwieriger als andere Kämpfe in der weiten Welt der Medien. Es geht dabei um Geburtshilfe, aber eigentlich auch schon ums Überleben. Denn obwohl das Freie Radio Neumünster seinen Sendestart noch vor sich hat, weiß gerade keiner, wie es länger als ein paar Monate überstehen soll.

Vor zwei Jahren erst hat der Landtag von Schleswig-Holstein den Weg geebnet für ein Gesetz, welches ein sogenanntes Nichtkommerzielles Lokalradio im nördlichsten deutschen Bundesland möglich macht. Im Herbst 2016 bekam der Betreiberverein in Neumünster eine UKW-Frequenz zugewiesen. Jetzt richten Tenner und seine Kollegen das Studio in der Innenstadt ein, organisieren sich, werben um Mitarbeiter. "Es gibt viele Baustellen", sagt Tenner, "wir tun alles, damit wir 2018 irgendeinen Start hinbekommen." Aber die Förderung durch die Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein aus Rundfunkgebühren reicht nur für die Verbreitungskosten, nicht für den laufenden Betrieb. Es gibt keinen Nachschlag zur Anschubfinanzierung durch die mittlerweile abgeschaffte Medienstiftung der beiden Bundesländer. Die Pioniere blicken bange in die nahe Zukunft.

Nichtkommerzielle Radiosender bilden so etwas wie die dritte Säule des Dualen Systems im deutschen Rundfunk. Öffentlich-rechtlicher und privater Rundfunk ziehen die meiste Aufmerksamkeit auf sich mit ihren mehr oder weniger anspruchsvollen Programmen. Daneben gibt es einige Kleinstationen, die mit den gängigen Mechanismen der Medienwirtschaft nichts zu tun haben wollen, die sich meist aus einer linken Tradition heraus als politisch-kulturelle Foren verstehen und auch jenen Strömungen der Gesellschaft eine Stimme geben, denen sonst niemand zuhört.

31 Radios und Initiativen sind im Bundesverband Freier Radios (BFR) organisiert. Am Wochenende haben sie beim Freien Sender-Kombinat (FSK) in Hamburg ihre jährliche Konferenz abgehalten. Ein bunter Kongress war das in der kreativ-chaotischen Atmosphäre des Künstler-Quartiers Gängeviertel, bei dem die Teilnehmer teilweise bis tief in die Nacht ihre Gedanken austauschten. Und dabei wurde deutlich, was gerade die größten Sorgen der Radio-Freigeister sind. Erstens: ein Rechtsruck in Deutschland mit dem Aufstieg der AfD. Zweitens: die knappen Finanzen. "Alle freien Radios arbeiten unter prekären Bedingungen", sagt Mark Westhusen, BFR-Vorstandsmitglied und Geschäftsführer des freien Radios Corax in Halle/Saale.

Die Macher schwanken zwischen Bedürftigkeit und Zuversicht

Die Radio-Aktivistinnen und -Aktivisten tragen es mit Fassung: Überfluss passt ohnehin nicht zu ihrer politischen Überzeugung. Die Auseinandersetzung mit dem Staat würden sie sich nie wegsubventionieren lassen wollen. Und den Erfolg der Rechten sehen sie als Herausforderung für ihre Zivilcourage. "Die Leute sind entschlossener", findet Werner Pomrehn, einem ehrenamtlichen Redakteur des FSK. Sein Sender hat gerade dieses Jahr erlebt, dass offenbar Bedarf besteht an staatskritischer Berichterstattung; nach dem G-20-Gipfel in Hamburg, bei dem vor allem linke Kreise die Taktik der Polizei kritisierten, erreichten den FSK viele anonyme Spenden.

Und die Lage in Schleswig-Holstein zeigt im Grunde am anschaulichsten, wie sehr die freie Radioszene zwischen Bedürftigkeit und Zuversicht schwankt. Jahrzehntelang war dort keine politische Mehrheit zu kriegen für die Notwendigkeit unabhängiger Kanäle. Das änderte sich erst mit dem Bündnis aus SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband, das von 2012 bis 2017 regierte. Jetzt haben nicht nur die freien Radio-Schaffenden in Neumünster eine Lizenz, sondern auch jene in Flensburg. "Das ist eine erfreuliche Entwicklung", sagte Thomas Voß, Leiter für Programm und Medienkompetenz bei der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein, zum Auftakt der BFR-Konferenz bei einer Podiumsdiskussion. Andererseits klärt der Gesetzgeber die Finanzfragen vorerst nicht auskömmlich. Und er hat eine UKW-Frequenz für einen dritten freien Sender an einen Ort vergeben, an dem es gar keine Radio-Initiative gibt, nämlich nach Rendsburg. Voß nennt das "absurd".

Die Nachdenklichkeit der Sender kann anstrengend klingen für den Normal-Radiohörer

Der Staat und die freien Sender - das ist ein kompliziertes Verhältnis. Konservative Politikvertreter können mit dem staatskritischen Ton der freien Kanäle wenig anfangen, weshalb der Verdacht immer naheliegt, dass sie wenig wert auf diese Facette des Rundfunks legen. Die Nähe zur linken Szene beschäftigt den Staatsschutz. Vor drei Jahren kam sogar heraus, dass eine verdeckte Ermittlerin der Polizei sich in die Redaktionsarbeit des FSK eingeklinkt hatte; Hamburger Behörden mussten später einräumen, dass dies nicht mit der Rundfunk-Freiheit vereinbar war.

Umgekehrt sind die Vertreter der freien Sender tatsächlich keine sehr gnädigen Betrachter von Staat und Obrigkeit, erst recht nicht, wenn es um die Minderheitenpolitik geht. Teilhabe ist einer ihrer wichtigsten Ansprüche, deshalb öffnen sie regelmäßig ihre Studios für Randgruppen. Das FSK tut dies zum Beispiel für den Flüchtlingssender Refugee Radio Network, den der nigerianische Journalist Larry Moore Macauly 2014 nach eigener Aussagen "mit einem Sieben-Euro-Mikrofon von Saturn" gründete. Seine Idee: "Wir mussten uns mit den Leuten austauschen. Wir mussten in ihre Wohnzimmer kommen. Und das ging durch das Radio." Immer wieder ist vom Ziel einer Gegenöffentlichkeit die Rede - auch wenn nicht nur Westhusen "Schwierigkeiten mit dem Begriff" hat: "Gegenöffentlichkeit anzustreben, hieße sich in der Nische einzurichten, nicht die gesellschaftliche Auseinandersetzung zu suchen".

Die Nachdenklichkeit des freien Radios kann manchmal anstrengend klingen für den gedudelgewohnten Normal-Radiohörer. Zwölftonmusik-Magazine oder Sendereihen zur Oktoberrevolution sind auch nicht jedermanns Geschmack. Aber sie erweitern die Vielfalt des Rundfunks und verleihen ihm eine Geltung als wahres Bürgermedium. Trotzdem sehen die wenigsten Bundesländer freies Radio in ihrem Mediengesetz vor. Manche Sender halten sich nur mit Spenden und Mitgliedsbeiträgen über Wasser. Wenige haben es so gut wie Westhusens Radio Corax, das über die Landesmedienanstalt in Sachsen-Anhalt Rundfunkgebühren bekommt und damit 65 Prozent seines Haushalts decken kann.

Und der Fortschritt in Schleswig-Holstein? Lässt Stefan Tenner und seine Kollegen längst nicht unbeschwert Radio-Arbeit machen in Neumünster. Aber dafür ist er auch nicht angetreten. Er will in der deutschen Mediendemokratie anders sein als der Mainstream. Und er weiß schon lange: "Das ist ein sehr ambitioniertes Hobby."

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