Buchkritik: Schimmeck über Medienmacht:Ein überspannter Spreebogen
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Journalist Tom Schimmeck schildert, was seine Kollegen nicht gern hören: wie kleinmütig und heruntergekommen deutsche Medien sind.
Willi Winkler
Im Jahr 2005 durfte der Leser live dabei sein, als ein Wettlauf einsetzte: Wer konnte die damalige rot-grüne Regierung am effektvollsten herunterschreiben? An der Regierung Schröder war einiges auszusetzen, vor allem ihre Bereitschaft, jedem demoskopischen Windhauch nachzugeben, aber die Treibjagd war ein ganz neues Phänomen für den Zuschauer. Wie gleichgeschaltet hetzte eine Große Fronde von Bild über Frankfurter Allgemeine bis zu Spiegel und Stern die amtierende Koalition und jubilierte schon lang vor der Zeit über den unvermeidlichen Sieg, der dann doch nicht so gewaltig ausfiel wie erhofft.
Phantom Pressefreiheit
Gesine Schwan, der SPD-Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten, wurde im Spiegel beschieden, dass sie keine Gnade erwarten dürfe: "Wir haben beschlossen, dass Rot-Grün weg muss!" Diese plötzliche Erkenntnis der eigenen Macht würde man beim Spiegel vielleicht journalistisches Selbstbewusstsein nennen, es äußerte sich jedenfalls zuallererst mit einer kindlichen Lust an der Zerstörung. Das positive Gegenbild wurde dabei keineswegs vergessen, sondern parallel in der sonntäglichen außerparlamentarischen Oppositionsshow Sabine Christiansen kreiert. Dieses Phantom der Pressefreiheit regiert heute tatsächlich und heißt - Sie haben es erraten! - Guido Westerwelle.
Bei seinen Journalistenkollegen hat der Veteran Tom Schimmeck einen zunehmenden Hang zur Herdenbildung beobachtet.
Wenn alle das Gleiche bringen, muss es richtig sein. Wenn alle gegen Andrea Ypsilanti als hessische Ministerpräsidenten sind, wird es schon seine Gründe haben. Deshalb wurden die vier SPD-Abgeordneten, die nicht mit der Links-Partei zusammengehen wollten, zu einsamen Helden stilisiert. Dass Volker Zastrow die Abweichler in seinem Buch Die Vier später als üble Taktiker entlarvte, hat dann schon niemanden mehr interessiert.
Spaßbremse
In seinem sprachgewaltigen Pamphlet Am besten nichts Neues kritisiert Schimmeck, dass sich diese Gleichförmigkeit erstaunlich gut mit einem vor- oder schon postdemokratischen Machtdenken der Journalisten verträgt. "Die Autoren sehnen sich nach einem starken Führer, dem harten Hund. Die Peitsche soll knallen." Dieses Knallen wäre vielleicht sogar amüsant, wenn die Herren, die die Peitsche schwingen, sich dabei nicht gegenseitig so auffällig schonten. Wenn Frank Schirrmacher von der FAZ ein neues Buch geschrieben hat, wird es im Spiegel vorabgedruckt und in Bild gefeiert und steht selbstverständlich außerhalb jeder Kritik.
Trotzig gibt sich der freie Journalist Schimmeck als Spaßbremse, indem er aufzählt, wie verkommen unser ehrbares Gewerbe ist: Kai Diekmanns personalschonende Trauzeugentätigkeit bei Helmut Kohl; die "Goldene Feder" des Bauer-Verlags für den Nicht-Autor Dieter Bohlen; Schirrmachers Laududelei auf den "Bambi"-Preisträger Tom "Stauffenberg" Cruise; der "Prometheus", von der Commerzbank überreicht an die Wirtschaftsredaktion von Bild, weil sie in der Bankenkrise netterweise auf Panikmache verzichtet habe. Auch der Privatkrieg, den der ehemals investigative Journalist Stefan Aust gegen die Windenergie führte, wird erwähnt.
Schimmeck sieht in den Medien längst die große "Verdummungsspirale" rotieren. "Ein Dieter Bohlen braucht kaum einen Furz zu lassen, um News zu generieren. Burkina Faso muss für eine vergleichbare Menge medialer Zuwendung schon tausend Tote aufbieten."
Niedergangsgeschichten schreiben sich von allein, denn dass früher alles besser war, gehört seit 2500 Jahren zu den Klassikern der Kulturkritik. Natürlich war früher alles besser, aber früher wollte der inzwischen seliggesprochene Bundeskanzler Adenauer seinen Bürgern ein dem Muster von Joseph Goebbels nachgeschaffenes Informationsministerium zumuten, was die misstrauische Presse zu verhindern wusste.
Tausend Ausreden
Früher konnte sich Reinhard Gehlen Marion Gräfin Dönhoff einbestellen, damit die den BND in der Zeit treuherzig als feine Organisation ohne ehemalige SS-Angehörige beschrieb und den Chef bei der Gelegenheit gleich zum Widerstandskämpfer adelte. In dieser guten alten Zeit konnte erwähnter Adenauer bei Axel Springer anrufen und ihm auferlegen, in der Spiegel-Affäre strikt im Sinn der Regierung zu berichten.
"Am überspannten Spreebogen" sieht es besser aus, könnte es jedenfalls. Die Presse ist längst nicht mehr so unterwürfig wie in der alten Bundesrepublik, aber dafür faul. Das schlägt sich in der Berichterstattung nieder. Schimmeck hat mit Politik-Beratern, Casting-Agenten, mit Lobbyisten und dem omnipräsenten Hans-Olaf Henkel, dem Ex-Präsidenten des Bundesverbands der deutschen Industrie, gesprochen und seinen Befund bestätigt bekommen, dass auch der eifrigste Journalist nur über jenen "schmalen Ausschnitt der komplexen Realität, der ihm gerade in den Kram passt", berichtet. Dafür gibt es tausend Ausreden.
Veronapoothisierung des Journalismus
Gern wird auf die regelmäßig wiederkehrende Wirtschaftskrise verwiesen, die am Rückgang der Anzeigen schuld ist, was wiederum den Renditedruck erhöht und deshalb zu einer Ausdünnung der Redaktionen führt, die damit anfälliger werden für Fertigteilberichterstattung, wie sie von Lobbyisten und Medienberatern ohnehin bereitgehalten wird. Aber ohne den fügsamen Journalisten, ohne die tägliche Mitwirkung der "Verfüllungsgehilfen", wie Schimmeck sie nennt, wäre die "Veronapoothisierung des Journalismus" längst nicht so gründlich gediehen.
Eine frohe Botschaft hat Tom Schimmeck am Ende seiner Generalabrechnung dann doch: "Wir werden gebraucht. Wenn wir gut sind, mehr denn je." Wenn aber die Macht durch machtgeile Kontrolleure kontrolliert wird, die vor lauter Angst um ihre hart erarbeiteten Privilegien in den Hartz-IV-Empfängern die neuen Volksschädlinge entdecken, darf man sich schon ein bisschen fürchten.
Tom Schimmeck: Am besten nichts Neues. Medien Macht und Meinungsmache. Westend-Verlag, Frankfurt 2010. 308 Seiten, 17,95 Euro.