Süddeutsche Zeitung

Browser Ballett in der ARD:Inzwischen sind wir alle bescheuert

Das ehemalige Youtube-Format "Browser Ballett" mit Schlecky Silberstein landet als Sitcom-Satire sanft im ARD-Hauptprogramm.

Von Marlene Knobloch

Nein, zu wenig Comedy-Formaten gibt es nicht im deutschen Fernsehen. Im Gegensatz zu Late-Night-Shows. In letzter Zeit schnüffeln Comedians gern um den schweren Schreibtisch, schrecken aber dann hektisch zum gewohnten Dreier-Fünfer-Sechser-Pack-Sketch-Format zurück. Man schreibt irre Meta-Konzepte, in denen sich Moderatoren gegenseitig die Sendezeit klauen oder fehlendes Entertainer-Talent zu Pointen verklären wie in Stefan Raabs letzter Show-Idee Täglich frisch geröstet. Das kann man als "innovativ" deuten oder als ausgeprägte Freudsche Vermeidungsstrategie. Die neue Show in der ARD, das Browser Ballett - Satire in Serie wählt eine kluge Taktik: Die Hauptcharaktere sind Gastgeber einer klassischen Late-Night-Show. So klassisch, dass der alternde Moderator Alkoholiker ist, der Sender hauptsächlich "Fun" und bloß nichts vom Gendern hören will. Man darf einmal tief reine von Puder und Egomanie verseuchte Studioluft einatmen - herrlich.

Das Browser Ballett ist Nachkomme des ehemaligen Bohemian Browser Balletts, einem der erfolgreichsten Satire-Formate in Deutschland: untergebracht beim Jugendsender funk, über 300 000 Abonnenten auf Youtube, ausgezeichnet mit dem Grimme-Preis. Das Kerngeschäft der Ursprungsform waren Kurzvideos mit viralem Geist: kurz, aktuell, mit Bezug auf die heißesten Hashtags. Der Kopf der Sendung Schlecky Silberstein alias Christian Brandes verstand sich als "linksgrünversifften Stachel im Arsch der Revolutionäre". Das neue Form heißt jetzt "Sitcom-Satire" und hängt formal zwischen Milieu-Komik à la Stromberg und Realismus-Flirt wie Christian Ulmens Erfolgsserie Jerks. Keine schlechte Position also.

Plötzlich ist Joko Winterscheidt da. Die Wirklichkeit der deutschen Unterhaltungsszene verschmilzt mit der erdachten Geschichte

Nachdem Christian Brandes Anfang des Jahres zusammen mit der Serien-Autorin Christina Schlag in ihrem ersten Fernsehversuch die Zehen ins echte Showgewässer streckte und Zuschauer wie Darsteller dabei eher fröstelten, zieht man sich nach einer Denkpause hoch auf die kuscheligere Metaebene.

Im neuen Format moderieren jetzt Schlecky Silberstein und Luisa Stark eine fiktive Late-Night-Show - das Browser Ballett. "Gespielt" werden sie von Brandes und Luise von Finckh (Deutschland 89 oder Fack ju Göhte). Wobei schon in der ersten Minute der Serie ein gewisser Joko Winterscheidt im Studio steht. Die Wirklichkeit der deutschen Unterhaltungsszene verschmilzt mit der erdachten Geschichte. Viele Gags funktionieren über Szene-Insides.

Im Tempo alter Youtube-Tage rauscht die Exposition in den ersten zwei Minuten durchs Bild: Schlecky Silberstein ist ein versoffener Alpha-Typ mit weichem Kern, der den Geburtstag und die Schulaufführung seines Sohns vergisst. Luise von Finckh ist die aufgeweckte Co-Moderatorin, die unter dem Pantoffel der männlichen Kollegen versucht, gesellschaftliche Relevanz in die Show zu schleusen.

Im angemessen seelenlos hippen Konferenzraum pinnt Luise in der ersten Folge ihre idealistischen Inhalte an eine Tafel. Sie will in der Show über die Umweltschädlichkeit von E-Autos aufklären. Denn, das ist das Schöne an der Serie: Alles ist ein bisschen komplizierter als man es aus der recht schwarz-weiß gewordenen echten TV-Show-Welt kennt. Statt sich über SUV-Fahrer lustig zu machen, wählte das Autorenteam die umweltbewusste, E-Auto fahrende Ann-Kathrin zum Opfer, die keine Ahnung von den Kobaltminen im Kongo hat.

Die Einspieler zeichnen sich durch feine Komik aus. Die Sitcom-Handlung wurde eher grob gescriptet

Die große Stärke der Serie ist die Hauptdisziplin von Schlecky Silberstein: Kurzvideos, die klüger sind als die Gut-Böse-Erhabenheits-Komik der üblichen Unterhaltungsszene. Sie fügen sich erstaunlich harmonisch in die Handlung ein wie in der ersten Folge der Ausschnitt "Applaus von Rechts": Ein gut gelaunter "AvD"-Politiker bekundet darin mit einem Selfie-Video seine Sympathie für die Buchhandlung eines Sven Löbe in Kassel, und was dann passiert, präsentiert in zwei Minuten den Wahnsinn des Meinungspendels, das Twitter und Facebook eskalationshungrig anschubsen. Wohltuendes Fazit: Inzwischen sind wir alle bescheuert.

Neben den unterhaltsamen Videos besteht die Sitcom nur leider auch aus einer Handlung, die im Gegensatz zur feinen Komik der Einspieler recht grob geskriptet ist. Luise von Finckh erfüllt die Rolle der emanzipierten, aufgeweckten Frau, spielt den Charakter aber nicht zu glatt. Die männlichen Rollen dürfen hängen gebliebene Egomanen sein. Schlecky Silbersteins Ehefrau ist eine gut aussehende Super-Mama, die Job, Kind und Alkoholiker-Gatten managt. Senderchef "Joachim Sender", ist ein sexistischer Quotenfanatiker, der Luise auffordert sofort für die Show schwanger zu werden ("die Leute werden es lieben"). Der wird von Jonas Hien zwar fantastisch gespielt, trotzdem fehlt dem Ensemble das Gleichgewicht zwischen überzeichneten Männercharakteren und hingetupften Frauenmakeln.

Vielleicht sollte man den Figuren aber auch ein paar Folgen Zeit lassen, sich aus ihren Schablonen zu befreien. Denn eines schafft die fiktive Late-Night-Show schon mal um einiges gekonnter als manch echte: Sie unterhält.

"Browser Ballett", samstags, 23.40 Uhr, neue Folgen immer zwei Tage vorab in der ARD-Mediathek.

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