Britischer Podcast:Der Porno meines Vaters

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Ein Lesezirkel der etwas anderen Art: James Cooper, Jamie Morton (Mi.) und Alice Levine (Foto: Klein Borrill/PR)

Der Vater von Jamie Morton schreibt erotische Schundliteratur - der Sohn macht daraus einen Podcast. Und die Hörer lernen, wie sich Peinlichkeit überwinden lässt.

Von Luise Checchin

Kontraintuitiv - das ist wohl das Wort, mit dem man das Verhalten des Briten Jamie Morton am treffendsten beschreibt. Schließlich behelligt Morton die Menschheit mit etwas, was die meisten wohl zu verdrängen suchten, sobald sie von seiner Existenz erführen: dem Porno des eigenen Vaters.

Unter dem Titel "Belinda Blinked" - Belinda blinzelte - hatte Mortons Vater im Selbstverlag ein erotisches E-Book publiziert und dem Sohn zur Lektüre vorgelegt. Als der verstand, was sein Vater da unter dem Pseudonym "Rocky Flintstone" fabriziert hatte, fühlte er, wie er in der Tageszeitung The Telegraph verriet, "eine komplizierte Mischung aus Schock, Scham, Ekel und Stolz".

Eine Form der Konfrontationstherapie

Es muss mit diesem kleinen bisschen Stolz zusammenhängen, dass Morton die kreativen Auslassungen seines Vaters nicht stillschweigend in den Tiefen seines Unterbewusstseins vergrub. Stattdessen startete er zusammen mit seinen beiden Studienfreunden James Cooper und Alice Levine (eine Moderatorin bei der BBC) ein Projekt, das wohl als Konfrontationstherapie aufgefasst werden darf. Im Oktober vergangen Jahres begannen die drei in wöchentlichen Sitzungen je ein Kapitel aus "Belinda Blinked" zu lesen und zu diskutieren. Heraus kam ein Podcast mit dem doch recht sprechenden Titel "My Dad wrote a Porno", der mittlerweile mehr als drei Millionen Abrufe verzeichnet.

Wie Morton in der ersten Folge erzählt, habe sein Vater bei der Verschlagwortung des E-Books die Stichwörter "lesbisch", "Erotik" und "Wirtschaftsleben und Führungsstil" angegeben. Damit ist die Handlung von "Belinda Blinked", wenn man denn Handlung dazu sagen möchte, im Grunde sehr treffend zusammengefasst. Rocky Flintstones Heldin, Belinda Blumenthal, ist eine junge, attraktive Frau, die sich in der Geschäftswelt durchsetzen will und nicht davor zurückschreckt, dabei ihren Körper einzusetzen. Ein erotisches Abenteuer reiht sich an das nächste, unterbrochen nur von Konferenzen und Geschäftsreisen, welche sich freilich in den allermeisten Fällen wieder in erotische Abenteuer verwandeln.

Ein Sohn, der aus dem Porno seines Vaters vorliest, diese Setzung allein klingt schon einmal ziemlich vielversprechend. Hinzu kommt indes, dass "Belinda Blinked" nicht irgendein Porno ist. Auch ohne Expertenwissen auf dem Gebiet darf angenommen werden, dass selten ein so naives, handwerklich mangelhaftes, sinnfreies Stück erotische Literatur verfasst wurde. Das Ganze ist so absurd, dass man sich des Öfteren fragt, ob der Sohn sich die komplette Geschichte nicht ausgedacht hat und es gar keinen Rocky Flintstone gibt. Dann wiederum ist es kaum vorstellbar, dass es jemandem gelingt, absichtlich so dilettantisch zu schreiben.

Eklatante Bildungslücken auf dem Gebiet der weiblichen Anatomie

Es fängt schon damit an, dass die Protagonistin Belinda in der "Töpfe- und Pfannen-Industrie" arbeitet, der, wie die drei Freunde anmerken, wohl unsexiesten Branche, die man sich vorstellen kann. Das Buch strotzt vor grotesken Widersprüchlichkeiten, ganz zu schweigen von Rocky Flintstones eklatanten Bildungslücken auf dem Gebiet der weiblichen Anatomie und seinem Hang zu fragwürdigen Metaphern. In der Welt des Rocky Flintstone sind Brüste wie "Granatäpfel" und Brustwarzen "so riesig wie die drei Zoll großen Nieten, die den Schiffskörper der schicksalshaften Titanic zusammenhielten".

Wer jetzt denkt, die drei Freunde müssten gar nicht mehr viel tun, um Komik zu generieren, weiß nichts über die Mechanismen der Schundverwertung. Denn im Grunde tut "My Dad wrote a Porno" ja nichts anderes, als das Konzept des Trash-TV-Schauens auf die Literatur zu übertragen. Der Hörer nimmt teil an dem erbaulichen Gefühl, das aufkommt, wenn man sich kollektiv über eine Sache erhebt. Sich über Schund lustig zu machen, kann natürlich jeder. Sich lustig über Schund lustig zu machen, ist dagegen eine seltene Kunst. Morton und seine Freunde beherrschen sie.

Zwar können auch die drei mitunter nicht anders, als wie alberne Zwölfjährige über die erotischen Fantasien des Rocky Flintstone zu kichern. Die meiste Zeit aber klingen sie wie eine aufgeweckte Lektüregruppe, die die formalen und sprachlichen Eigenheiten ihres Forschungsgegenstandes kritisch hinterfragt. Ist es zum Beispiel nicht unhöflich, dass Belindas zukünftiger Chef sie beim Bewerbungsgespräch zuerst bittet, sich zu entkleiden und sich erst dann vorstellt? Warum fühlt sich Belinda "entblößt", wenn sie sich ihrer Schuhe und Socken entledigen soll, während sie doch zuvor kein Problem damit hatte, sich splitternackt auszuziehen? Warum ist Belinda so passiv? Und kann es als ein stilistisches Mittel angesehen werden, dass Flintstone ihre Sexualorgane mit Vokabular aus dem Haushaltswarenbereich beschreibt?

Ein Lehrstück über Scham

Stück für Stück nehmen die drei die Erzählung auseinander. Allerdings tun sie das nie auf gehässige Weise, sondern immer mit liebevoller Ironie. Es ist dieser Befreiungsmoment, der "My Dad wrote a Porno" so hörenswert macht. Morton nimmt eine der peinlichsten Sachen, die ein Elternteil in den Augen eines Kindes machen kann, und macht daraus ein Lehrstück über Scham. Er zeigt: Die effektivste Strategie, Peinlichkeit zu überwinden, ist, über sie zu lachen.

Mortons Vater hat übrigens Gefallen an dem Projekt seines Sohnes gefunden. Persönlich trat er zwar noch nicht auf, in einer Zusatzfolge aber verlas Morton die schriftlichen Antworten des Vaters auf Fragen seiner Fans. Mittlerweile hat Rocky Flintstone sogar eine Fortsetzung von "Belinda Blinked" geschrieben, sodass momentan schon die zweite Staffel des Podcasts läuft. Zum Staffelauftakt gab es ein Gespräch zwischen den drei Freunden und dem prominentesten Fan von "My Dad wrote a Porno", dem Schauspieler Elijah Wood. Dabei wurde wild über eine Verfilmung von "Belinda Blinked" spekuliert. Im Oktober soll immerhin schon einmal eine gedruckte Version erscheinen, versehen mit den Anmerkungen von Morton und seinen Freunden, versteht sich.

Eine Frage bleibt allerdings bisher unbeantwortet: Was denkt Mortons Mutter über das Werk ihres Mannes? Laut Sohn ist sie überzeugte Feministin und nicht besonders begeistert von "Belinda Blinked". Wer weiß, vielleicht darf sich die Menschheit irgendwann an einem Podcast namens "My husband wrote a Porno" erfreuen.

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