Britischer Medienmogul Lebedev:Ganz oben angekommen

Evgenij Lebedev ist britischer Zeitungstycoon, Lebemann, Sohn eines russischen Spions und und Freund von Boris Johnson. Der hat ihn nun zum Lord ernannt.

Von Cathrin Kahlweit

Es ist nicht überliefert, ob Evgenij Lebedev zu seinem Freund Boris Johnson gesagt hat: "Boris, ich lebe in Großbritannien, seit ich acht Jahre alt bin, ich habe einen britischen Pass, ich habe vieles für das Land getan, da könntest du mich doch mal zum Lord machen." Gut möglich, dass es so, auch möglich, dass es anders war. Vielleicht haben die Beamten, die jüngst in Downing Street über die Nominierungsliste für das House of Lords grübelten, gesagt: "Hier stehen schon 35 Namen, mehrere glühende EU-Gegner sind drauf, ein Familienmitglied des Premierministers, ein bekannter Sportler, ein paar Parteispender. Wie wäre es noch mit einem Zeitungstycoon? Der - obwohl seine Blätter bisher nicht für den Brexit waren - mit Blick auf den anstehenden Brexit-Sturm noch mehr umworben werden muss?"

Tatsächlich hatte Lebedev den damaligen Londoner Bürgermeister Boris Johnson bei der Wiederwahl 2012 medial unterstützt. Der gebürtige Russe ist unter anderem Mehrheitseigner der Gratiszeitung Evening Standard und der Online-Zeitung Independent; einen 30-prozentigen Anteil verkaufte er 2018 an einen saudischen Investor. Schaden könne die Ehrung nicht, könnte auch ein Politikberater zum anderen gesagt haben: Lebedev halte schließlich sogar einen Wolf, den er "Boris" nennt.

Alles öffentliche Spekulation. Britische Medien diskutieren schon länger über eine dritte Variante, die Lebedev offenbar so wenig gefällt, dass er sich öffentlich zur Wehr setzte: Der Mann mit dem Doppelpass besitze, unkte etwa die Daily Mail vor einigen Monaten, kompromittierendes Material über den Premierminister. Johnson, der wilde Partys bei seinem Freund gefeiert habe, sei erpressbar. Lebedev, Sohn des russischen Multimillionärs und Ex-KGB-Spions Alexander Lebedev, wurde sogar als "möglicher Spion" gebrandmarkt; er sei, heißt es in der Yellow Press, womöglich ein Vertreter von Moskaus "fünfter Kolonne" in London.

Im vergangenen Winter wehrte er sich in der Mail on Sunday: Eine "hässliche Russophobie" habe sich in Großbritannien breitgemacht. Er habe Wladimir Putin nie getroffen und keiner Partei je Geld gespendet, er wolle nicht als Russe beurteilt werden, sondern als einer, der sich für seine Heimat, das Vereinigte Königreich, engagiert habe. Die Art, wie er be- und verurteilt werde, sei "die Gerichtsbarkeit einer Bananenrepublik". Da war einer erkennbar angefasst.

Seit im Juli endlich der seit 2019 von Downing Street unter Verschluss gehaltene Russland-Report vom Sicherheits- und Geheimdienstausschuss des Parlaments veröffentlicht wurde, nimmt die Debatte über Lebedevs Rolle als einflussreicher Meinungsmacher weiter Fahrt auf. Im Report hatten sich Belege dafür gefunden, dass russische Akteure das schottische Unabhängigkeitsreferendum zu beeinflussen versuchten; ob Gleiches für das Brexit-Referendum gilt, wurde vorsichtshalber gar nicht erst überprüft. Ebenfalls findet sich dort eine (teils geschwärzte) Liste reicher Russen, die den Tories offenbar viel Geld gespendet haben. Seither überschlagen sich die Gerüchte. Johnson und Lebedev bezeichnen sich als Freunde, einen Tag nach seinem Wahlsieg im vergangenen Dezember nahm Johnson an einer Geburtstagsfeier im Hause Lebedev teil. Der konservative Spectator nennt die Erhebung in den Adelsstand "merkwürdig"; die Entscheidung habe in Westminster Irritationen ausgelöst. Hätte Johnson zeigen wollen, dass er nicht unter russischem Einfluss stehe, sei das wohl keine weise Wahl gewesen, so der Kommentator spitz.

Offiziell sollen die neuen Peers, die Downing Street nominierte, die "notwendige Expertise" mitbringen und eine "wichtige Rolle bei der Kontrolle von Gesetzgebungsverfahren" spielen. Die Mehrheit im Oberhaus war bisher Brexit-kritisch - ein Ärgernis für die Tory-Regierung. In Wahrheit aber spielt das House of Lords, das Johnson eigentlich verkleinern wollte, keine wesentliche politische Rolle. Wer dort angekommen ist, darf sich vor allem als gesellschaftlich angekommen fühlen - was der 40-jährige Lebedev für sich in Anspruch nimmt. Immerhin ist er ein in der Londoner Society gern gesehener Zeitungsherausgeber, Betreiber von Pubs und Restaurants sowie Besitzer eines legendären, mit Kunstschätzen und teuren Möbeln aufs Feinste hergerichteten Schlosses in der Nähe von Perugia. Er unterhält wohltätige Stiftungen, vergibt einen Theaterpreis. Mit seinen illustren Kleidern, seinem sorgfältig ausrasierten Bart und seiner Vorliebe für mittelalterliche Kunst gilt er als so junger wie präsentabler Gentleman alter Schule.

Nun ist Lebedev- formal - ganz oben angekommen: als Mitglied des britischen Oberhauses. Wirtschaftlich geht es hingegen, zumindest was seine Blätter angeht, eher bergab. Der Evening Standard, der zeitweilig eine Auflage von einer Million gehabt haben soll, hat aufgrund der Corona-Krise einen schweren Einbruch erlitten. Derzeit wird er kaum noch an U-Bahnen, sondern vorwiegend als Hauswurfsendung verteilt. Kündigungen, radikale Sparmaßnahmen und personelle Wechsel wurden vorgenommen, Ex-Finanzminister George Osborne als Chefredakteur ausgewechselt.

Schon in einem zehn Jahre alten Porträt im New Statesmen drang Lebedevs unbedingte Sehnsucht nach Anerkennung aus jedem seiner Sätze: Er wolle wahrgenommen werden für seine Ideen und seinen Erfolg. Und nicht als Russe, der mit Pelzen, schönen Frauen, korrupten Geschäftsleuten und ruchlosen Politikern in Verbindung gebracht werde. Aber das ist offenbar schwerer als gedacht: Er habe sich seinen Weg in die britische Gesellschaft "gekauft", urteilt die New York Times. Interessant ist mit Blick auf Lebedevs Ernennung zum Peer vor allem die Reaktion der Putin-kritischen Moscow Times: Johnson habe mit seinem demonstrativen Bekenntnis zu Lebedev gezeigt, dass die im Russland-Report geäußerten Sorgen über russischen Einfluss in Großbritannien berechtigt seien. Es sei nun am Parlament, die Integrität der Regierung zu schützen, wenn diese es schon nicht selbst tue.

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