Britische Serie "Downton Abbey":Die heile Welt und der große Abgrund

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Die neue Staffel "Downton Abbey" sorgt bei den britischen Zuschauern für Empörung. (Foto: Carnival Films/ITV)

In der vierten Staffel "Downton Abbey" wird es sehr ernst. Den Briten ist das zu viel. Fernsehkritiker sprechen von einer billigen Schocktaktik, Zuschauer von Mord wie bei den Teletubbies.

Von Alexander Menden, London

Bis vor Kurzem wäre die Idee absurd erschienen, dass ausgerechnet Julian Fellowes sich irgendwann einmal für die Schockwirkung seiner Drehbücher würde rechtfertigen müssen. Doch das war, bevor am vergangenen Sonntag die jüngste Folge der von Fellowes geschriebenen Fernsehserie Downton Abbey in Großbritannien ausgestrahlt wurde. (Wer sich die Spannung bis zur deutschen Ausstrahlung bewahren möchte, sollte hier besser zu lesen aufhören.)

Die Fans der Saga über die Geschicke der adligen Familie Crawley und ihrer treuen Hausbediensteten hatten die Folge mit Spannung erwartet; es war ein Gastauftritt von Opernstar Dame Kiri Te Kanawa in der Rolle des Opernstars Dame Nellie Melba angekündigt.

Der Ansager des Senders ITV hatte zwar gewarnt, es werde gewalttätige Szenen geben, die verstörend wirken könnten. Aber auf das, was dann kam, waren wohl die wenigsten der 9,2 Millionen Zuschauer vorbereitet: Während Dame Nellie dem Earl of Grantham und seinen Lieben mit einer Puccini-Arie erfreut, fällt unten in der Küche Lord Gillingham Kammerdiener Mr Green über Lady Marys Zofe Anna her. Was dann genau geschieht, wird nicht gezeigt. Aber es besteht kein Zweifel daran, dass Green Anna schlägt und vergewaltigt.

Wie Mord bei den Teletubbies

Die Heftigkeit der Reaktionen ist erstaunlich. Mehr als 100 Beschwerden über die Folge sind bereits bei ITV und der Medienregulierungs-Behörde Ofcom eingegangen. Eine Zuschauerin schreibt, das Ganze sei für sie so schockierend gewesen, "als wäre bei den Teletubbies ein Mord verübt worden", andere drohen mit einem Downton-Boykott.

Bei Twitter wimmelt es von Adjektiven wie "krank", "bestürzend" und "sensationsgeil". Viele Fernsehkritiker erklären die Szene für mindestens unpassend, für eine billige Schocktaktik. Und selbst die Countess of Carnarvon, in deren Schloss Highclere Castle die Reihe gefilmt wird, lässt sich mit der Einlassung zitieren, sie sehe "an einem Sonntagabend auch lieber nettere Dinge".

Dabei sind im britischen Fernsehen deutlich verstörendere Szenen keine Seltenheit. So zeigte der Regisseur Shane Meadows 2010 in seiner Channel-4-Serie This is England '86 eine der traumatischsten Vergewaltigungsszenen der Filmgeschichte. Damals gab es zwar auch einige Online-Diskussionen, aber keine Beschwerden. Der Unterschied lag darin, dass This is England - Downton Abbey als Drama meilenweit überlegen - in der nordenglischen Arbeiterschicht der Achtzigerjahre spielte. In diesem Milieu werten Weite Teile des britischen Publikums sexuelle Gewalt gewissermaßen als dramatisches Salz in der Suppe.

Downton Abbey hingegen war bisher eine eskapistische Feier der imperialen britischen Oberschicht, ein unkritischer Blick auf eine Zeit, in der angeblich noch jeder wusste, wo sein Platz in der Gesellschaftshierarchie war. Julian Fellowes bot seinem Publikum in den ersten beiden Staffeln die Möglichkeit zu kleinen Fluchten in eine imaginäre, nett anzusehende, wertkonservative Vergangenheit.

Die ersten Folgen der vierten Staffel waren vielen Kritikern zu unglamourös, sie beschwerten sich über das schleppende Erzähltempo und zu viele Diskussionen über unbezahlte Rechnungen bei den Crawleys. Mit der gepflegten Ödnis ist es nun wohl erst einmal vorbei. Die beteiligten Schauspieler sind jedenfalls "stolz" auf den neuen Erzählstrang.

Und Julian Fellowes? Der weist den Vorwurf der Sensationsgier weit von sich. Er sagt, ihm sei es darum gegangen, "den geistigen und emotionalen Schaden zu erkunden", den eine solche Tat verursache. Dass sich auch so viele Zuschauer emotional beschädigt fühlen würden, hatte er anscheinend dabei nicht erwartet.

© SZ vom 12.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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