"Bridgerton" auf Netflix:Wenn schon Korsett, dann so

"Bridgerton" auf Netflix: Neu angekommen für die Ball-Saison in der zweiten Staffel von "Bridgerton": Kate Sharma (Simone Ashley), rechts, neben der schon aus der letzten Saison bekannten Lady Danbury (Adjoa Andoh).

Neu angekommen für die Ball-Saison in der zweiten Staffel von "Bridgerton": Kate Sharma (Simone Ashley), rechts, neben der schon aus der letzten Saison bekannten Lady Danbury (Adjoa Andoh).

(Foto: Liam Daniel/NETFLIX)

"Bridgerton" mit seinen Puderperücken und Knallfarben ist zurück - auch die zweite Staffel exzellentes Binge-Material. Das sagt viel über unsere Vorstellungen von Romantik.

Von Aurelie von Blazekovic

Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein Junggeselle im Besitz eines schönen Vermögens sich nichts mehr wünschen muss als eine Frau. Der erste Satz aus Jane Austens Roman "Stolz und Vorurteil" fällt in Bridgerton nie, aber die ganze Serie ließe sich auch mit der allgemein anerkannten Wahrheit zusammenfassen, der "universally acknowledged truth", wie sie zum geflügelten Wort wurde.

Ein Mann aus gutem Hause sucht eine Frau aus gutem Hause und andersherum. Es ist der zentrale Moment, die wichtigste Entscheidung im Leben in den heiratswütigen Kreisen des englischen Adels im frühen 19. Jahrhundert. Dieser Welt mit ihrem peniblen Rangbewusstsein und den durchreglementierten Umwerbe-Ritualen, in der selbst zwischen standesgemäß akzeptierten Liebenden ein Kuss vor der Ehe, ein Alleinsein ohne Anstandsdame ein handfester Skandal wäre. Es ist, fragt man ein Millionenpublikum auf Netflix im frühen 21. Jahrhundert, der Höhepunkt der Romantik.

Erneut erzählt Bridgerton nun von der Partnersuche zwischen Pflicht und Verlangen mit einem woken Twist. Denn die Queen und große Teile des Casts sind nicht alabasterweiß besetzt, sondern diverser als ein amerikanischer College-Campus in seinen Werbeprospekten. Auf Bällen tanzen die Familien Bridgerton und Featherington in ihrer knallbunten Welt zu Streicher-Interpretationen von Madonnas "Material Girl". Und die so konsequent weiblich inszenierten Sexszenen - ihre Bedeutung für den Erfolg der Serie kann man nicht zu hoch schätzen - sind selbst für unsere Zeit avantgardistisch. Bridgerton interessiert sich herrlich wenig für historische oder auch gegenwärtige Realitäten.

"Bridgerton" ist der ideale Eskapismus, der doch nicht völlig losgelöst ist von unserer sonst wenig bonbonfarbenen Zeit

Die zweite Staffel beweist, dass Shonda Rhimes, die große Serienproduzentin und Drehbuchautorin (Grey's Anatomy, Scandal, Inventing Anna), mit Bridgerton auf dem Höhepunkt ihres Schaffens ist. 2017 wechselte sie mit ihrer Produktionsfirma Shondaland zu Netflix. Die vom Showrunner Chris van Dusen verantwortete Serie Bridgerton war die erste Produktion aus diesem Deal. Die erste Staffel war im Frühjahr 2021 die meistgestreamte auf Netflix aller Zeiten und brachte auch die Romane von Julia Quinn, auf denen sie basiert, 18 Jahre nach ihrer Veröffentlichung auf die Bestsellerliste der New York Times. Staffel eins, so viel ist jetzt klar, war kein Glückstreffer, sondern der Auftakt vieler Serienjahre mit den Bridgertons. Es gibt insgesamt acht zu vermählende Bridgerton-Geschwister, eine dritte und vierte Staffel sind schon angekündigt.

"Bridgerton" auf Netflix: Acht Bridgerton-Geschwister gibt es. Daphne (Phoebe Dyvenor), rechts, fand in der letzten Staffel ihr Glück. Nun ist ihr Bruder Anthony (Jonathan Bailey), links daneben, an der Reihe.

Acht Bridgerton-Geschwister gibt es. Daphne (Phoebe Dyvenor), rechts, fand in der letzten Staffel ihr Glück. Nun ist ihr Bruder Anthony (Jonathan Bailey), links daneben, an der Reihe.

(Foto: Liam Daniel/NETFLIX)

Diesmal ist es also Lord Anthony (Jonathan Bailey), der älteste Bridgerton-Sprössling, der unter die Haube kommen soll. Anders als seine Schwester Daphne, die in Staffel eins zu ihrem Ehemann kam, dem hochadeligen und hochleidenschaftlichen Duke of Hastings (Regé-Jean Page, der in Staffel zwei leider nicht mehr mitspielen wollte), sucht Anthony zunächst weniger nach einer flammenden als einer soliden Verbindung. Für das nötige Drama sorgt dann, dass sich bald eine Vernunftehe mit einer Frau anbahnt, die eine ältere Schwester hat. Mehr muss man nicht wissen.

Es ist auch weniger die grundsätzliche Handlung, die Bridgerton so bingewürdig macht - vom ersten Blick bis zum Ja-Wort ist die recht vorhersehbar - als das Wie. Denn Bridgerton mischt das Beste aus vielen Welten in eine leichte, packende und nicht dumme Geschichte. Da ist das strenge Setting aus Janes Austens Welt, die Romantik des in verregneten Schlossanlagen Nicht-sagen-Dürfens, des Nicht-Zeigen und schon gar Nicht-anfassen-Dürfens. Und die Skandalträchtigkeit aus Gossip Girl, dazu die Farben aus Marie Antoinette von Sofia Coppola und das kitschige Ideal der Liebe, die größer als das Leben ist, aus Twilight. Dass aus der Identität von Lady Whistledown, dem Gossip Girl aus Bridgerton, kein ewiges Rätsel gemacht wird, ist nur ein Beispiel dafür, was Bridgerton besser macht als andere Drama-Serien.

Moderne Rhetorik in einer Welt der Puderperücken könnte lächerlich wirken, wenn Bridgerton nicht so künstlich wäre

Besonders genial ist Bridgerton aber im Wechselspiel zwischen Moderne und Vorzeit. Die Serie hat einen supermodernen Anstrich und liefert unbedarft eine fröhliche Gegenerzählung zu historischen Gegebenheiten in Sachen Gender und Race. Zwar beschwert sich Eloise Bridgerton schon darüber, dass ihr als Frau auch in Bridgerton nicht dieselben Rechte zustehen wie den Männern. Doch am Ende reiten die Bridgerton-Frauen eben doch alleine aus, und natürlich: eine schwarze Frau kann hier englische Königin sein. Was in "Stolz und Vorurteil" außerdem niemand sagen würde: Sätze wie "Ich muss mich erst mal selbst kennen lernen."

"Bridgerton" auf Netflix: Kate Sharma will ihre Schwester verkuppeln, Anthony Bridgerton endlich seinen Familienverpflichtungen nachkommen und heiraten. Passt doch, oder?

Kate Sharma will ihre Schwester verkuppeln, Anthony Bridgerton endlich seinen Familienverpflichtungen nachkommen und heiraten. Passt doch, oder?

(Foto: Liam Daniel/NETFLIX)

Die moderne Rhetorik in einer Welt der Puderperücken und Pferdekutschen könnte lächerlich wirken, wenn Bridgerton nicht so klar künstlich wäre, nicht der ideale Eskapismus, der doch nicht völlig losgelöst ist von unserer sonst wenig bonbonfarbenen Zeit. Sie tarnt auch, dass im Kern des Serien-Spaßes stockkonservative Ideale stecken.

Klar, wenn schon Korsett, dann so wie in Bridgerton. Fragen kann man sich zum Beispiel aber, warum die vielleicht weiblichsten Sex-Szenen der Fernsehgeschichte sich ausgerechnet in einem Szenario wiederfinden, in dem sie nur in der Ehe stattfinden dürfen. Für Frauen, selbstverständlich, bei den Männern war und ist man da ja großzügiger, auch in Bridgerton. Die Spannung des Nicht-Dürfens ist unbestreitbar, aber auch sehr gestrig. Wer die Twilight-Bücher gelesen hat, was auf nicht wenige Bridgerton-Fans zutreffen dürfte, erinnert sich an das ungute Gefühl vielleicht. Die Romantik in einer eigentlich modernen Welt besteht auch dort nicht im Unwesentlichen daraus, dass Sex vor der Ehe tabu ist. Wenn man weiß, dass die Twilight-Autorin Stephenie Meyer praktizierende Mormonin ist, klären sich ein paar Fragen dazu.

Die Ehefindung zum höchsten Lebensziel zu erklären ist nicht zeitgemäß, nein. Vielleicht steckt einfach mehr 19. Jahrhundert in uns, als wir meinen.

Bridgerton, auf Netflix

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