Brexit-Doku:Erschüttert über die britische Unprofessionalität und Naivität

Brexit-Doku: Zu früh gefreut: der französische Chef-Unterhändler Michel Barnier.

Zu früh gefreut: der französische Chef-Unterhändler Michel Barnier.

(Foto: ARTE/Point du Jour)
  • Der französische Filmemacher Alain de Halleux hat die Brexit-Verhandlungen 18 Monate lang begleitet.
  • Der Film zeigt, wie die Task Force aus Brüssel ringt, feilscht, kämpft - und immer wieder an der Inkompetenz der Gesprächspartner scheitert.
  • Man ist danach noch dankbarer für das, was die EU - vorerst - zusammenhält.

Von Cathrin Kahlweit, London

Der Film von Alain de Halleux steuert nach einer Stunde und 20 Minuten auf seinen Höhepunkt zu. Man sieht die Deutsche Sabine Weyand, Vize-Chefin der Brexit-Verhandlungstruppe, im fünften Stock des Berlaymont-Gebäudes in Brüssel hektisch in ihr Mobiltelefon tippen. Der Belgier Stefaan De Rynck, Alter Ego des französischen Chef-Unterhändlers Michel Barnier, tigert nervös den Gang auf und ab, Stéphanie Riso, hochrangige EU-Beamtin und Mitglied der Task Force, steckt ihren Kopf in die Büros, um zu sehen, ob alle an ihren Plätzen sind. Jemand ruft im Off "Daumen drücken", ein anderer brüllt "noch etwa fünfzehn Minuten", man sieht Barnier, der bis zuletzt an seiner Presseerklärung arbeitet. Menschen beginnen zu rennen, zu rufen, im Hintergrund klingelt ein Telefon, dann die erlösende Nachricht aus London: Das britische Kabinett hat den EU-Austrittsvertrag, in dem Monate Arbeit, viel Energie und noch mehr Frustration stecken, akzeptiert.

"Wir haben es geschafft!", brüllt Riso und rennt wie ein aufgescheuchtes Huhn den Gang entlang, "wir haben einen Deal!" Weyand und De Rynck umarmen sich, Barnier küsst Weyand, alle klatschen und jubeln. So sehen glückliche Menschen aus.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der französische Filmemacher de Halleux gemeinsam mit einem Team von Journalisten und Produzenten die Brexit-Verhandlungen fast anderthalb Jahre lang begleitet. Im November 2018 unterzeichneten EU und Großbritannien schließlich das, was danach im Königreich nur noch "Mays Deal" hieß. Doch dem Moment des Jubels folgten Wochen der Verzweiflung. Neben Barnier glaubte - oder hoffte - auch de Halleux, dass sein Auftrag erfüllt sei. Ein Auftrag, den der Filmemacher später als "Besteigung des Mount Everest" bezeichnen sollte, so schwierig seien die Bedingungen gewesen, im Hochsicherheitstrakt EU-Kommission zu arbeiten, so lange habe es gedauert, bis Michel Barnier Vertrauen zum Arte-Team gefasst habe.

Die Dreharbeiten verliefen nicht so, wie sich de Halleux das vorgestellt hatte, nicht eingebettet in das Team Barniers; so viel Nähe hatte der zurückhaltende Politprofi aus Savoyen verweigert. Aber der Filmemacher war Barnier und seiner Truppe zumindest immer auf den Fersen gewesen, quer durch Europa, und alle vier Wochen stand der Unterhändler Rede und Antwort. The clock is ticking hat de Halleux den Film zu Schluss genannt, weil das, wie er beobachtet hatte, eine von Barnier liebsten Redewendungen gewesen sei.

Kein happy ending

Der Film zeigt, wie die Task Force aus Brüssel ringt, feilscht, kämpft. Wie der erste Brexit-Minister, dann der zweite Brexit-Minister aus London anreist. Wie die EU-Verhandler in Europas Hauptstädten um Vertrauen werben. Das ist nicht immer sexy, aber ungeheuer lehrreich: so funktioniert die EU. Kompetent, professionell, manchmal klaustrophob. Weil die Doku sich auf Brüssel, nicht auf London konzentriert, sind aus dem britischen Kosmos nur erratische Szenen aus dem Unterhaus eingefügt, die den Eindruck einer Schieflage verstärken: hier ein gut vorbereitetes Team, erschüttert über die britische Unprofessionalität und Naivität, dort eine politische Klasse, die sich selbst zerlegt und nicht weiß, wo die Reise hingehen soll.

Und so folgt dem atmosphärischen und emotionalen Höhepunkt des Films nach einer Stunde und 20 Minuten, wie weidlich bekannt, kein happy ending. Das britische Unterhaus hat den Vertrag ein Mal, zwei Mal, drei Mal abgelehnt - und nun, am Ausstrahlungstermin der Dokumentation über "das Brexit-Drama", ist nach wie vor völlig ungewiss, wie die Sache enden wird.

So können die anderthalb Stunden aus dem Herzen der Kommission wie der Verhandlungen nur eine einseitige und unvollendete Darstellung sein, unbefriedigend letztlich, aber dennoch ambitioniert und hochinformativ. Man ist danach noch dankbarer für das, was die EU - vorerst - zusammenhält.

Brexit - the clock is ticking, Arte, Dienstag 20.15 Uhr.

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