Süddeutsche Zeitung

Bretman Rock auf MTV:Lifting für den Uralt-Sender

Wie der Influencer Bretman Rock zum MTV-Realitystar wurde und damit ein totgesagtes Format zu neuem Leben erweckte.

Von Berit Dießelkämper

Bretman Rock Sacayanan begrüßt seine Fans grundsätzlich mit einer Beschimpfung. Jeden Morgen auf Instagram und konsequenterweise auch in seiner Realityshow MTV's Following Bretman Rock: "Aloha Schlampe", sagt er. Und damit ahnt man schon, mit welchem Ton er es geschafft hat, ein Uralt-Fernsehgenre zu erneuern.

Der 22-jährige Philippiner lebt auf Hawaii, er ist queer, Influencer und bezeichnet sich schlicht als "der krasseste Content-Creator aller Zeiten". Berühmt wurde er mit einem Schminkvideo auf Youtube, danach folgten Werbedeals und eine eigene Make-up-Linie. Und jetzt MTV.

MTV, das war der Sender, der in den Achtzigerjahren die Ära des Musikfernsehens angeberisch mit "Video killed the Radio Star" von The Buggles eröffnete. In den Zweitausendern produzierte der Sender eigene Realityshows mit den Stars seiner Zeit wie Lindsay Lohan oder Hilary Duff. Und weil inzwischen fast niemand mehr weiß, wer das eigentlich ist, musste MTV sich etwas Neues überlegen. Mittlerweile ist der Sender hauptsächlich ins Internet und zu Youtube gewandert, und man könnte es hämisch mit "Influencer killed the Reality-TV-Star" überschreiben, dass Bretman Rock dort nun wöchentlich mit 25-minütigen Folgen zu sehen ist.

Fünf Millionen Mal wird eine einzige Folge auf Youtube angesehen

Eigentlich absurd: Immerhin waren es doch die Influencer, die das Reality-Fernsehen erst obsolet gemacht haben mit ihrem Dauergeplapper zu jeder Zeit. Was will ein Influencer, der jederzeit und auch live auf den unterschiedlichsten Kanälen senden kann, mit einer Reality-Show bei einem Sender wie MTV?

Für seine 5,5 Millionen Follower auf Instagram und 8,3 Millionen Abonnenten auf Youtube lädt Rock regelmäßig Videos hoch - von seinem Tag, seinen Work-outs, Ratgeber zu Pflanzen, Kristallen oder Kokosnusswasser. Für den Uralt-Sender wurde er so interessant. Nachdem MTV jahrelang aus dem frei empfangbaren Fernsehen verschwand und erst dann wiederkam, als eine ganze Generation im Internet erwachsen geworden war, braucht es nun neue, hippe Formate, um die Generation Z wieder als Zielgruppe zu erschließen. Ein queerer Influencer wirkt da zeitgemäß - und MTV profitiert von seiner Reichweite. Die Episoden von Following Bretman Rock wurden teils mehr als fünf Millionen Mal angesehen.

Und natürlich sind die Inhalte heute andere als vor 20 Jahren. In den frühen 2000er-Jahren, als MTV und seine Reality-TV-Shows besonders erfolgreich waren, wurden vor allem amerikanisch-konservative Themen verhandelt: Familie (die Osbournes oder die Hogans), Hochzeit (Carmen Electra und Dave Navarro), Ehe (Jessica Simpson und Nick Lachey) oder Freundschaft (Rob Dyrdek und Christopher Boykin). Heute muss MTV damit umgehen, dass besonders in der jungen Zielgruppe die Lebensrealitäten differenzierter geworden sind und mehr über unterschiedliche Lebensentwürfe gesprochen wird. Also geht es bei Following Bretman Rock um sexuelle Orientierung und Herkunft, um Identität. Zur Besetzung gehören neben Rock auch seine alleinerziehende Schwester (ebenfalls Youtube-Star), sein nonbinärer Cousin sowie sein bester Freund, der sein Studium mithilfe der Plattform Only-Fans finanzierte, auf der Abonnenten hauptsächlich pornografische Inhalte kaufen können.

Am Ende ging es natürlich auch bei Jessica Simpson und Ozzy Osbourne immer um Werbung für neue Alben oder Tourneen. Aber längst nicht so offensiv wie bei Bretman Rock, wo sich eine ganze Folge ausschließlich um seine neue Sonnenbrillenkollektion und deren anstehende Vermarktung dreht (wobei die Sonnenbrillenkollektion wiederum bereits vermarktet wird).

Bretman Rock selbst sagt, die Sendung bedeute für ihn Repräsentation: In einem Interview mit NBC erzählte er, dass er bisher niemanden wie sich im Fernsehen gesehen habe. Und darum will er eine "verdammt schwule" Sendung machen. Ganz nebenbei nutzt es auch seiner Sonnenbrillenkollektion. Einige Modelle waren bereits kurz nach dem Upload ausverkauft.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5237919
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.