Süddeutsche Zeitung

"Tatort"-Wiederholung im Ersten:Leise ist laut genug

Im Bremer "Tatort" wird Kommissar Uljanoff erstochen - ein Trauma für Inga Lürsen. Es war ja Liebe im Spiel. Aber es ist immer schon zu spät.

Von Holger Gertz

Nochmal kurz zu Gisbert Engelhardt, legendärer Kurzzeit-Assistent der BR-Kommissare Batic und Leitmayr, der nur in einer Folge mitermitteln durfte. Dann war er tot, aber Kult. Die Bremer nehmen dieses Muster sozusagen auf, ihrem neuen und ausgesprochen zotteligen Ermittler Leo Uljanoff (Antoine Monot) ist nur eine knappe Dienstzeit von einer Episode vergönnt gewesen, an diesem Sonntag schon wird er erstochen, und zwar von hinten, auf der Herrentoilette des Polizeipräsidiums. Ein Trauma für die Bremer Kommissarin Lürsen, zwischen den beiden war ja Liebe im Spiel.

Die Idee mit dem toten Freund ist ein intelligenter Twist in dieser Geschichte von Regisseur Florian Baxmeyer und Autor Christian Jeltsch, die persönliche Betroffenheit nimmt der Kommissarin etwas von ihrem bisweilen tantenhaften Charme. Der letzte Fall aus Berlin, "Machtlos", war ähnlich konzipiert, ein aufs Wesentliche reduziertes Kammerspiel, und das Wesentliche zwischen Menschen offenbart sich im Gespräch. Man sieht: Gesichter in Großaufnahme, Augenkämpfe, Personen im Clinch. Man hört: Kettenrasseln, heiseres Gebell nervöser Hunde, den metallenen Klang von Stimmen auf dem Anrufbeantworter.

Kann sein, dass es mal wieder Logiklöcher gibt, die irgendwie kennzeichnend sind für die Folgen aus Bremen. Dass eine schwer zerrüttete Frau ohne größere Vorbereitung in ihre Wohnung zurückgebracht wird, einen Höllenort, an dem noch immer ICH TÖTE DICH auf der Wand geschrieben steht, ist natürlich ein Fall für jene Akribiker, die den Tatort neuerdings auf seine Realitätstreue hin abklopfen. Wem das wurscht ist - und der Tatort-Fan sollte gelernt haben, dass ihm manches wurscht zu sein hat - wird berührt sein von einer spannenden Geschichte, die sich dem Leitsatz verpflichtet fühlt: Leise ist laut genug.

Irgendwann redet nochmal Leo Uljanoff, es gibt ihn nicht mehr, aber die moderne Technik sorgt dafür, dass alle bleiben. Das ist nicht immer ein Trost, und es spricht sehr für diesen Tatort, dass der zweifelhafte Begriff Trost nicht unnötig aufgeladen wird. Eine Liebeserklärung: "Wenn es nicht zu spät ist, dann möchte ich deine Schlüssel sehr, sehr gern haben", sagt Leo zu Inga Lürsen. Aber es ist ja immer schon zu spät.

ARD, Sonntag, 20.30 Uhr

Anmerkung der Redaktion: Diese Kolumne von Holger Gertz ist zur Erstausstrahlung von "Tote Erde" im Juni 2013 erschienen und wurde zur Wiederholung der Folge in der Tatort-Sommerpause erneut veröffentlicht.

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Quelle:
SZ vom 08.06.2013/kath
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