"Bravo" erfindet sich neu:Krasse Geschichte

'Bravo' kämpft gegen Auflagenschwund

Das Cover der 'Bravo'-Ausgabe Nummer 15 (undatierte Aufnahme). Die Auflage sinkt seit dem Ende der 90er. Mit Klatschgeschichten hofft man auf neue Leser.

(Foto: dpa)

Millionen Deutsche sind mit der "Bravo" erwachsen geworden. Das war einmal. Die Auflage ist seit Jahren im freien Fall. Jetzt sollen auch Skandal- und Internetgeschichten die Marke retten. Ein Besuch.

Von Johannes Boie

Ganz schön krasse News für die Boys und Girls da draußen, Selena Gomez, das süße Hollywood-Girl hat ein Drogenproblem.

Gomez lächelt vom Titel der Bravo-Ausgabe 31 herab, dazu der Schriftzug: "Selena Gomez Drogenschock! KRASS! Das hätte keiner gedacht! Hollywood hat sein nächstes Opfer . . ."

Es ist dann aber ein bisschen wie in der Foto-Lovestory, die in der Jugendzeitschrift so verlässlich abgedruckt ist wie die Tipps von Dr. Sommer. Erst denkt der Leser: Krass, Selena Gomez hat ein Drogenproblem, aber dann findet er heraus, stimmt ja alles gar nicht. Gomez hat gar kein Drogenproblem. Die Geschichte in der Bravo dreht sich um Cory Monteith, einen Schauspieler, der an einer Überdosis starb, und den Gomez kannte. Die Verbindung zu Selena Gomez hat die Redaktion so überzeichnet, dass es auf dem Titelbild wirkt, als sei Gomez ein Drogenopfer. Dabei ist sie doch nur ein Opfer von Bravo.

Sinnfreier People-Journalismus

Anders als es in jeder Foto-Lovestory garantiert ist, gibt es in diesem Fall kein Happy End. Manches, was auf der Bravo als Titel draufsteht, ist schlicht überzeichnet.

Die Bravo-Chefredakteurin Nadine Nordmann, 32, sitzt in einem Konferenzraum am Münchner Stadtrand, heller Holztisch, die Eingangswand des Büros ist mit einem Graffito verziert.

Sie hält die Ausgabe mit der Gomez-Geschichte für ihren bislang besten Scoop als Chefin: "Der Titel ist unfassbar ansprechend, farblich sehr stark, eine hochemotionale Titelgeschichte. Das ist eine Geschichte, die einfach berührt."

So weit, so gewöhnlich sinnfreier People-Journalismus, wie man ihn von das neue, Das neue Blatt und Adel exklusiv kennt. Alles Magazine aus dem Bauer-Verlag, wie die Bravo, aber auch in anderen Verlagen wird so gearbeitet. Und nun erwartet wohl auch niemand, der die Bravo oder ein anderes Klatschblatt in die Hand nimmt, eine Recherche von Bob Woodward zu finden.

Neu ist aber, dass Nordmann mit dieser kopierten Abart von Journalismus die Marke Bravo wieder auf Kurs bekommen möchte, oder, viel eher, vor dem Absaufen bewahren muss. Die verkaufte Auflage ist runter auf 224 722, und sie lag Ende der Neunziger bei 1,2 Millionen. Mitarbeiter wurden schon gekündigt, der Chef gewechselt. Doch die Bravo steckt in der Krise, seit Jahren, und mit ihr das ganze Segment der Jugendzeitschriften.

"50 Jahre Leitmedium der Jugend"

Die Marke Bravo war einst sehr viel Geld wert, im Foyer der Redaktion hängen stolze Plakate: "50 Jahre Leitmedium der Jugend". Das ist nicht falsch. Denn so einfach es auch ist, sich über die Anbiederung an die Boys und Girls der Leserschaft zu amüsieren, so wichtig war die Bravo für Jugendliche tatsächlich einmal. Das Blatt und seine Redaktion waren lang die erste Adresse für Teenager, wenn es darum ging, Fragen zur Sexualität und zum Erwachsenwerden zu stellen, die, aus welchen Gründen auch immer, zu Hause oder in der Schule nicht gestellt werden konnten. Das Dr.-Sommer-Team gibt es heute noch, es ist der vielleicht bekannteste Teil von Bravo.

Das Auflagen-Debakel soll Nordmann richten. Sie ist seit Mai im Amt, sie hat bei Bauer gelernt, was sie macht, People-Journalismus. Bei der Bravo baut sie ordentlich um. Der Verlag schwärmt vom "größten Relaunch in der Markengeschichte".

Etwas, womit die Bravo punkten könne, sagt Geschäftsführer Marc De Laporte, sei Exklusivität. Das liest sich auf dem Titel von Ausgabe 39 so: "Jennifer Lawrence Zusammenbruch! Exklusiv! Bravo war bei ihr zu Hause!" Bravo war aber nicht bei Lawrence zu Hause, sondern in der Heimat der Schauspielerin. Man ahnt, wie solch übergeigte Zeilen zustande kommen, wenn Nordmann sagt: "Unsere Redakteurin ist über 700 Meilen quer durch Amerika gereist, um exklusiv in Kentucky zu recherchieren und enge Vertraute aus Jennifer Lawrence' Umfeld persönlich zu treffen und mit ihnen zu sprechen. Sie saß in der Schule von Jennifer Lawrence auf ihrem alten Stuhl. Das ist eine Exklusivität, die nur Bravo bei Jungstars zu bieten hat."

Weniger Porno, mehr Gefühl

Wenn das die Exklusivität ist, stellt sich die Frage, womit das Blatt sonst punkten kann, in der Krise. Ist es überhaupt eine Bravo-Krise? Oder einfach die Digitalisierung, die die ganze Branche erschüttert?

Wer mit De Laporte und Nordmann spricht, bekommt viele Antworten. Dass Jugendliche in den Neunzigern begonnen hätten, ihr Geld in SMS, die damals noch teuer waren, zu investieren statt in Zeitschriften, und dass es kaum deutsche Stars gebe, über die es sich lohnte zu berichten, anders als in den vergangenen 60 Jahren. Das sind die Bravo-spezifischen Probleme.

Auf die versucht Nordmann neben ganz bunten Geschichten noch andere Antworten zu finden. Den traditionell viel gelesenen Bereich "Sex und Liebe" hat sie während des Relaunches sanft revolutioniert, setzt weniger auf stöhnende Hochglanzmodels zur Illustration als auf echte Jugendliche, die auch mal bekleidet bleiben. Weniger Porno, mehr Gefühl, das ergibt Sinn, denn mehr Pornos und weniger Gefühl gibt es im Netz gratis.

Neu eingeführt hat Nordmann auch die Rubrik "Stars erwischt". Hier laufen klassische Paparazzifotos, zum Beispiel die von Schauspielerin Ashley Greene, 25, die sich oben ohne sonnt. "Meine Möppies siehst du trotzdem nicht", hat die Redaktion der Schauspielerin in den Mund gelegt, "Zieh aus, du Luder!" soll sich derweil ihr Bodyguard denken. "Wenn wir zum Beispiel Ashley Greene zeigen, die sich während Dreharbeiten sexy am Pool rekelt, finde ich das okay", sagt Nordmann, auch sprachlich nah an der Zielgruppe. Nicht okay sei es dagegen, zwei Menschen auf dem Balkon beim Sex zu zeigen. Sie nennt die Namen zweier Promis, um zu beweisen, dass sie entsprechendes Material drucken könnte, wenn sie nur wollte.

Abgrenzung zum Netz

Auch um die digitale Welt kümmert sich Nordmann, zumindest inhaltlich. Die Redaktion kann Themen wie Datenschutz und Privatsphäre im Netz in der Bravo nicht mehr als kurz anreißen. Andererseits ist es Verdienst genug, die junge Leserschaft überhaupt zu informieren, wie der Medienwandel die Welt verändert.

Und der Medienwandel ist, andererseits, sicher das härteste Problem, das die Redaktion lösen muss. Die Bravo hat es nicht für sich alleine. Die Teenager sind online statt am Kiosk, mehr noch als die Erwachsenen, Bravo hat eine dezidierte Online-Zielgruppe.

Die Strategie von Nordmann und De Laporte ist erstaunlicherweise Abgrenzung zum Netz: "Immer up to date zu sein, setzt Jugendliche unter Stress", urteilt die Chefredakteurin. Ähnlich auch das Fazit des Geschäftsführers: "Print ist das originäre Produkt." Die Hierarchien zwischen Print und Online sind bei der Bravo getrennt, Nordmann verantwortet nur die gedruckte Bravo. Einen Relaunch der angestaubten Webseite plant der Verlag getrennt vom Heft und erst für kommendes Jahr. Die Zahlen im Netz sind nicht katastrophal, aber auch nicht erfreulich: Im Angebotsranking der Arbeitsgemeinschaft Online Forschung (Agof) von Juli 2013 liegt Bravo.de auf Platz 235 weit hinter anderen Jugendseiten.

Kann das funktionieren, bei einer Zielgruppe, die von Studie zu Studie weniger Gedrucktes liest und länger online ist? Und bei einem Produkt, das nach wie vor den Anspruch hat, in dieser Generation nicht nur ein nebenbei gekauftes oder auch nicht gekauftes Zufallsprodukt zu sein - sondern das Leitmedium?

Die Konkurrenz online schläft jedenfalls nicht, es sind nicht nur Jugendseiten, die Bravo Themen wegnehmen. Medizinische und Aufklärungsthemen lassen sich googlen, und ein Teenager, der bei Google fündig wird, den interessiert es wohl weniger, dass er mit einer Mail an Bravo Pädagogen erreicht, die vielleicht eine bessere Antwort geben könnten. Und leidet die Glaubwürdigkeit des Dr.-Sommer-Teams nicht zusätzlich unter den überkandidelten Klatsch- und Tratschstorys?

Die haben es im Konkurrenzkampf ebenfalls schwer. Bunter Boulevardkram steht auf den allermeisten Online-Portalen. Und wer interessiert ist, konnte zum Beispiel die Geschichte, die in Bravo, Heft Nr. 34 vom 14. August, erzählt, dass der 29 Jahre alte Reality-Show-Teilnehmer "Chris" von Pro Sieben irgendwo auch schon ein Sexfilmchen gedreht hat, schon gut drei Wochen vorher bei den Fachleuten von bild.de nachlesen. Gratis, online, auf dem Smartphone auf dem Schulhof, wenn's denn sein muss. Das macht Stress, ja, aber vielleicht doch weniger in den jungen Köpfen der Leser als in der Redaktion.

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