Süddeutsche Zeitung

"Brand New Cherry Flavor" bei Netflix:Die Albtraumfabrik

Lesezeit: 2 min

Die Hollywood-Horror-Satire "Brand New Cherry Flavor" bei Netflix ist die späte Rache der jungen Filmemacherinnen an übergriffigen Produzenten.

Von Nicolas Freund

Wie viele junge Frauen kommt Lisa Nova (Rosa Salazar) nach Los Angeles, als hätte die Stadt nur auf sie gewartet. Im Gepäck hat sie ihren ersten Kurzfilm, eine fiese Psychogeschichte in Schwarz-Weiß, ihr Auto ist innen mit rosa Plüsch verkleidet, für Termine mit wichtigen Filmemachern trägt sie einen schwarzen Lackmantel. Was kann da noch schiefgehen auf dem Weg ins Filmbusiness?

Der nächtliche Highway rast unter Novas Auto im Scheinwerferlicht dahin wie die Straße in David Lynchs "Lost Highway", eine Katze, die dort kauert, wird überraschenderweise nicht überfahren. Und das ist nicht die einzige Erwartung, die unterlaufen wird. Das Hollywood der frühen Neunziger, die Traumfabrik, bekommt in "Brand New Cherry Flavor" sofort surreale Züge. Auf schrillen Kunstpartys werden die Gehirnströme von Menschen als eine Art Bildschirmschoner an die Wand projiziert, und junge Leute, die vom Filmerfolg träumen, lassen sich schon jetzt schönheitsoperieren und stolpern dann bandagiert wie Mumien durch überfüllte WGs. In der Einfahrt hat inzwischen eine Rotte Katzen einen Kojoten gerissen.

Dieses Hollywood war, das weiß man jetzt, wirklich eine Traumfabrik, allerdings vor allem für Männer wie Harvey Weinstein, die mit dem Filmemachen reich wurden und ihre Macht gegenüber jungen Frauen gnadenlos ausnutzen. Die konnten von einem ähnlichen Erfolg oft nur träumen. Auch Nova gerät schnell an den Produzenten Lou Burke, der aussieht, als wäre er lieber Jeff Bridges in "The Big Lebowski", und der einen Style daraus gemacht hat, zum Sushi Kaffee zu trinken. Es dauert keine zwei Tage, bis er Nova betatscht, was sie noch über sich ergehen lässt. Schließlich hat er ihr einen Vertrag für ihren nächsten Film angeboten. Aber dieses Hollywood, das macht ihr Burke auch sofort klar, ist grausam und brutal. Alle sind hier Raubtiere oder Beute. Und er, das sagt er nicht, aber es ist klar, sieht sich als eines der Raubtiere. Nur zufällig erfährt Nova wenig später, dass sie als Regisseurin ihres eigenen Films geschasst wurde, und als sie Burke damit konfrontiert, greift der sie an, würgt sie und wirft sie aus seiner Villa. Am Abend davor hatte er versucht, sie zu küssen. Auch das ließ sie noch über sich ergehen, aber bei ihrem Filmprojekt hört der Spaß auf. Nova ist völlig am Ende und entscheidet sich für das einzig Richtige in ihrer Situation: Sie beschließt, Burke zu verfluchen.

Der Grusel ist oft nur eine überzeichnete Wirklichkeit

Warum das alles unter dem Namen "Brand New Cherry Flavor" veröffentlicht wird, muss man sich selbst zusammenreimen, vielleicht ist es einfach die Wortfolge, die dem Wahnsinn dieser Serie so gut einfängt. Die wird nämlich schon am Ende der ersten Folge ein durchgestylter Horrortrip, als wäre Quentin Tarantino, David Cronenberg, Luis Buñuel, David Lynch und Nicolas Winding Refn nach einer Runde MDMA eine Kamera in die Hände gefallen. Grelle Farben, Jump-Scares, Fischaugenkamera, Zeitraffer. Ein Urwald in einer Villa, Typen, die in goldenen Porsches herumfahren, jede Menge Horrorgestalten, und manchmal erbricht Nova eine Katze. Warum? Die Filmemacher Nick Antosca und Lenore Zion lassen nichts aus, was irgendwie schräg ist, aber gleichzeitig Spaß macht. Das ist witzig, manchmal gruselig, sieht aber immer fantastisch aus. Und wenn es eklig wird, muss man sich klarmachen: Das liegt an Typen wie Burke. Wie oft im Horror ist der Grusel nur eine überzeichnete Wirklichkeit.

"Brand New Cherry Flavor" ist eine der originellsten, mutigsten und durchgeknalltesten Serien, die es gerade zu sehen gibt. Style mit einer Botschaft. Bleibt nur die Frage: Was ist bitte mit diesen Katzen los?

Brand New Cherry Flavor, bei Netflix

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