Süddeutsche Zeitung

BR-Doku "Aussteigen":Dem Sekten-Guru verfallen

Sie ist eine erfolgreiche Drehbuchautorin - und viele Jahre heimlich Sekten-Mitglied. Ariela Bogenberger erzählt in "Aussteigen" von der Kirschblütengemeinschaft und was die ihr alles genommen hat.

Von Katharina Riehl

Ganz am Ende des Films dreht sich das Gespräch zum ersten Mal, wird die Befragte plötzlich zur Fragestellerin. Die Frau, die gerade über Stunden die dunkelsten Momente ihres Lebens offengelegt hat, fragt die Regisseurin hinter der Kamera: "Was mich interessiert: Warum? Was ist das, was dich an diesem Thema anzieht oder anspricht?" Und eine Stimme antwortet aus dem Off: "Das bist vor allen Dingen du."

Das ist ein hübsches Ende für diesen Film, denn treffender könnte man auch als Zuschauer die Frage nach dem Warum nicht beantworten. Eineinhalb Stunden lang sieht man eine Frau auf einem Stuhl sitzen und erzählen, es gibt keine anderen Figuren, es gibt keine Handlung, keine Archivaufnahmen, nicht einmal alte Fotos; es gibt nur diese brünette Frau mit den Perlenohrringen, die davon erzählt, wie sie in eine Gruppe hineingeriet, von der sie sich erst 20 Jahre später eingestehen konnte, dass es eine Sekte war.

Es ist eine traurige Geschichte, manchmal gruselig und immer faszinierend, aber als Film funktioniert das vor allem deshalb so gut, weil die Frau auf dem Stuhl Ariela Bogenberger ist, Tochter der bayerischen Volksschauspielerin Veronika Fitz, früher Journalistin und Kabarettregisseurin und heute eine der erfolgreichsten deutschen Drehbuchautorinnen.

Für die Fernsehfilme Marias letzte Reise mit Monica Bleibtreu und In aller Stille mit Nina Kunzendorf gewann sie je einen Grimmepreis. Ariela Bogenberger, Jahrgang 1962, ist eine erfolgreiche Frau aus einer großen Künstlerfamilie, Mutter von drei Kindern - und hat 20 Jahre ihres Lebens (und viel Geld) an einen Guru verschwendet, der ihr versprach, ihr Leben besser zu machen.

Ariela Bogenberger ist keine Frau, die man für ein leichtes Opfer halten würde. Ihr ist es unendlich peinlich, dass ihr so etwas passieren konnte, dass sie nicht sehen konnte, was mit ihr geschah, und es trotzdem schaffte, ihr Doppelleben jahrelang vor ihrem Umfeld geheim zu halten. Allein dieses Spannungsverhältnis lässt den Zuschauer nicht los.

Hilflos wie ein Kind

Der Kult, in den Ariela Bogenberger geriet, nennt sich Kirschblütengemeinschaft. Der inzwischen verstorbene Schweizer Psychiater Samuel Widmer war ihr Guru; wie ein Gott, sagt Bogenberger, habe man ihn innerhalb der Sekte verehrt.

Außerhalb interessierten sich die Behörden für ihn. Kern der Gemeinschaft ist der Glaube an die sogenannte Psycholyse - durch den Einsatz von Drogen können diesem Verständnis nach Traumata gelöst und Ängste bezwungen werden.

Ähnlich wichtig wie der Einsatz von Drogen ist in der Gemeinschaft auch der Einsatz von Sex. Einmal sagt Bogenberger: "Er hat mein Geld genommen, er hat meine Kreativität genommen, er hat mich in Situationen gebracht, in denen ich hilflos wie ein Kind am Boden gelegen bin."

Der Interviewfilm hat kaum eine Struktur, aber eine große Wucht. Alles entwickelt sich assoziativ

Ariela Bogenberger hat sich nach ihrem Ausstieg aus der Sekte entschieden, das Erlebte auch mit einem Film zu verarbeiten, die Regisseurin der Dokumentation, Petra K. Wagner, ist eine befreundete Kollegin. Ihr erzählt sie viele Stunden lang, was sie erlebt hat; im Film hat die Geschichte kaum eine Struktur, aber eine umso größere Wucht.

Jahreszahlen, chronologische Abfolgen oder konkrete Gründe für das Geschehene lassen sich aus dem Interviewfilm kaum ableiten, alles entwickelt sich assoziativ, was ganz wunderbar passt zu dieser Geschichte, die sich eindeutigen kausalen Zusammenhängen, einer Logik ohnehin immer entziehen muss.

Irgendwann sagt Bogenberger: "Über 20 Jahre versucht man, etwas zu reparieren, das niemals kaputt war." Wohl erst als sie das erkennen konnte, ist sie bereit zu gehen.

Aussteigen, BR, Dienstag, 22.30 Uhr.

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SZ vom 24.07.2017/pak
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