Boulevardzeitungen in Österreich:Millionen für den Werner

Austrian Chancellor (Bundeskanzler) Faymann listens during a news conference after the cabinet meeting (Ministerrat) in Vienna

Werner Faymann sagt, er brauche keine Inserate und könne in den Zeitungen "kein Wohlgefallen erkennen".

(Foto: REUTERS)

Kaum irgendwo in Europa haben die Boulevardmedien so viel Macht wie in Österreich und die regierenden Parteien unter Bundeskanzler Werner Faymann so viel Einfluss auf diese Blätter. An der "informellen Koalitionsbildung" soll sich schon lange etwas ändern. Nur wann?

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Michael Spindelegger will Bundeskanzler werden. Das ist naheliegend, denn Österreichs Außenminister ist Chef der ÖVP, und die steht mitten im Wahlkampf: In vier Monaten, eine Woche nach den Deutschen, wird gewählt. Also kündigte Spindelegger bei einer "Österreich-Rede" am Mittwoch in der Wiener Hofburg an, die Steuern müssten runter. Es ist für den hoffnungsfrohen Vizekanzler sicher erfreulich, dass er, einen Tag später, sehr schöne mediale Unterstützung erhält - eine ganzseitige Anzeige im kostenlosen Boulevardblatt Heute; Thema: "Steuern gefährden Jobs". Inseriert hat die Wirtschaftskammer, die traditionell der ÖVP zugerechnet wird. Aber das kann der Koalitionspartner, der mit Werner Faymann den Kanzler stellt und weiter stellen möchte, noch besser: Es folgen in Heute: zwei Seiten über "Beruf, Baby, Bildung" von der Arbeiterkammer Wien. Die wiederum zählt zum Lager der SPÖ.

Ein ganz normaler Zeitungstag in Österreich zeigt ein ganz altes Problem: Kaum irgendwo in Europa haben die Boulevardmedien so viel Macht; die äußerst einflussreiche Kronen Zeitung und die kostenlos ausliegenden Blätter Heute und Österreich erreichen etwa 60 Prozent der Leser. Täglich. Und gleichzeitig schalten wohl nirgendwo in Europa Regierung, öffentliche Hand und staatsnahe Unternehmen, mithin also die regierenden Parteien, so viele Inserate wie in Österreich - mindestens 100 Millionen Euro, vor allem in Boulevardzeitungen. Allein Heute lebt zu einem Drittel von Inseraten der öffentlichen Hand und staatsnaher Firmen, und die Stadt Wien ist ihr bester Anzeigenkunde.

So hat es zumindest eine kleine Truppe junger Journalisten ausgerechnet, die sich auf der Online-Plattform Dossier mit der Käuflichkeit von Berichterstattung befassen und dafür kürzlich einen Axel-Springer-Preis gewonnen haben. Heute-Herausgeberin Eva Dichand, verheiratet mit dem Chefredakteur der Kronen Zeitung, Christoph Dichand, kündigte eine Klage an und ließ ausrichten, die Zahlen seien falsch und man könne gut auch ohne Inserate aus der Politik überleben. Geklagt habe sie dann nie, berichtet Dossier-Chef Florian Skrabel.

Die öffentlichen Stellen, die die Werbe-Etats verteilen, argumentieren mit der Reichweite der Blätter. Wo die meisten Leser erreicht würden, würde auch am häufigsten inseriert - das sei eine Frage der Effizienz. Standard-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid sieht gleichwohl einen Missbrauch von Steuerzahlergeld, denn so würden kritische Kampagnen verhindert, so werde politische Unterstützung gekauft. Darin ist sie sich mit dem Politikwissenschaftler Fritz Plasser einig, der die Zustände in seinem Heimatland als "aggressive Boulevard-Demokratie" bezeichnet. Folge sei eine "informelle Koalitionsbildung". Seine Untersuchung des letzten Wahlkampfs belegt: "Je nach dem Volumen der Partei-Inserate gab es eine überdurchschnittlich positive Bewertung durch die jeweiligen Medien." Erst vor wenigen Tagen, am Tag der Pressefreiheit, sprachen deshalb empörte Journalisten und Medienwissenschaftler davon, dass durch "finanzielle Zuwendungen wohlwollende Berichterstattung erzwungen werden" solle.

Eine Pharisäerdebatte sei das, sagt der Herausgeber von Österreich, Wolfgang Fellner. Die, die am lautesten über gekaufte Berichterstattung krakelten, ließen sich selbst kaufen. Und was Plassers Analysen angehe: Faymann sei 2008 ein Wahlkampfstar - und damit naturgemäß ein Star des Boulevard gewesen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: