Kenneth Branagh als Boris Johnson:Eine Unsitte

Kenneth Branagh als Boris Johnson: Das ist doch...? Genau. Kenneth Branagh als Boris Johnson.

Das ist doch...? Genau. Kenneth Branagh als Boris Johnson.

(Foto: Phil Fisk/Sky)

Der Regisseur Michael Winterbottom hat eine Serie über Großbritannien am Anfang der Corona-Pandemie gedreht - mit Kenneth Branagh als Boris Johnson. Warum sie zu früh kommt.

Von Susan Vahabzadeh

Wenn ein Film oder eine Serie die Erwartungen gegen den Strich bürstet, ist das auf jeden Fall ein Pluspunkt. Der Regisseur Michael Winterbottom, Inhaber mehrerer Berlinale-Bären, war immer ein harter Kritiker britischer Politik. In seiner Serie "This England" stehen Kenneth Branagh als Boris Johnson und seine frisch in Downing Street eingetroffene Mannschaft als Manager der Covid-19-Maßnahmen von 2020 im Mittelpunkt - erwarten würde man einen filmischen Vernichtungsfeldzug. Stattdessen hat Winterbottom tatsächlich versucht, sich einen Reim darauf zu machen, was, zum Teufel, in diesen Köpfen vorgegangen ist. Das Ergebnis ist wenig schmeichelhaft, aber immerhin nuanciert.

"This England" beginnt mit dem Amtsantritt, Johnson und sein Super-Berater Dominic Cummings (Simon Paisley Day) wollen das Königreich in etwas transformieren, das sie nicht in Worte fassen können, ohne sich selbst zu widersprechen, und nicht einmal in ihrer unlogischen Beschreibung sind sie sich einig. Johnson ist vom Multitasking überfordert: neue Freundin, neuer Hund, Buch schreiben, und nebenher noch der größte Premier aller Zeiten werden, bitte gleichzeitig und mühelos - ein Mann, der alles will, aber nicht den nächsten Urlaub absagen.

Cummings ist nahezu beleidigt, dass ihm sechs Monate nach Amtsantritt eine Pandemie Knüppel zwischen die Beine wirft, während er versucht, in möglichst vielen Positionen nützliche Idioten unterzubringen. In Winterbottoms Version ist Cummings ein rassistischer Großsprecher, ein kalter Bösewicht. Johnson kommt besser weg, der wäre gern ein besserer Mensch, wenn es nur nicht so schrecklich anstrengend wäre.

Das Missmanagement wird bei lebendigem Leib seziert

Und so dilettieren sie nun also als Pandemie-Planer: Lockdown, Tests, Hygieneregeln? Johnson und Cummings nehmen nichts ernst, bis es zu spät ist, hören immer auf die Ratschläge, die ihnen am einfachsten erscheinen. Die Downing-Street-Sitzungen kontrastiert Winterbottom mit Szenen der sich ausbreitenden Seuche, die keine Rücksicht nimmt auf die Agenda von Dominic Cummings. Krankenpfleger infizieren sich und sterben, in den Redaktionen rechnen sie die Verdopplungszahlen aus, während Cummings und Johnson überlegen, ob sie populärer würden, wenn sie die Herdenimmunität, auf die sie setzen, umtaufen. Untätigkeit war, man kann das hier noch mal nachvollziehen, keine hilfreiche Antwort auf Corona.

Und Branagh als Boris Johnson, das funktioniert tatsächlich - er sieht in den Nahaufnahmen zwar sehr geschminkt aus, aber jede Bewegung, die Körperhaltung stimmen, und wer kann, sollte unbedingt in die Originalfassung hineinhören, denn die Stimme und den Tonfall hat er perfekt getroffen. Wenn man an "This England" dranbleibt, dann vor allem seinetwegen - und weil er über den Mann, den er da spielt, nicht den Stab bricht, obwohl es einfach wäre.

Dennoch: Es ist eine neumodische Unsitte, Geschichte zu verfilmen, noch bevor die Tinte trocken ist. Das Missmanagement wird bei lebendigem Leib seziert: Die Aufarbeitung der Fehler in der Pandemie ist in Großbritannien noch im Gange und hat "This England" in den letzten Monaten längst überholt. Die Sucht, jede Krise fürs Fernsehen aufzubereiten, ist im Ansatz nicht verkehrt: Sich alles noch mal anschauen, die Sicht anderer zulassen - das kann helfen, das Erlebte für sich selbst zu sortieren, die eigenen Emotionen in den Griff zu bekommen. Zu gebotener Stunde. Für die Covid-19-Pandemie ist es einfach noch zu früh.

"This England", sechs Episoden bei Sky.

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