Süddeutsche Zeitung

Boris Becker und Oliver Pocher:Bumm Bumm Twitter

Der öffentliche Schlagabtausch zwischen Boris Becker und Oliver Pocher ähnelt einem Theaterstück - und zwar Goethes "Faust". Wir hätten einen Skript-Vorschlag für eine Trash-Tragödie in drei Akten. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig.

Von Carolin Gasteiger

Handelnde Personen:

Mep Histo: PR-Agent, hagere Gestalt, nach hinten gegelte Haare, Hipster-Brille, Schal. Wittert hinter der Wette mit dem verschuldeten Borisius nicht nur eine Beförderung, sondern den großen Reibach.

Borisius: Äußerlich ähnlich dem PR-Agenten. Haare nach oben gegelt, Schal, das Maßhemd spannt über dem Bauch. War einmal Tennisprofi und Idol vieler Nachwuchssportler in den Achtzigern, ist im Laufe der Zeit allerdings vom integeren Weg ab- und in die Klatschpresse hineingekommen. Sehnt sich im Stillen nach den einst so ruhmreichen Tagen.

Don Olivero: Von kleiner Statur, ebenso gegelt wie Borisius, ebenso präsent in den einschlägigen Postillen. Loses Mundwerk. War nie ein Ass, sondern schon immer verzweifelt in seinem Streben nach Ruhm und Anerkennung.

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig.

Prolog im "Nobu" (Borisius' Lieblingsrestaurant in London)

Mep Histo sitzt mit seinem Chef, der eine in Deutschland ansässige PR-Agentur leitet, im Londoner Restaurant "Nobu". Nach einiger Zeit stellt Mep Histo das Heldentum in modernen Zeiten in Frage. Helden würde es heutzutage nicht mehr geben, so Histo. Vielmehr würden sich alle, die das Zeug dazu hatten oder hätten, früher oder später um der Aufmerksamkeit willen für die Medien prostituieren. Sein Blick schweift durch das Lokal, bleibt an der Bar hängen.

Da sitzt Borisius, einstiges Sportidol, und während er mit einer Hand den Bauch seiner schwangeren Frau tätschelt, folgt sein Blick auffällig der hübschen Kellnerin. Wer, wenn nicht Borisius steht für dieses gescheiterte Heldentum, sagt sich Mep Histo. Also wettet er mit seinem Boss, er könne den Ex-Tennisprofi vom rechten Weg abbringen. Sein Chef geht zwar auf die Wette ein (Mitarbeitermotivation und so), ist sich aber im Grunde sicher, dass Mep Histo die Wette verlieren wird. Wie könnte er eine Persönlichkeit dieses Kalibers rumkriegen?

Erster Akt: Terrasse einer Villa in Miami, Blick aufs Meer, Kellner in Schwarz-Weiß servieren den Anwesenden in schicker Garderobe Häppchen und Champagner. Im Hintergrund Wellenrauschen.

Borisius führte einst zwölf Wochen lang die Tennis-Weltrangliste an, er war der jüngste Wimbledon-Sieger aller Zeiten. Nun ist er verheiratet und führt ein scheinbar harmonisches Familienleben in Miami. Muss sich um nichts sorgen. Seine Sportlerkarriere hat ihm lukrative Werbeverträge und eine eigene Firma eingebracht. Trotzdem fehlt ihm etwas: Er vermisst die öffentliche Aufmerksamkeit, fühlt sich von der Welt des Glamours angezogen. Deswegen auch diese Charity-Gala, Lachs-Canapés vor Meereskulisse sind genau nach seinem Gusto. Plötzlich steht Mep Histo vor ihm - und boah, dieser Schal! Als der PR-Profi dem Ex-Profisportler von seinen Kontakte zu den großen Fernsehsendern, Konzernchefs und Veranstaltern von Wohltätigkeitspartys vorschwärmt, fängt Borisius an zu hecheln wie damals auf dem Platz. Diese Möglichkeiten!

Als der schwarze Pudel der neuen Bekanntschaft über die Terrasse läuft, steckt ihm Mep Histo seine Karte zu (hinter der Bühne ertönen laut Paukenschläge). Am nächsten Morgen unterschreibt Borisius einen Vertrag mit der bekannten PR-Firma - und Mep Histo lacht sich ins Fäustchen.

Schon am darauffolgenden Abend wartet er mit der ersten Verlockung auf: In der Besenkammer von Borisius' Lieblingslokal kommt zwischen diesem und einer unbekannten Schönen eins zum andern. Bald füllt Borisius wieder die Klatschspalten, aber anders als er sich das gewünscht hat. Als Ehebrecher.

Zweiter Akt: Münchner Oktoberfest, etwa zehn Jahre später. Borisius ist der Wohlstand deutlich anzusehen, er ist inzwischen mit der Mutter seines jüngsten Kindes in zweiter Ehe verheiratet. Auftritt Borisius und Gattin (keine Sprechrolle!). Sie im tief dekolletierten Dirndl, er in der engsitzenden roten Samtweste, das Gesicht ein wenig verquollen.

Hinter all den Kameras, Fotografen und Reportern sind Borisius und seine Frau kaum zu erkennen. Den Hype, den die Medien inzwischen um den Ex-Sportler veranstalten, hat Mep Histo jahrelang geschürt: wirksame TV-Auftritte, zwei Bücher über Borisius' Leben ("Hey, ich hab da 'nen super Verlag!"). Aber recht viel mehr Zeit darf sich Mep Histo für die Vollendung seines Plans nicht lassen, sein Chef wird ungeduldig. Der durchtriebene Berater muss Borisius bald zu Fall bringen.

In den vergangenen Jahren hat er seinen Schützling erfolgreich mit einer neuen Kommunikationstechnologie vertraut gemacht: Twitter. Im Mittelpunkt des zweiten Buches über seinen Schützling ("Hey, ich hab noch 'nen super Verlag!") stehen dessen Beziehungen. Beides will Mep Histo nun nutzen, um Borisius' gesellschaftlichen Abstieg zu besiegeln. Fehlt nur noch ein Widersacher. Aber der Klatschpresse - und Borisius' Ex-Freundin sei Dank - ist der schnell gefunden. Auf Twitter nicht weniger aktiv als Borisius, aber mindestens so verzweifelt ist Don Olivero. Er ist jünger als sein Kontrahent, war anders als dieser nie wirklich berühmt, aber mit Borisius' Ex verheiratet. Im Käferzelt flüstert der PR-Mann den beiden abwechselnd Gemeinheiten über den jeweils anderen ins Ohr und nährt so das Konfliktpotenzial.

Und als Borisius gedankenverloren einen seiner überflüssigen, aber für Mep Histos Plan überaus förderlichen Tweets absetzen will, leuchtet sein Telefondisplay plötzlich auf: Don Olivero droht ihm via Twitter, seine - und gleichsam Borisius' - Ex in Ruhe zu lassen. Ausgerechnet! Es folgt eine Nacht voller digitaler Anschuldigungen, Verleumdungen und fieser Kommentare. Und Mep Histo? Formuliert schon mal eine Erfolgs-SMS an seinen Chef.

Dritter Akt: Treffen Mep Histo und Borisius im Jacuzzi eines Spa-Hotels, der PR-Agent hat seinem Schützling soeben den nächsten strategischen Schritt offenbart.

Die vergangenen Tage waren anstrengend für Borisius. Mep Histo hatte ihn angehalten, das Gefecht mit Don Olivero, neudeutsch Tweef genannt, bis in die frühen Morgenstunden durchzuhalten. "Plumpe Beleidigungen, ruhig unter die Gürtellinie und bloß nicht aufhören, weil du müde bist", hatte Mep Histo ihn angewiesen. Also gut, Augen zu und durch. Die Öffentlichkeit schrie auf, die Kameras blitzten, die Medien stürzten sich wie eine gierige Meute auf die beiden Kampfhähne. Borisius muss sich erholen, also ab ins Jacuzzi. Und wenn's sein muss, dann soll der PR-Agent halt mitkommen. Denn Don Olivero, ebenfalls mit gutem PR-Berater ausgestattet, hat Borisius via Twitter in seine TV-Show eingeladen. Zum entscheidenden Duell. Oder, wie Mep Histo sich verspricht, zu Borisius' endgültiger öffentlicher Bloßstellung. Aber Borisius zögert. Er will sich nicht blamieren. Sic. (Aber schauen Sie mal hier.)

Retardierendes Moment

Borisius liest einen Fanbrief, den er zufällig in seiner Louis-Vouitton-Badetasche am Beckenrand gefunden hat. Mep Histo hatte in den vergangenen Jahren erfolgreich jegliche Fanpost von Borisius ferngehalten, damit dieser sein altes Leben so weit wie möglich ausblendet. Aber der Brief des jungen M. aus M. ist ihm durchgerutscht. Borisius liest, wie enttäuscht M. doch von seinem großen Idol sei, wenn er ihn tagtäglich auf den Titelseiten irgendwelcher Schundblätter sehe. Jahrelang habe er seine Matches verfolgt, aus dem Wimbledon-Finale von 1986 gegen Ivan Lendl könne er jeden Schlag auswendig. Aber nun schäme er sich für ihn. Borisius kommen die Tränen. Was ist nur aus ihm geworden? Vielleicht sollte er sich doch aus der Öffentlichkeit zurückziehen und das Familienleben genießen, überlegt er. Mep Histo kommt aus der Saunalandschaft zurück, sein Kopf raucht noch ein wenig, da setzt Borisius an und will ihm seine Entscheidung mitteilen.

Aber Mep Histo raucht der Kopf nicht nur wegen der Sauna. Gerade hat er eine E-Mail erhalten, von Don Oliveros Redaktion. Sie hätten sich auf eine sechsstellige Summe für Borisius geeinigt, wenn dieser in die Show komme. Borisius überschlägt kurz seinen Kontostand und sagt zu.

Katastrophe (in einer Tragödie unvermeidlich): TV-Studio, in der Don Oliveros TV-Show aufgezeichnet wird.

Bevor Borisius in der TV-Sendung auftritt, bläut ihm Mep Histo noch einmal die wichtigsten Regeln ein: deutlich sprechen, möglichst jovial auftreten. Und so tun, als wäre man bestens befreundet, als wäre alles in Butter. Aber in dem Moment, als Borisius das TV-Studio betritt, ist sein Schicksal besiegelt. Er dreht sich noch ein letztes Mal nach Mep Histo um - doch dieser tippt schon mit zynischem Grinsen im Gesicht eine SMS an seinen Chef (Text über der Bühne einblenden): "Egal, was er jetzt sagt oder wie er sich verhält: Er ist gerichtet."

Vorhang

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1802225
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/jobr/leja
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.