Boom von "True Crime":Mord und Totschlag sind nicht unbedingt ein attraktives Werbeumfeld

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Natürlich ist es keine völlig neue Erfindung von HBO & Co., sich ästhetisch wertvoll mit realen Bluttaten auseinanderzusetzen. Truman Capotes Buch Kaltblütig erzählte schon 1965 von den Morden an einer vierköpfigen Familie in Kansas und war ein Wegbereiter des sogenannten New Journalism; auch der New Yorker hat in den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts Mörder porträtiert. So schwer in Mode wie heute aber war die Realität des Schrecklichen wohl noch nie; im Guardian erschien im Dezember ein langer Text über den Boom, der unter anderem hübsch beschrieb, dass heute sogar fiktive Kriminalromane versuchen, möglichst nach True Crime auszusehen.

Netflix und HBO haben das Genre nicht erfunden, den Hype gäbe es ohne sie vermutlich aber auch nicht. Serien wie The Jinx und Making a Murderer sind sehr aufwendig und teuer, und sie sind auch: anstrengend. Making a Murderer ist nicht zehn Folgen lang immer nur spannend, man muss auch ein bisschen durchhalten. Es ist kein Fernsehen für ein Massenpublikum, doch das brauchen die Abo-Anbieter HBO und Netflix ja auch nicht. Fragt man die Filmemacherinnen selbst, die jahrelang auf eigene Kosten recherchierten, sagen sie: kaum vorstellbar, dass ein klassischer TV-Sender ihre Serie gekauft hätte.

Es wird Geld verdient mit dem brutalen Sterben von Menschen

Hinzu kommt auch, dass Netflix und HBO keine Werbung brauchen, und dass das von Vorteil ist, macht ein Blick in die ersten Hefte von Stern Crime deutlich. Mord- und Totschlag sind zwar total hot, aber nicht unbedingt ein attraktives Werbeumfeld für Taschen und Hautcremes. Fast keine Anzeige findet sich in den ersten drei Heften. Fragt man nach, erklärt Chefredakteur Giuseppe di Grazia, das Magazin sei "von Beginn an als Vertriebstitel konzipiert" worden (auch wenn laut Verlag der Erfolg des Hefts inzwischen die Werbewirtschaft interessiert). Heißt: Der Leser muss es finanzieren, nicht der Anzeigenkunde. Immerhin 80 000 Hefte wurden von der dritten Ausgabe verkauft, 7000 Abonnenten soll es geben. Hochglanzmord ist was fürs Abo-Publikum.

Natürlich wirft der Erfolg der Serien und Hefte auch Fragen auf, es wird Geld verdient mit dem brutalen Sterben von Menschen. Das Andererseits hat Mark Harris, Kolumnist bei Entertainment Weekly, in seinem Blog so zusammengefasst: Fiktionale Serien wie The Killing oder Broadchurch, in denen über zehn Folgen ein Fall aufgeklärt wird, verbänden etwas Wahres (die Idee, dass ein einzelner gewaltsamer Tod sehr viele Leben beeinflussen kann) mit etwas Falschem: dem unangemessenen guten Gefühl, dass sogar ein brutaler und scheinbar beliebiger Mord, wenn man ihn genau genug untersucht, am Ende immer unvermeidbar erscheint. So ist die Welt auch im Tatort. So ist die Welt aber nicht.

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