Süddeutsche Zeitung

Bildundtonfabrik im Portrait:Fernsehrevolten und Verleih von Flugsauriern

Die btf ist verantwortlich für "Roche & Böhmermann", "Kebekus!" das "Neo Magazin" und zuletzt "How To Sell Drugs Online (Fast)". Wer ist diese Produktionsfirma, die alles zu können scheint?

Von Kathrin Hollmer

Wenn man in Deutschland eine neue Talkshow entwickelt und nicht weiß, wer Markus Lanz ist, kann das äußerst hilfreich sein. Philipp Käßbohrer, 35, und Matthias Murmann, 34, behaupten das bis heute, und die erste Sendung, die sie entwickelt haben, wurde ausgerechnet die innovativste Talkshow im deutschen Fernsehen: Roche & Böhmermann. Mit ihrer Produktionsfirma Bildundtonfabrik (btf) und vor allem Jan Böhmermanns Neo Magazin Royale schaffen Käßbohrer und Murmann regelmäßig große TV-Momente. Diese Woche gab der Youtuber Rezo, bekannt geworden durch sein Video "Die Zerstörung der CDU", dort sein erstes und einziges Fernsehinterview. Neuerdings macht die btf auch Fiktion: Seit Ende Mai läuft ihre Serie How To Sell Drugs Online (Fast) bei Netflix. Wer ist diese Produktionsfirma, die alles zu können scheint?

Köln-Ehrenfeld, ein Montag im Mai. Der Firmensitz, das Studio König, liegt zwischen Autohaus, Baumarkt und zwei Kletterhallen. Die Werbetafel, die man von der Straße aus sieht, fällt zwischen der Reklame für einen Hausgerätehandel und ein Fotolabor nicht auf, bis man liest, was dasteht: "Unser Service: Beratung, Animation, Abliefern, Verladen auf Wunsch", außerdem: "Verleih von Flugsauriern".

Vor fünf Jahren ist die btf hier eingezogen, in einen ehemaligen Teppichmarkt. Auf der Treppe ist noch ein Relikt verlegt. Wegen der Aufzeichnung der Lass dich überwachen-Show wird umgebaut, darum empfangen Käßbohrer und Murmann in einem Container im Hinterhof. Sie teilen Böhmermanns Grundironie, was kaschiert, dass sie nicht so gern über sich selbst sprechen.

Käßbohrer aus Biberach an der Riß und Murmann aus Aachen machen gegen den Wunsch ihrer Akademikereltern beide eine Ausbildung als Mediengestalter für Bild und Ton. Im Regiestudium an der Kunsthochschule für Medien in Köln lernen sie sich kennen, schon im erstem Semester drehen sie zusammen Musikvideos, erst von ihren WG-Zimmern aus, dann mieten sie einen Heizungskeller als Büro. "Wenn jemand im Haus die Toilettenspülung gedrückt hat, haben wir das durch die Rohre an der Wand gehört", sagt Murmann. In dem Keller entsteht ihr erster Kurzfilm, Armadingen, über den Weltuntergang in der deutschen Provinz. Premiere ist am 11. März 2011, am Tag der Nuklearkatastrophe von Fukushima. Der Film läuft international auf Festivals. 2012 gründen Käßbohrer und Murmann offiziell die btf. Fabrik, nach Andy Warhols Factory, sagt Käßbohrer. "Obwohl wir eigentlich eher eine Manufaktur sind."

Man kann das wörtlich nehmen. Den ehemaligen Teppichmarkt haben die btf-Mitarbeiter selbst umgebaut und für die Lass dich überwachen-Show, in der Informationen über die Zuschauer über ihren Köpfen schweben, ein Kamerasystem entwickelt, das Augmented Reality nutzt. Die Kulissen für Armadingen und das preisgekrönte Computerspiel Trüberbrook haben sie zunächst als physische Modelle gebaut, bevor sie digitalisiert worden sind. Unter den hundert Mitarbeitern im Haus sind neben Autoren und Redakteuren etwa auch Modell- und Studiobauer. "Alle, die kreativ an einem Projekt arbeiten, sollen sich in der Firma über den Weg laufen", sagt Murmann. Er selbst sei für die Entwicklung und Umsetzung zuständig und Käßbohrer, der auch schreibt, für die Inhalte.

Noch während ihres Studiums können Käßbohrer und Murmann wenig mit Fernsehen anfangen. "Damals gab's kein Netflix", sagt Murmann. "Filme und Serien, die man sehen wollte, hat man sich auf DVD besorgt oder illegal runtergeladen." Über die Arbeit für das WDR-Jugendradio 1 Live kennen sie Jan Böhmermann, in ihrem Keller schneidet er seine Beiträge für die Harald Schmidt Show. Als er und Charlotte Roche sie bitten, ein Talkformat zu entwickeln, studieren sie noch. In Roche & Böhmermann (ZDF Kultur) wird geraucht und getrunken, die Moderatoren können Sequenzen zurückspulen und die Gäste sich per Knopfdruck zensieren. Für die btf wird das Format der Durchbruch.

Fernsehen, wie sie es damals kennen, langweilt sie. "In Deutschland entsteht Fernsehen auf der Basis von internationalem Fernsehen, die meisten Formate werden nur eingekauft, wenn sie woanders schon funktioniert haben. Druck, Jerks, Pastewka und Stromberg sind alles keine originären Entwicklungen", sagt Käßbohrer. Sie und ihre Mitarbeiter holen sich Inspiration aus der Kunst, aus Design, Architektur und oft aus dem Kino. Man sieht die Anleihen, etwa im Studio von Roche & Böhmermann, das dem War-Room aus Stanley Kubricks Dr. Strangelove nachempfunden ist. "Ästhetisch orientieren wir uns an der Fiktion, wo Inhalt und Form auf Augenhöhe sind", sagt Murmann. Vom Musikvideo bis zum Neo Magazin Royale -Studio, im btf-Kosmos ist alles opulent gestaltet. Sie benutzen Film- statt Fernsehkameras. "Die Vollbilder, die optische Qualität und vor allem den ästhetischen Bildeindruck ist man im Fernsehen so nicht gewohnt", sagt Murmann, und Käßbohrer ergänzt: "Da ruft schon mal die Bildtechnik vom WDR an und sagt, das darf man aber nur in der Fiktion. Als ob das so im Grundgesetz stehen würde."

Für Roche & Böhmermann bekommen Käßbohrer und Murmann den Deutschen Fernsehpreis. Nach der zweiten Staffel trennen sich die Moderatoren, nicht im Guten. Käßbohrer und Murmann entwickeln unter anderem Carolin Kebekus' erste TV-Show, Kebekus! (WDR), bevor 2013 ihr bislang prominentestes Projekt auf Sendung geht, das Neo Magazin, das seit 2015 Neo Magazin Royale heißt. Fünf Mal wird es mit einem Grimmepreis ausgezeichnet. In diesem April bekommt die btf gleich drei Preise, für Lass dich überwachen und zum zweiten Mal für die Comedy-Reihe Kroymann sowie für die Crossmedia-Doku Ungleichland. "An die btf (...) kommt zur Zeit niemand im deutschen Fernsehen heran", heißt es im Jahresbericht des Grimmepreises. Künftig könnte das auch für den Bereich Fiktion gelten. Wenn man sie lässt. Ihre erste fiktionale Serie, How To Sell Drugs Online (Fast), basiert auf der wahren Geschichte von Maximilian S., der vom Kinderzimmer aus den größten Onlinedrogenhandel Europas aufzog, und ist inhaltlich wie formal ein eindrucksvolles Porträt der Generation Z. Mit der Idee seien sie gleich zu Netflix, mehrere fiktionale Konzepte hätten sie den Öffentlich-Rechtlichen angeboten. "Von denen hieß es bisher immer: Ihr habt ja noch nie Fiktion gemacht", sagt Murmann.

Bei der btf denkt man nicht in Medien oder Genres. Seit es technisch einfacher geworden ist, Computerspiele zu programmieren und Filme zu machen, werde es zunehmend egal, ob man Spiele macht, Show, Fiktion oder Doku, sagt Murmann. Zur btf-Handschrift gehört dabei ein gewisser, meist subtiler pädagogischer Ansatz. Lass dich überwachen ist unterhaltsam, aber auch eine Lektion in Sachen Datenschutz. Kroymann und das Neo Magazin Royale entlarven, was in der Gesellschaft, Politik und in den Medien falsch läuft, in Sketchform oder als Song, das Neo Magazin Royale auch mit Aktionen wie #Verafake und #Varoufake. Für die aktuelle Sendung hat das ZDF stolz CDU-Schreck Rezo angekündigt, er erschien erst, nachdem Böhmermann in Höchstform die Homöopathie auseinandergenommen hat ("leider Quatsch"), inklusive einem Gesundheitssystem, das diesen Quatsch teilweise finanziert.

Auch ihre Netflix-Serie kann man als Warnung verstehen. "Drogen können dein ganzes Leben zerstören, Youtube-Star zu werden aber auch", sagt Käßbohrer. In der Fernsehbranche, gegen die sie sich immer gewehrt hat, ist die btf längst angekommen. "Heute sind wir leider auf denselben Veranstaltungen wie Markus Lanz", sagt Murmann. Im Abspann des Neo Magazin Royale steht aber immer noch: Alles andere ist Fernsehen.

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SZ vom 15.06.2019/biaz
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