Böhmermanns "Schmähgedicht":Der Rechtsstreit ist vorbei, die Diskussion nicht

Lesezeit: 4 Min.

  • Jan Böhmermann hat den Rechtsstreit gegen Angela Merkel verloren.
  • Der Satiriker wollte der Kanzlerin gerichtlich untersagen, sein "Schmähgedicht" über den türkischen Präsidenten Erdoğan als "bewusst verletzenden Text" zu bezeichnen.
  • Über Stunden wurde am Dienstag vor dem Berliner Verwaltungsgericht über diese drei Worte diskutiert: Wie sie gemeint gewesen sein können, in welchem Kontext sie gefallen sind.

Von Verena Mayer

Der Satz "Was darf Satire?" wird eigentlich nur noch in den sozialen Medien verwendet, wenn man sich über besonders seltsame Statements oder absurde politische Forderungen lustig machen will. Die Frage nach der Satire ist also inzwischen selbst ein satirischer Kommentar. Nicht so in der deutschen Justiz, die sich diesem Thema schon seit einigen Jahren mit großer Ernsthaftigkeit widmet, genauer gesagt seit dem Frühjahr 2016. Damals wurde bekannt, dass ein Lied aus der NDR-Satire-Sendung Extra 3 über den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan dazu geführt hatte, dass das türkische Außenministerium den deutschen Botschafter in Ankara einbestellt und die Löschung des Videos verlangt hatte. Das wiederum wollte der Satiriker Jan Böhmermann in seiner Sendung Neo Magazin Royale nicht so stehen lassen.

In einem sechsminütigen Beitrag, in dem es um die Grenzen von Kunst- und Pressefreiheit ging, rezitierte er auch jene Reime über Erdoğan, die als "Böhmermanns Schmähgedicht" in die deutsche Mediengeschichte eingehen sollten. Erdoğan erstattete Anzeige wegen Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten, ein Paragraf, von dem die wenigsten wussten, dass es ihn überhaupt noch gab, und der später schließlich auch abgeschafft wurde.

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Das alles muss man sich vor Augen halten, um zu verstehen, warum das Gedicht bis heute die Gerichte beschäftigt. Das Strafverfahren gegen Böhmermann wurde eingestellt, das Gedicht selbst ist ebenfalls weitestgehend abgehandelt; das Hanseatische Oberlandesgericht hat im Mai vergangenen Jahres 18 von 24 Zeilen als ehrverletzend eingestuft, sie dürfen nicht mehr wiederholt werden. Am Dienstag ist nun das Berliner Verwaltungsgericht dran. An das hat sich Böhmermann gewandt und niemanden geringeren verklagt als die Bundesrepublik Deutschland. Und zwar in Gestalt ihrer Kanzlerin, die sich ebenfalls über das Gedicht geäußert hatte, im April 2016 in einem Telefonat mit dem damaligen türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu. Es ging damals eigentlich um die Flüchtlingsfrage und das Abkommen zwischen der EU und der Türkei, aber Merkel kam auch auf das Schmähgedicht zu sprechen. Sie stimmte mit Davutoğlu überein, dass es sich um einen "bewusst verletzenden Text" handle, so jedenfalls gab es ihr Sprecher in der Bundespressekonferenz vor Journalisten wieder.

Die Kanzlerin habe nicht vor, sich noch einmal über die Verse zu äußern, sagt ihr Anwalt

Um diese drei Worte dreht sich nun das Verfahren. Für den Satiriker und TV-Moderator Böhmermann sind sie eine rechtliche Bewertung, die Merkel gar nicht so hätte vornehmen dürfen. Der Satiriker klagte auf Unterlassung. Er will, dass Merkel untersagt wird, noch einmal von einem bewusst verletzenden Text zu sprechen, beziehungsweise, dass das Gericht feststellt, dass diese Formulierung rechtswidrig gewesen sei.

Vor dem Verwaltungsgericht werden nun über Stunden diese drei Worte auseinandergenommen. Wie sie gemeint gewesen sein können, in welchem Kontext sie gefallen sind. Reiner Geulen, Böhmermanns Anwalt, argumentiert, dass Böhmermann in seinen Grundrechten verletzt worden sei. Denn die Pressefreiheit gebiete, dass sich Vertreter eines Staates neutral verhalten und nicht gegenüber anderen Staatsoberhäuptern suggerieren, "ein Staatsbürger hat sich dir gegenüber strafbar verhalten". Zudem seien die Worte in einem aufgeheizten politischen Klima gefallen, in das Merkels Worte zusätzlich "Öl gegossen" hätten. So wurde Böhmermann von einer türkischstämmigen Rockergang bedroht, die der türkischen AKP nahe stehen soll, das LKA musste zu seinem Schutz abgestellt werden, Böhmermann seinen Wohnort wechseln. "Er steht auf der Topliste derer, gegen die es Strafaktionen geben soll", sagt Geulen. Dazu komme, dass die Protokolle der Bundespressekonferenz noch immer online seien, jeder, der sich mit der Sache beschäftige, also auf die drei Worte der Bundeskanzlerin stoße.

Der Anwalt der Beklagten sieht das anders: Jan Hegemann führt aus, die Kanzlerin habe selbst bereits im April 2016 gesagt, dass der Satz ein Fehler gewesen sei und sie sich ärgere, dass er gefallen sei. Und dass sie sich darüber nicht mehr weiter äußern werde - die Gefahr, dass die Worte "bewusst verletzender Text" wieder fallen - eine wichtige Voraussetzung für Unterlassungsklagen - sei also nicht gegeben. "Das Telefonat wird es nicht mehr geben, es gibt ja nicht einmal mehr den türkischen Ministerpräsidenten." Zudem habe Merkel im selben Telefonat nachdrücklich gesagt, dass in Deutschland die Pressefreiheit gelte.

So geht es hin und her. Es geht um die Freiheit der Presse und der Kunst und um die Frage, was ein Politiker der Öffentlichkeit mitteilen darf. Ob es nicht gereicht hätte, wenn der Regierungssprecher der Presse gegenüber nur gesagt hätte, dass im Telefonat zwischen Merkel und Davutoğlu über das Gedicht gesprochen worden sei. Auch ein interessantes Detail kommt in dem Verfahren ans Licht: Merkel sah nicht Böhmermanns gesamte Sendung (die kurz darauf aus der Mediathek entfernt wurde), sondern nur einen Ausschnitt daraus auf dem Online-Auftritt der Bild-Zeitung. Der Zuschauerraum ist gut gefüllt, es sind viele ausländische Journalisten im Saal, der Fall Böhmermann gilt längst als Staatsaffäre.

Die Vorsitzende Richterin bringt das große Ganze dann wieder auf den Boden der Justiz. Sie weist die Klage von Jan Böhmermann ab. Zum einen, weil keine Gefahr der Wiederholung bestehe, zum anderen, weil sich die Kanzlerin selbst schon von ihrer Äußerung distanziert habe. Merkels Worte seien zudem "verhältnismäßig und sachlich" gewesen, also nichts rechtswidrig. Und es sei auch angemessen gewesen, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, die sich damals vermehrt für die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei interessierte. Daran ändere auch nichts, dass die drei umstrittenen Worte noch in den Protokollen der Bundespressekonferenz nachzulesen seien. "Das ist eine chronistische Dokumentation ohne erneuten Veröffentlichungswillen." Dann spricht sie in ihr Diktiergerät, dass die Verhandlung beendet sei. Der Rechtsstreit ist damit zwar erst mal vorbei, die Diskussion aber sicherlich noch lange nicht.

© SZ vom 17.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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